Patrice weiß, was er tut


Gérard Depardieu ist ein alter Maigret-Hase. Seinen ersten Auftritt in einem Maigret hatte er vor fünfzig Jahren in der Jean-Richard-Folge »Mon ami Maigret«, allerdings im Fokus des Ermittlers stehend und nicht als Titelheld. Nun hat er sich gleich zweimal im letzten Jahr in Simenon-Verfilmungen produziert. Anlässlich der Verfilmung wurde er interviewt und das Gespräch wurde der Presse zur Verfügung gestellt.

Wie ist Ihre Beziehung zu Simenon und insbesondere zu den Maigret-Romanen?
Ich liebe an Simenon, wie auch an Balzac oder Moravia, die Kunst des Details, aber auch seine Fähigkeit, einen Roman in neun Tagen zu schreiben und großartige Geschichten und Charaktere zu entwerfen, indem er sich auf eine kleine Stadt und ein volkstümliches Milieu konzentriert. Ich schätze seine amerikanische Periode sehr, z.B. mit »Der Boden der Flasche« oder »Die Glocken von Bicêtre«. Von Maigret habe ich hingegen nicht viel gelesen, ihn aber oft im Kino oder im Fernsehen gesehen. Maigret gehört zu den großen Kommissaren der Literatur, wie Porphyre in »Schuld und Sühne« oder Javert in »Les Misérables«.

Was hat Sie an dem Drehbuch von Patrice Leconte und Jérôme Tonnerre interessiert?
Das Drehbuch reißt einen mit, und das liegt am Temperament von Patrice, der seinen Beruf bewundernswert gut kennt und einen tiefen Respekt vor allen Berufsgruppen hat, so wie Simenon vor seinen Figuren. Dank Patrice und Jérôme betritt man eine andere Welt.

Maigret hat sich selten so sehr entblößt, und er war nie so erschütternd. Wie nehmen Sie die Figur wahr?
Man sieht zum ersten Mal, dass er ein Herz hat, eine Menschlichkeit, und man entdeckt bei dieser Gelegenheit, dass er mit Madame Maigret eine Tochter hatte – es gibt nicht nur den Eintopf in seinem Leben! Er hat eine echte Beziehung zu seiner Frau, ein ganzes Leben an ihrer Seite, das der Film spürbar macht. Man spürt ihre Komplizenschaft in der Szene auf dem Friedhof. Aber es bedurfte eines Mannes wie Patrice, mit seinem tiefen Sinn für Menschen, und all seiner Mitarbeiter – von Jérôme Tonnerre bis Yves Angelo, ohne die Dekorateure,die Maschinisten und die Elektriker zu vergessen – um ein solches Ergebnis zu erzielen.

Das Außergewöhnlichste ist, dass Sie trotz Ihres Bekanntheitsgrades und Ihrer Filmografie hinter der Figur verschwinden, die selten so verkörpert wurde.*
Man sieht die Schwere der Figur, ihre monolithische Seite, und das ist es, was sie menschlich macht. Ich bin der Anzug von Maigret, ich bin das Herumlaufen und Beobachten der Figur mit doppelter Aufmerksamkeit, denn er hat seine Pfeife nicht mehr. Das könnte ihn reizbar machen – aber nein, es macht ihn doppelt so aufmerksam für alles, was um ihn herum passiert.

Die Szene, in der Sie beim Rasieren hören, wie Betty und Ihre Frau zu lachen beginnen, und ein leichtes Lächeln aufsetzen, ist wunderbar zurückhaltend...
In solchen Momenten wird deutlich, dass Maigret um seine Tochter trauern muss, wie in der Szene, in der er einen Veilchenstrauß auf dem Friedhof niederlegt. Man sieht, dass er Betty als seine Tochter ansieht, und als er sich am Ende von ihr verabschiedet, ist das erschütternd. Übrigens hat Betty im Bett seiner Tochter geschlafen und die Marmelade gegessen, die Frau Maigret für sie gekocht hat...

Patrice Leconte ist dafür bekannt, nur wenige Takes zu drehen. Wie haben Sie das erlebt?
Das passt mir sehr gut! Man sollte höchstens einen oder zwei Takes drehen. Was zählt, sind die Emotionen.

Wie reagierten Sie, als Sie den Film sahen?
Patrice weiß, was er tut. Es ist selten, so viel Genauigkeit zu sehen, und es war ein Vergnügen, Leute wie Yves Angelo wiederzusehen, mit dem ich so viele Filme gedreht habe. Alles hat mich begeistert: die Kameraachsen, die expressionistischen Aufnahmen, ein bisschen wie in »Die Nacht des Jägers« (1955), die entsättigten Farben, die an Schwarz-Weiß grenzen, die Unbeweglichkeit der Figuren, die Verfolgung, Maigrets Büro, der Überzieher und die sehr »simenonschen« Dialoge.

 

* Anmerkung von maigret.de: Die Story wird nicht wahrer durch Wiederholung – es mag wenig aktuelle Verfilmungen für das Kino geben. Aber in der Vergangenheit es gibt eine ganze Reihe von Maigret-Filmen, die ersten kurz nach dem Erscheinen der ersten Maigret-Filme. Dann wären da noch eine ganze Reihe, sehr langlebiger Serien.