Der letzte Maigret


Die Preisfrage: Womit werden Simenon-Liebhaber im nächsten Frühjahr überrascht? Steht doch das Ende der Maigret-Reihe bevor, da könnte das eine oder andere Schmankerl jenseits der Maigret-Welt folgen. Das mag die Hoffnung der Leserinnnen und Leser gewesen sein. Diese Erwartungshaltung muss enttäuscht werden. Ein Blick auf das, was da kommt ...

»Erst die gute Nachricht oder erst die schlechte?« Wenn so ein Gespräch eröffnet wird, dürfen sich zu recht, die Nackenhaare aufstellen. Die Geschmäcker, was man zuerst hören möchte, sind naturgemäß unterschiedlich. Insofern soll dem Naturell der Webseite gefolgt werden und zuerst mit dem Positiven begonnen werden.

Hanseatische Geradlinigkeit

Der Atlantik-Verlag setzt seine Taschenbuch-Edition fort. Wie schon in den Vorjahren werden die Simenon-Leser:innen mit zwei Paketen beglückt. Das erste der Frühjahrs-Päckchen wird im März veröffentlicht. Da hat man die fünf Bände aus dem Januar wahrscheinlich schon verdaut und kann sich auf vier Maigrets freuen plus einen Non-Maigret. Mit von der Partie sind:

  • Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
  • Maigret verliert eine Verehrerin
  • Maigret und der Fall Nahour
  • Maigret und der Mann auf der Bank
  • Der Umzug

Die Maigrets sind durch die Bank von Kampa in Auftrag gegebene Renovierungen der KiWi-Übersetzungen, was ebenso auf den Non-Maigret der fünf Jahre zuvor schon als Hardcover erschien.

Anfang Juli werden die nach Simenon Dürstenden mit einer 2-zu-5-Kombi beglückt. Das Ober-Thema lautet »Übersee«, aber die Auswahl ist schon sehr Amerika-lastig. Den Leser erwarten folgende Romane:

  • Bellas Tod
  • Maigret in New York
  • Maigret in Arizona
  • Am Maultierpass
  • Tropenkoller

Die Übersetzungen der Maigrets sind – wie gewohnt – KiWi-Überarbeitungen, das trifft auch auf den Roman »Tropenkoller« zu. Die Übertragungen für die beiden anderen Romans Durs wurden von Diogenes übernommen.

Von der Last, eine passende Zwischenüberschrift zu finden oder Unterdrückte Tränen

Klingt viel zu dramatisch. Die Gelegenheiten, in den letzten beiden Jahren Tränen zu vergießen, waren so zahlreich, dass ein Verlagsprogramm nicht der Grund sein sollte. Hin und wieder ein wenig Dramatik in einem nüchternen Text schadet aber nicht. Also … was kommt aus Zürich?

Da wäre zum einen das Sommerloch-Lesebuch, welches im Juni 2024 erscheinen soll. Das sind normalerweise Sammlungen von schönen Geschichten, manchmal allerdings auch nur Gedanken. Herausgegeben wird es von Aleksia Sidney und wir wollen mal hoffen, dass es diesmal einen besseren Ausgang mit dem angekündigten Beitrag von Simenon nehmen wird als in dem vor einiger Zeit erschienenen »Wanderlust«.

Der große Simenon-Monat ist der Mai. Da soll nun – endgültig und wahrhaftig – die Maigret-Reihe abgeschlossen werden. Der letzte Band »Maigret und Monsieur Charles« wird die Welt erblicken. Es sollte gewürdigt werden, dass der (ehemalige) Start-up-Verlag aus Zürich das innerhalb von sechs Jahren gestemmt hat – trotz Corona, trotz Inflation, trotz der steigenden Papierpreise.

Nun wird in der Vorschau nicht nur ein Maigret angekündigt, es werden gleich sechs. Bevor jemand einen Herzschlag bekommt, weil plötzlich fünf neue Maigret-Romane aufgetaucht sind: Darum geht es mitnichten. Bei den Veröffentlichungen handelt es sich um Geschichten, die schon bei Kampa erschienen sind, die in der gleichen Sammler-Aufmachung herauskommen wie zuvor und sich nur in einem kleinen Detail unterscheiden – sie haben ein Nachwort.

Zu den Fünfen gehören:

  • Maigret und das Gespenst (zuletzt erschienen im September)
  • Maigret beim Minister (zuletzt erschienen im September)
  • Maigret im Haus des Richters (erschien bei Kampa 2018)
  • Maigret und der geheimnisvolle Kapitän (zuletzt erschienen im September)

Diese Titel waren bisher nicht mit Nachworten ausgestattet gewesen. Auf die ebenfalls in die Reihe gestellte Geschichte »Maigret amüsiert sich« trifft das nicht zu – der hatte auch schon in seiner ersten Ausgabe ein Nachwort von Jean-Luc Bannalec. Zum Abschluss werden die Romane angepriesen als »sechs Fälle mit Nachworten berühmter Krimi-Bestsellerautor:innen«. 

Die Enttäuschung unter den Sammlern dürfte greifbar sein: Da haben sie ihre letzte Maigret im September komplettiert, bis auf einen … und acht Monate später überrascht der Verlag mit Abschluss der Edition mit neuen Varianten, die um ein Nachwort ergänzt wurden. 

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Ein kleiner Fauxpas ist auch in der Vorschau bei der Gestaltung zu finden. Der Marketing-Move zwischen der Crème de la Crème der deutschen Krimi-Welt und deren Empfehlungen für Maigret und Simenon ist mehr als gelungen. Wenn sich die Mühe gemacht wird, eine, wenn auch fiktive, Visitenkarte Maigrets zu reproduzieren, sollte darauf geachtet werden, dass die Schreibweise der Straße französischen Gegebenheiten entspricht – also bitte »36 Quai des Orfèvres«. Würde dann stimmiger wirken.

Die Enttäuschung wird dadurch gesteigert, dass der Durst nach Neuem so überhaupt nicht gestillt wird. In der Datenbank von maigret.de stehen mittlerweile sechs Titel auf »unsichtbar«, weil diese zwar vor Jahren mit Erscheinungstermin angekündigt worden sind. Dann wurden sie geschoben und geschoben. Mittlerweile ist überhaupt keine Rede mehr von den Büchern.

Für diejenigen, die alles von Simenon sammeln und lesen, heißt das: Im Frühjahr gibt es nur eine Neuveröffentlichung von Kampa. Und es bedeutet ebenso: Warten auf den nächsten Herbst.