Über die Story
Die Beschreibung habe ich mir lange aufgespart - und das aus zweierlei Gründen: zum einen war »Die Witwe Couderc« der erste Non-Maigret, den ich in die Hand bekam und verschlang. Zum anderen war es wohl die erste Non-Maigret-Verfilmung, die ich je sah. Ein doppelter Simenon, wenn man so will. Wie gestern gelesen war mir in Erinnerung geblieben, dass es keine Geschichte ist, die einen guten Ausgang nimmt – selbst im Film nicht, wo man in der Regel gern mit einem fin heureuse aufwartet. Der nahe Erscheinungstermin im Mai trieb mich zum Buch und man mag es nicht glauben, aber das nahende Katastrophe bremste mich nicht im Lesefluss (merke ich an mir immer: ich schaue dann aus dem Fenster oder gehe, je näher das Unheil rückt, an den PC), das Buch wurde wie vor vielen Jahren verschlungen.
Der Beginn ist eigentlich sehr idyllisch. Man kann sich gut vorstellen, wie die Begegnung zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können, sich aber trotzdem auf Anhieb verstehen, abgelaufen ist. Verstehen ist in dem Sinn gemeint, dass Jean Passerat-Monnoyeur sofort sah, dass Madame Couderc wusste, was mit ihm los ist. Was mit ihm los war? Er war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden und wusste nicht vorhin mit sich. Die Witwe hat diese Prägung wohl erkannt und man verrät wohl auch nicht zuviel, wenn man erzählt, dass die Verständigung zwischen den beiden häufiger auf dieser Ebene funktionierte: sie mussten nicht miteinander reden, um zu wissen.
Die Frau, die Mitte vierzig war, betrieb allein einen Hof. Ihr Mann, ein Taugenichts in ihren Augen, war verstorben; der Sohn war im Gefängnis gewesen, als Sündenbock für einen Gruppendiebstahl wurde er weggesperrt, und diente danach in Afrika bei der Armee. Auch er war ein Schmarotzer, wie die Frau ohne weiteres zugibt. Es ist ein wenig Selbstmitleid dabei, denn der letzte Schmarotzer, den sie noch im Haus ist ihr Schwiegervater, der sich nicht scheut, ihr nachzusteigen. Sie will es sich mit ihm nicht verderben, denn obwohl er verkalkt scheint und taub ist, gehört ihm noch das Haus, das sie bewohnt – so gibt sie sich dem alten Couderc hin und wieder hin.
Jean begegnet sie im Bus. Sie kam aus der Stadt, wo sie gerade einen Brutapparat gekauft hatte. Eine tolle Erfindung, nur etwas schwer zu tragen für eine Frau. Der junge Mann entschließt sich, nachdem er das Aussteigen der Frau beobachtet hat, ebenfalls den Bus zu verlassen. Läuft zurück und bietet ihr seine Hilfe an. Die Hilfe wird nicht nur für das Tragen des Gerätes angenommen: Jean fängt als Knecht auf dem Hof an, wird Teil der Familie und wird ohne groß gefragt zu werden, in die Witwe-Couderc-Partei aufgenommen. Die ist für die Witwe (was sich versteht) und gegen die anderen aus dem Clan, in den sie eingeheiratet hat.
Der Schwiegervater der Witwe ist noch harmlos, aber die »auf der anderen Seite« waren heimtückisch und sahen es auf das von ihr Erarbeitete und Gepflegte ab. Sie wollten Haus und Hof. Dabei handelte es sich um die Tochter ihres Schwiegervaters und ihren Mann. Der Hass von Tati, wie Madame Couderc auch gerufen wurde, bündelt sich aber auf Félicie – ihrer Tochter. Das junge Mädchen rannte schon mit einem »Balg« rum, dass es sich hatte »andrehen« lassen. Eine Verderbtheit, die Tati Couderc nicht durchgehen lässt – schließlich endete ein solches Abenteuer bei ihr mit der Ehe mit dem verstorbenen Monsieur Couderc. Das scheint ein wenig inkonsequent zu sein, was Jean auch so sieht.
Jean plagt sich nicht nur körperlich: zum einen ist da Félicie, von der er sich angezogen fühlt, obwohl sie ihn wie Luft behandelt. Auch geht ihm seine Tag nach, für die er wohl eine Strafe erhalten hatte, aber er wusste, dass die Strafe nur durch die Trickserei seines Anwaltes so niedrig ausgefallen war. Jean hatte einen Mord begangen, dafür verlor man überlicherweise seinen Kopf. Der Gedanke, dass er eigentlich schon unter der Erde sein sollte, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen.
Er kommt der Nichte der Couderc immer näher, muss aber dieser gleichzeitig versichern, dass er nichts mit der Félicie zu tun hat. Die Witwe hat ganz andere Pläne…
Der Brutapparat trägt erste Früchte und dieser Erfolg, den sie trotz des Lächelns der Anderen jetzt davontrug, lässt sie in ganz andere Regionen entschweben. Jean nimmt in diesen Plänen einen festen Platz ein… Dass der junge Mann sie anlügen könnte, will sie nicht wahrhaben.
Vielleicht können Sie sich ja die Frage beantworten, was die die Witwe und was Jean sucht. Am Anfang hat man das Gefühl, dass beide auf ihre Art glücklich sind. Die Frau hat einen Gefährten gefunden, der nicht aus dem Clan kam, der sie knechtete und verachtete; Jean schien Ruhe auf dem Hof zu finden. Tati will weiter bauen, weiter hinauf – ein erfolgreich geführter Hof versöhnt sie mit ihrer eigenen Vergangenheit und ihrem Leben. Schwieriger scheint mir da Jean zu sein: will er nur vergessen, ist er auf der Flucht vor seiner Schuld, die ihm gegenwärtig ist, die nicht durch eine Gefängnisstrafe beglichen ist?