Die Ursuppe


Es war keine leichte Geburt, dieser Maigret. Staatliche Ausmaße erfolgen hohen Einsatz. Ganz so, wie Simenon es später schilderte, ist der Kommissar wohl nicht geboren worden. Uns ist es egal, Hauptsache er ist gesund und hat sich prächtig entwickelt.

So war es bekannt:

Seit einiger Zeit fühlte ich das Ende meiner Lehrjahre nahen, in denen ich zahllose Erzählungen und Groschenromane geschrieben hatte. Aber noch zögerte ich, mit einem schwierigeren, wenn nicht sogar ernsteren Genre anzufangen. Ich sehe mich noch an einem sonnigen Vormittag in einem Café sitzen, dessen Besitzer tagtäglich stundenlang seine Tische mit Leinöl zu polieren pflegte…
[...]
Habe ich ein, zwei oder sogar drei kleine Genever mit einem Schuß Bitter getrunken? Jedenfalls sah ich nach einer Stunde, ein wenig schläfrig, allmählich die mächtige, unbewegliche Statur eines Mannes sich abzeichnen, der mir einen rechten Kommissar abzugeben schien. Im Laufe des Tages gab ich ihm noch ein paar Requisiten: eine Pfeife, eine Melone auf dem Kopf, einen dicken Überzieher mit Samtkragen.
[...]
Am nächsten Mittag war das erste Kapitel von Maigret und Pietr der Lette fertig; vier oder fünf Tage darauf der ganze Roman.

Eine faszinierende Geschichte, aber mittlerweile ist man sich wohl einig, dass Simenon bei dieser Schilderung einiges durcheinander geschmissen hat. Selbst Maigret würde Einspruch erheben, wenn er die Geschichte auseinander nehmen müsste und die Fakten kennen würde. Es lässt sich damit zusammenfassen, dass Simenon zur angegebenen Zeit nicht an dem genannten Ort war. Er mochte etwas in der Zeit geschrieben, er mochte auch etwas an dem Ort geschrieben haben - aber »Pietr der Lette« ist nicht in Delfzijl entstanden. Was sehr bedauerlich ist, denn das Denkmal steht so offenbar an der falschen Stelle.

 

Wie ein Bär
Müssten wir den ersten der Maigrets nicht preisen? Schließlich ist es der Beginn einer Reihe, die viele Menschen fasziniert und unwahrscheinlich gern gelesen wird. Der Beginn eines Serie, mit der Simenon eine Popularität erzielte.  
Das schleichende Ende
Dem ersten (offiziellen) Maigret folgten eine ganze Reihe von Maigrets, denen man erfreulicherweise eine steigende Qualität bescheinigen konnte. Allerdings war nach drei Jahren schon wieder Schluss. Aber nur so halb. 
Kleine Maigrets
Lang dauerte Abschied von Kommissar Maigret nicht. Mitte der dreißiger Jahre kehrte Simenon zu seinem Kommissar zurück und machte ihn in Kurzgeschichten zum Schnell-Ermittler. Der Kommissar bereitete sein Comeback vor. 
Die große Zeit
Die Kurzgeschichten waren nur ein Zwischenspiel, Fingerübungen für Simenon. Anfang der 40er Jahre kehrte Maigret zurück und sollte gedeihen. Er gewann an Format und Erfahrung. Simenons Anfängerfehler, wenn man sie so nennen will, sind in diesen Romanen nicht zu finden. 
Ausklang
Gold war damals auch Gold, aber im Fernsehen halt noch schwarz-weiß. Maigret trat von der großen Leinwand, auf der er meisterhaft von Jean Gabin verkörpert wurde, in die kleine Kiste und mit dieser wurde Rupert Davies zum Sinnbild für Maigret. Zumindest für die Engländer und Deutschen. 

Mittlerweile geht man davon aus, dass der Roman 1930 von Simenon geschrieben wurde und zwar in Paris.

Maigret tauchte schon früher auf. Allerdings halt teilweise unter fremden Namen und unter »falschem« Autoren-Namen. Seinen ersten Geburtstag hat er demnach in dem Roman »L’amant sans no«, der unter dem Namen Christian Brull erschien, in dem Maigret aber noch nicht Maigret hieß sondern ziemlich geheimnisvoll Nummer 49. Weniger geheimnisvoll ist übrigens das Pseudonym, unter dem der Roman erschien. Christian ist der Vorname seines Bruders und Brull ist eine leicht abgewandelte Schreibweise des Mädchennamens seiner Mutter.

1930 erschien dann der Roman »Train de nuit«, der ebenfalls von »Pietr«, geschrieben wurde und in dem Maigret der mobilen Brigade von Marseille angehört. Dieser auch nicht im Winter geschriebene Roman erschien bei Fayard.

Mit »La femme rousse« nähert sich Simenon dem Maigret, wie wir ihn kennen, immer mehr. Allerdings spielt nach Marnham nicht Maigret die Kommissar-Rolle, sondern Torrence, der später Maigrets Untergebener sein wird. Fayard wollte diesen Roman nicht veröffentlichen, deshalb erschien er mit einer Verspätung 1932 bei Tallandier.

Ebenfalls wenig begeistert war man bei Fayard offenbar von dem Roman »La maison de l’inquiétude«, den man wiederum ablehnte und den Simenon schließlich in der Zeitschrift »L’Œuvre« unterbrachte. Dies ist der einzige Roman von den Vorläufern, der als deutsche Übersetzung vorliegt. 2019 wurde er als Erstveröffentlichung von Kampa herausgegeben.

So war es schließlich »Pietr le letton« der von Fayard unter dem Namen Georges Simenon veröffentlicht wurde und somit als der erste Maigret gilt. Simenon war der Meinung, dass dieser Roman ein Meilenstein in seiner Karriere wäre, insbesondere was die Qualität des Romans anging. Sein Problem war, dass seine Verleger von der Idee einer Maigret-Reihe nicht sehr begeistert waren. Es waren sicher Berührungsängste mit diesem Ermittler, der überhaupt nicht logisch vorging und sich mehr von seinen Gefühlen und Eingebungen treiben ließ. Simenon setzte sich aber gegenüber Fayard durch und organisierte darüber hinaus noch eine große Party, die den Namen Maigret und damit auch den Namen Simenon in Paris bekannt machen sollte.

Zu diesem Zweck wurde die Bar »La boule blache« in der Rue varvin angemietet. Simenon hatte die Idee, zu einem ball anthropométrique einzuladen, das Thema war also die erkennungsdienstliche Behandlung von Verdächtigten. Die 400 geladenen Gäste und deren Verköstigung sprengten das Budget, welches Fayard für solche Veranstaltungen hatte und so musste Simenon den Rest aus eigener Tasche zuschießen.

Der Ball war ein Erfolg, über Simenon und seine Maigrets wurde berichtet. Das Echo war fast durchweg positiv und so kann man sagen, dass es eine lohnende Investition war.

Die Kritiken in den Zeitungen und Zeitschriften waren größtenteils gnädig, es gab nur wenig Nörgler. Ein Hauptkritikpunkt war im ersten Wurf seltener die Qualität der Maigret-Romane. Was viele Kritiker störte war die ungeheure Produktivität von Simenon, es ging vielen sicher nicht in den Kopf, dass eine solche Produktivität sich mit Qualität vertrug. Robert Brasillach hat laut Eskin zu Simenons Romanen eine interessante und sehr aufschlussreiche Kritik geschrieben. Ein Kernsatz lautete:

Sollte Monsieur Simenon jemals die literarische Bildung erwerben, die ihm fehlt, können wir sicher noch einiges von ihm erwarten.

Eskin schließt übrigens, dass die Kritiken Simenon relativ ungerührt ließen. In einem satirischen Artikel machte er sich über die Kritik an seinen Detektiv-Romanen sogar lustig. Allerdings muss Simenon noch etwas an literarischer Bildung erworben haben, denn seine Maigrets wurden mit der Zeit immer besser. So ganz unrecht hatte Monsieur Brasillach nicht.