Setzkasten

Wer A3 sagt ...


Schon vor dem Tippen der ersten Zeichen habe ich das Gefühl, dass dies ein launiger Text werden könnte. Solche Texte entstehen immer dann, wenn ich mich freue, etwas entdeckt zu haben, oder wenn ich ein Buch erstanden habe, was mir fehlte. Die Freude ist diesmal dreifach: Zweimal geht es um Auslöser Nummer 1, einmal um Auslöser Nummer 2.

Der Gewinn

Auf einer Internet-Seite, die recht bekannt ist und Pseudo-Auktionen durchführt, sah ich, dass »Brief an meine Mutter« angeboten wurde. Das Angebot offerierte das Buch als Hardcover aus dem Diogenes-Verlag und meine kleine, schnuckelige Webseite zierte das Cover besagter Ausgabe aus dem Jahr 1978 noch nicht. Also habe ich zugeschlagen, denn es sah so aus, als würde es mein Taschengeld-Budget nicht nennenswert belasten und es bliebe mir noch genügend Essensgeld (beziehungsweise bei dem Wetter Eis-Geld).

Vorsichtig packte ich das Schätzchen Ende letzter Woche aus und freute mich über ein makelloses Exemplar. Manchmal bekomme ich Eroberungen zugesandt, bei denen ich mich frage, wie viel Fantasie und Kraft der Anbieter aufbieten musste, um zu der Qualitätsbeschreibung zu kommen. Aber in diesem Fall: alles bella.

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»Brief an meine Mutter« – Besitzer und Kassenzettel

Ich schlug das Buch auf und mir fielen zwei Sachen auf, die ich bemerkenswert fand: Offenbar hatte jemand sein Buch unterschrieben und notiert, wann er es erworben hatte. Der Besitzer hatte seinen Wohnsitz in Magdeburg, DDR. Dass es höchstwahrscheinlich kein Geschenk war, entnehme ich dem Kassenbon, der ebenfalls in dem Buch zu finden war. 19,80 M hatte das Buch gekostet. Ich bin mir sicher, dass »M« auf jedem DDR-Kassenzettel stand, während auf den westdeutschen Bons »DM« vermerkt war. 

In der DDR konnten Diogenes-Bücher gekauft werden – in der Regel handelte es sich um Klassiker, für die ich kein besonderes Interesse hegte. In der Bibliothek, die ich damals regelmäßig heimsuchte, waren auch Diogenes-Ausgaben von John Irving zu finden. Neu war für mich, dass auch Import-Simenons verkauft worden waren. Das Buch sieht so aus, als wäre es wie ein kleiner Schatz behandelt worden. Der obergenannte Preis für ein Buch war für DDR-Verhältnisse übrigens exorbitant. Normalerweise waren Bücher günstiger.

Nun ist der autobiografische Text von Simenon nicht besonders umfangreich und um ein Buch von 12cm x 19cm mit 146 Seiten zu füllen, bedarf es schon ein wenig mehr als nur einer großen Schriftgröße. Diogenes wählte eine wahrhaft kreative Variante: Hinter (oder je nach Betrachtungsweise: vor) jeden Absatz wurde eine Leerzeile eingefügt.

Nehmen wir mal an, dass der ehemalige Besitzer Klaus fünfzehn Jahre später eine Buchhandlung betreten hat, er hätte die Chance dieses Buch nochmals zu erwerben: diesmal im Format 8cm x 12cm.

Der Fund

Als ich diese wahrhaft großzügige typografische Lösung sah, kam mir in Erinnerung, dass ich eine Ausgabe des Buches haben müsste, die sehr klein war. Definitiv kleiner als die Standard-Diogenes-Taschenbücher. Ich stöberte in meinen Regalen und meinte ein Buch suchen zu müssen, dass die große von vier Daumennägeln hat. Diese Mini-Bücher waren eine zeitlang en vogue gewesen – sie waren so klein, dass man sie im Zweifel herunterschlucken konnte. Ehrlich gesagt kann ich nicht einmal sagen, ob es diese Bücher heute noch gibt.

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Der große und der kleine Brief – Vergleich der Ausgaben

Meine Erinnerung hatte mich getäuscht. Das Buch war klein, aber doch nicht so klein. Ich fand es in der hintersten Ecke meines Simenon-Sekundärliteratur-Regels.

Der Seiten-Umfang ähnelte übrigens – trotz der wesentlich kleineren Maße – der gebundenen Ausgabe. An der Typografie hatte die Gestalter neben dem Satzspiegel nur einen wesentlichen Aspekt geändert: die Schriftgröße. Die Absätze wurden in dieser Variante, und das ist wirklich ein wenig skurril, ebenfalls durch eine Leerzeile getrennt. 

Der Effekt, den das haben kann, ist übrigens erstaunlich: Jeder Absatz wirkt wie ein wichtiger Gedanke, fast so, als würde man einen Band mit Aphorismen lesen. Ich will den Text nicht geringschätzen, ich halte ihn einen der besten autobiografischen Texte Simenons – über weite Strecken hatten der Brief jedoch erzählenden Charakter. Damit kann nicht jeder Absatz ein Höhepunkt sein. Lustig, dass der Eindruck durch eine solche typografische Gestaltung erreicht werden kann.

?, ?, A3

Aber wie sieht es in den neuen Ausgaben aus. Kampa hatte unter dem Label »Gatsby« eine Hardcover-Ausgabe herausgebracht und Atlantik brachte eine günstigere Taschenbuch-Ausgabe auf den Markt. In beiden Ausgaben wurde auf die Leerzeilen zwischen Absätzen verzichtet und so liest sich der Text flüssiger. 

Bei der Betrachtung der Atlantik-Ausgabe sprang mir die Nummerierung »A3« ins Auge, was auf Reihe autobiografischer Schriften um Simenon schließen lässt. In meiner Liste fand ich keine Anhaltspunkte, dass schon andere autobiografische Texte von Simenon bei Atlantik erschienen sind und müsste raten, mit welchem Inhalt die Bände eins und zwei daherkommen. Auch kann ich nicht sagen, wie umfangreich die Reihe einmal sein wird. Dass die »Intimen Memoiren« in der Reihe erscheinen könnte, scheint sehr wahrscheinlich – nachdem die Hardcover-Ausgabe von Hoffmann und Campe schon zum Anfang der Neuedition herausgegeben wurde. 

Klar ist aber auch, dass die Hamburger abhängig vom Input von Kampa sein sollen und nach meiner Beobachtung wird die Herausgabe von autobiografischen Texte von Zürich derzeit nicht priorisiert betrieben.