Über die Story

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Die Ermittlung ging schon ganz komisch los. Man fand einen Mann, der in Paris orientierungslos herumirrte, keine Papiere bei sich trug, dafür aber Geld. Er wusste nicht, wer er war und konnte keinerlei hilfreiche Hinweise geben. Was die ganze Geschichte verdächtig machte, war, dass er eine gerade erst verheilte Kopfwunde hatte, die von einer Schussverletzung herrührte, die aber sehr fachmännisch behandelt worden war. Der Mann lächelte liebenswürdig die ganze Zeit, scheinbar unbeeindruckt von den anstrengenden Verhören, denen er unterworfen wurde.

Man startete eine landesweite Kampagne um Informationen über diesen Mann zu bekommen. Das half! In Paris meldete sich Julie Legrand, die als Haushälterin des Mannes ausgab: der Aufgefundene wäre Yves Joris, ein ehemaliger Kapitän und vor seinem Verschwinden war er Hafenmeister in Ouistreham, einem Ort unweit von Caen.

Die Haushälterin ist ganz aufgelöst als sie sich zusammen mit den beiden Herren, der eine, der nicht weiß, wer er ist, und der andere, der nicht weiß, was sich abgespielt hat und noch nicht ahnt, was sich abspielen wird. Sie versucht ihre Sorge über das Geschehene zu kaschieren, in dem sie sich besorgt um den Kapitän kümmert. Der dankt es mit einem Lächeln.

»Würden Sie ein Streichholz anzünden? Ich finde das Schloss nicht.«
Eine kleine Flamme. Die Tür wurde aufgestoßen. Ein dunkles Etwas huschte vorbei, streifte Maigrets Beine. Julie, die im Flur stand, knipste das elektrische Licht an, blickte verwundert zu Boden, murmelte:
»Das war doch die Katze, die da eben raus ist, nicht wahr?«

Dabei war sie sich ganz sicher, dass sie die Katze vor ihrer Reise nach Paris aus dem Hause gesperrt hatte. Maigret nutzt die Zeit, sich mit dem Haushalt bekanntzumachen, die Atmosphäre einzuatmen. Aus dem Kapitän war nichts herauszubekommen, Julie konnte nichts sagen: auch nicht, wie der Brief zu erklären ist, in dem die Bank dem Kapitän mitteilt, dass ihm 300 000 Francs überwiesen worden sind. Das könne nicht sein, so ihre Meinung, der Kapitän sei nicht reich. Das könne nur ein Missverständnis sein, ein ganz großes…

Obwohl ihm Julie das anbietet, macht Maigret von dem Angebot, in dem Haus zu schlafen, keinen Gebrauch. Vielleicht will er sich von dem Ambiente nicht ganz einlullen lassen, möchte lieber die Stimmung und die Menschen im Dorf erforschen, wahrscheinlich hat er auch erkannt, dass das Angebot von Julie nicht ganz uneigennützig war – sie hatte Angst.

So stapft er durch den Nebel zum einzigen Hotel des Dorfes, dass sich noch Fischerdorf ist, den Sprung zum mondänen Badeort nicht geschafft hat.

Und als er einen Steg erblickte, ging er darauf zu.
»Vorsicht!«
Es war unheimlich! Denn die Stimme war ganz nah. Obwohl er das Gefühl vollkommener Einsamkeit hatte, war da kaum drei Meter von ihm ein Mann, von dem er kaum, selbst wenn er sich anstrengte, die Umrisse sah.
Die Warnung aber verstand er sofort. Der Steg, den er hatte betreten wollen, bewegte sich. Es war das Schleusentor, das geöffnet wurde, und das, was jetzt folgte, war reine Halluzination: Was da ganz nah, wenige Meter entfernt, vor ihm auftauchte, das war kein Mensch, sondern eine wahrhafte Mauer, hoch wie ein Haus. Und oben auf dieser Mauer waren vom Nebel gedämpfte Lichter zu sehen.

Gewarnt hatte ihn Kapitän Delcourt, der in der Abwesenheit die Pflichten als Hafenmeister wahrgenommen hatte. An dem Abend hat der Mann keine Zeit für einen Plausch mit dem Kommissar, er kann ihm nur den Weg zum Hotel weisen. Am nächsten Morgen hat Maigret nicht sofort Zeit für Delcourt. Er wird zum Haus des geheimnisvollen Kapitäns gerufen:

»Schnell! Der Kapitän liegt im Sterben!«

Wer hätte das gedacht? Da verpasst man dem armen Mann erst eine Kugel, pflegt ihn dann aufwendig gesund, um ihm dann umzubringen? Zu vergiften, wie ihm der Dorfpolizist mitteilt, mit Strychnin, wie der anwesende Arzt Maigret auch gleich mitteilt, der die letzten Atemzüge des Kapitäns mitbekommt.

Feinde? Die Frage stellt ein Polizist immer wieder, in den meisten Fällen bekommt er zur Antwort: Nein, niemanden! So kann sich auch keiner vorstellen, warum der Kapitän sterben musste. Er hatte kaum Freunde, war nicht reich und auch keine Liebschaften. Ein bisschen komisch sei er schon gewesen, aber das ist ja nun kein Grund jemanden umzubringen…

Auch Julie benimmt sich sehr merkwürdig, hat sich in ihr Zimmer eingeschlossen, will mit keinem reden, auch mit dem Kommissar nicht, der ja nun wirklich nicht »Jeder« oder »Keiner« ist. So bleibt diesen nichts anderes übrig, als pure Gewalt – mit seiner nicht unerheblichen Masse rennt er die Tür ein und entreißt der jungen Frau einen Zettel, der sich als Briefchen ihres Bruders entpuppt.

Der Bruder, da war noch was!, ist nicht ganz ohne. Er saß jahrlang im Gefängnis, weil er einmal im Suff jemanden totgeschlagen hatte. Sein Ruf war im Dorf nicht der Beste und Julie wusste, dass er auf der Liste des Kommissars an erster Stelle stehen würde, wenn der erfahren würde, dass ihr Bruder im Haus gewesen war.

Maigret darf sich im Folgenden die Untersuchung mit dem Bürgermeister teilen, einem bekannten und angesehenem Reeder, der Protektion von »ganz oben« genießt, dem zugereisten Kommissar aber mehr Steine in den Weg liegt, als dass er zur Aufklärung des Falles beitragen würde. Purer Lokalpatriotismus?

Der Kommissar, ist in dieser Erzählung zu lesen, beherrscht das Bretonische, nicht perfekt, aber doch soviel, dass er die Einheimischen damit beeindruckt. Gelernt hatte er das in seiner Studienzeit in Nantes.