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Der ganze Simenon


Man kann es auch so sehen: Da landet Daniel Kampa den großen Coup und »schnappt« sich die Simenon-Rechte. Die Geheimnisse, was wann erscheinen wird, lüften aber die Partner des Newcomers mit ihren Verlagsprogrammen. Nun liegt endlich das Herbst-Programm von Kampa vor und an der Stelle wird mal ein kleiner Blick in das Programm geworfen. So können sich die Maigret-Freunde schon jetzt auf den Herbst freuen.

Vorneweg: Das Herbst-Programm des neuen Verlages rockt mit Vielfalt und hat einen Umfang, den man als Branchenfremder nicht erwarten würde. Das das neben dem Werk von Simenon noch auf die Beine gestellt wurde, nötigt großen Respekt ab.

Während Hoffmann und Campe sein Simenon-Programm mit »Die großen Romane« betitelte – so werden übrigens in Zukunft die Non-Maigrets kategorisiert –, trägt das Simenon-Prospekt von Kampa den Titel »Der ganze Simenon«. Was mal ein schönes Versprechen ist. Auf Seite 4 gibt es dann eine – kleine – Einschränkung, die wohl für Ko­rin­then­ka­cker wie mich aufgenommen worden ist, denn bei dem Projekt handelt es sich um die erste deutschsprachige Gesamtausgabe des erzählerischen Werks. Das halte ich für eine sehr weise Einschränkung. Wenn ich auch eine Korinthe schon gefunden habe, dazu aber später mehr.

Das Paket

Bis Herbst 2020 sollen die Maigrets wieder komplett lieferbar sein. Sie erscheinen als Hardcover-Ausgaben bei Kampa und später dann als Taschenbuch-Ausgabe im Atlantik-Verlag. Die Romane werden entweder neu übersetzt oder es werden vollständig überarbeitete Übersetzungen von Kiepenheuer & Witsch sein.

Schubladen haben so ihre Tücken. Das seinerzeit erfundene »Non Maigret« hatte den Vorteil eine Universal-Schublade zu sein, in die alles hineinpasste – also neben dem fiktionalen Werk auch Simenons autobiographische Texte, Essays und Reportagen. Jetzt gibt es die »Maigrets«, die »Großen Romane« und den Rest. Der Rest, der nicht ganz unerheblich ist. Diese Aufgabe bewältigt der neue Verlag gemeinsam mit Hoffmann und Campe. Man kann getrost davon ausgehen, dass dieses Projekt über 2020 hinausreicht. Über Taschenbuch-Ausgaben sind in dem vorliegenden Prospekt noch keine Aussagen zu finden.

Die »Wir wollen alles lesen«-Leser werden interessiert zur Kenntnis nehmen, dass sämtliche Erzählungen veröffentlicht werden sollen. In der Vergangenheit gab es schon Vorhaben dieser Art (Bände, die eine Nummerierung hatten, aber über Band 1 nicht hinaus kamen, zeugen davon) und es liegen eine Reihe von Bänden mit Erzählungen vor, in denen man oft nur vier oder fünf Erzählungen fand. Unter diesen Bänden ist der schon bekanntere Kleine Doktor. Es werden sich nun neue Protagonisten dazugesellen, wie G7 und Richter Frouet. Hoffen wir, dass das kurzerzählerische Werk in naher Zukunft komplettiert wird.

Pro Halbjahr werden fünfzehn Maigrets und (etwa) fünf seiner Romane erscheinen.

Jenseits des Fiktionalen

​Des weiteren ist die Rede von

  • Texten, die Simenon über Maigret schrieb,
  • literaturkritische Essays,
  • Reportagen,
  • Briefwechseln,
  • biographische Schriften und
  • Auswahlbände seiner Diktate.

Bei vielen Werken wird es sich um Neuübersetzungen handeln.

Vier von den Großen

Bei Kampa werden folgende großen Romane im Herbst erscheinen:

Die Maigrets

Fragt man mich, in welcher Reihenfolge man die Maigrets lesen soll, dann würde ich immer antworten: »Ist egal. Vielleicht zuerst die Guten.« Heute schreiben die Autoren chronologisch, vielleicht gibt es mal einen Band, in dem zurückgeschaut wird. Aber die Maigrets hat Simenon unsystematisch geschrieben und sie wimmeln voller chronologischer Widersprüche – es ist ein sinnloses Unterfangen, von Maigrets 68. Fall zu schreiben, wie es im Prospekt steht. Es handelt sich dabei um den 68. Maigret-Roman, den Simenon geschrieben hat und lässt keine Rückschlüsse darauf zu, in welcher Lebensphase sich Maigret selbst befindet. Im 19. Maigret-Roman ist er schon im Ruhestand, also hat die Nummerierung gar nichts zu sagen. Jeder Leser muss sich seinen eigenen Weg, durch das Maigret-Universum bahnen.

Das sind die Maigrets, die Anfang Oktober erscheinen werden:

Bei letzterem Titel handelt es sich um eine Sonderausstattung – dieser Titel erscheint im Retro-Look und sieht sehr ansprechend aus. Die Gestaltung der anderen Titel hatte ich bei der Veröffentlichung der Audiobücher durch den Audio-Verlag schon kommentiert: Hier wurden teilweise bekannte Motive verwendet, die bei anderen Maigret-Titeln von Diogenes schon verwendet wurden. Das ist doch ärgerlich, wo man hätte so leicht nachschauen können.

Der unbekannte Kommissar

​Im Fokus dürfte aber wohl der Band um den Kommissar G7 stehen. Vier Fälle sind in einem Band mit dem Titel »Das Rätsel der Maria Galanda« zu finden. Diese sind bisher in deutscher Sprache noch nicht erschienen und stellen eine Premiere dar. Welche Fälle es sind, werden wir wohl erst mit dem Erscheinen im Oktober feststellen. Das Buch soll 320 Seiten umfassen und damit dürfte es sich zumindest quantitativ bei den Geschichten um keine Leichtgewichte handeln. (Ich nehme mal nicht an, dass das Nachwort von Daniel Kampa so umfangreich ausfällt…)

Das nächste Päckchen ist dann im April des nächsten Jahres zu erwarten. Aber reichlich Stoff wird uns im Oktober erst einmal gegeben werden. Die Vorschau kann über die Webseite des Verlags kampaverlag.ch geladen und studiert werden.

Womit ich zu der anfangs erwähnten Korinthe kommen möchte: Wenn jetzt die Vorgänger von Maigret angepriesen und veröffentlicht werden, werden dann auch die Werke veröffentlicht, die als Vorgänger gezählt werden, aber die Simenon noch unter Pseudonym veröffentlicht hat? Ein Großteil des Werkes von Simenon besteht aus Geschichten, die er nicht unter seinem Namen veröffentlich hat, mit denen er sich noch entwickelte. Es wäre sicher interessant, die eine oder andere Geschichte auch mal in deutscher Sprache zu lesen. »Kaputt machen« kann man Simenon damit nicht mehr, das Denkmal steht sicher und unverrückbar.