Edmée – »La maison du canal«

Komische Menschen


Dieses Wort »komisch« ist komisch, weil es für ganz unterschiedliche Sachen steht. Hier ist die Bedeutung nicht »lustig«, sondern beschreibt Menschen, deren Motivation sich nicht erschließt. Eine Überlegung war, sie »böse« zu nennen. Aber was ist schon böse? Gerade dann, wenn man so viel Hilflosigkeit, Einsamkeit, Trostlosigkeit sieht – und keinen Lichtblick am Horizont?

Liest man den Roman von Simenon, denkt man nur an eines: Nebel. Die gesamte Situation erscheint einem neblig oder zumindest verhangen. Wenn es das nicht ist, dann regnet es. Wer sich also sonnige Gedanken machen will mit einem Simenon-Comic, der muss warten. Sonnenschein gibt es in dieser Geschichte nicht und da ist sie sehr nah am Original.

So etwas finde ich schon mal dufte!

Also nicht den fehlenden Sonnenschein, der kann einem wirklich auf das Gemüt schlagen und das gilt auch für den Rest der Story, die in diesem Comic erzählt wird. Das Buch habe ich seit längerem nicht gelesen, aber ich konnte keine Sperenzien erkennen. 

Eine junge Frau – Edmée – kommt aus der Stadt zu Verwandten auf dem Land. Die Mutter war schon länger tot, nun war der Vater verstorben. Sie war nicht der Typ, den man als besonders lebensfroh bezeichnen würde. Edmée ist nicht hübsch und wirkt auch nicht aufgeweckt, ist jedoch eindeutig der Meinung, dass sie etwas Besseres wäre. Mit ihren Fähigkeiten, wenn sie welche hat, passt sie nicht in den Bauernhaushalt.

Dass in dem Haus überwiegend Flämisch gesprochen wird, ist eine weitere Schwierigkeit für die junge Frau. Nur ihre älteren Cousins und Cousinen sind im Französischen derart bewandert, dass sie mit Edmée kommunizieren können. 

Fröhlich sind sie nicht gestimmt, da auch ihr Vater verstorben war. Just in dem Augenblick, in dem Edmée ankam.

Wir sehen schon, in welche Stimmung die Leser:innen/Betrachter:innen versetzt werden sollen. Hier ist nichts gut und es wird auch nicht gut enden. Ihre Cousine ist in Leute aus der Umgebung verliebt, ihr Cousin Fred hurt rum, ihr Cousin Jef ist recht fix in sie vernarrt. 

Sie nutzt ihren Cousin Jef aus und der macht ausgesprochen schräge Dinge. Würden heute Eltern und Lehrer:innen hinter solche Gewohnheiten kommen, würden sie schnell einen Psychiater hinzuziehen. Zumindest wäre das wünschenswert. Edmée realisiert die Verwerflichkeit, bestärkt ihn jedoch, diesen Verrücktheiten nachzugehen. 

Komische Leute, ich sagte es …

»La maison du canal«

Die Macher

Das Script

José-Louis Bocquet gilt als vielseitiger und talentierter französischer Autor, Journalist und Szenarist. Bereits als Jugendlicher initiierte er eigene Comic-Projekte und gründete mit dreizehn Jahren das Fanzine »BIZU«. Schon früh sammelte er Erfahrungen als Redakteur, Buchhändler und Herausgeber. In den 1980er Jahren war er Mitarbeiter der renommierten Pariser Comicbuchhandlung Temps Futurs und verfasste erste Beiträge für die Zeitschrift »Métal hurlant«

Seine Fähigkeiten umfassen das Schreiben, die Konzeption und die Organisation redaktioneller Inhalte im Bereich Comic, Literatur und Film sowie das Entwickeln von Szenarien für Comic, Fernsehen und Kino. Bocquet arbeitete mit namhaften Künstlern, Zeichnern und Regisseuren zusammen, etwa als Kolumnist bei den Humoristen Humanoïdes Associés, als Mitherausgeber, Roman- und Sachbuchautor sowie als Drehbuchschreiber. 

Daneben verfasste er Biografien, unter anderem über Georges Lautner, André Franquin, René Goscinny und Pionierinnen der Frauenbewegung wie Olympe de Gouges, Kiki de Montparnasse, Joséphine Baker und Alice Guy. 

Die Zeichnungen

Nicht ganz so viel ist über die Zeichnerin zu erfahren. Édith, geboren 1960 in Marseille, ist eine der schillernden Persönlichkeiten in der französischen Comic-Szene. Nach ihrem Kunststudium in Paris schloss sie sich dem kreativen Atelier Asylum an und arbeitete dort mit Größen wie Riff Reb’s und Cromwell an gemeinsamen Projekten. 

Richtig bekannt wurde sie Anfang der 1990er-Jahre als Illustratorin der beliebten Jugendserie »Basil und Victoria«, deren zweiter Band direkt beim renommierten Comicfestival in Angoulême ausgezeichnet wurde und die sogar eine eigene Fernsehadaption bekam – ein Ritterschlag für jeden Comic!

Seitdem ist Édith in fast allen Altersklassen gefragt: Sie bebildert Geschichten für Kinder und Erwachsene, arbeitet mit bekannten Szenaristen wie Corcal oder Zidrou und wagt sich auch an eigene Projekte. 

So etwa an die preisgekrönte Adaption von »Der geheime Garten« und an »Séraphine«. 2023 erschien mit »Moi, Edin Bjornsson« ihr erstes komplett selbst ausgedachtes und gezeichnetes Album. 

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Eindrücke

Als Einstieg haben wir eine Symphonie aus grau-blauen Tönen. Das ist der Teil, wo Edmée in Richtung ihres neuen Zuhauses fährt. Das Einzige, was da mal leuchtet, sind die Lichter im inneren einer Straßenbahn. Aber auch die wird offenbar ausgeschaltet, als es raus auf das Land geht.

Während unsere Heldin – will man sie wirklich so nennen? – sehr blass erscheint, werden die Bauern pausbäckig mit roten Wangen gezeichnet. Jef wird als Koloss dargestellt, der nicht weiß, wohin mit seinen Fingern. Sein Bruder Fred erscheint nicht gerade grazil, wirkt aber neben seinem Bruder so.

Nichts ist hell. Selbst der Tag, an dem sie Schlittschuhe fuhren, ist bedeckt und ohne Freundlichkeit. Alle Innenszenen sind nur teilweise beleuchtet, was reizvoll ist. Die Figuren agieren im Halbschatten. Die Zeichnerin hat viel Sorgfalt in die Beleuchtung der einzelnen Bilder gesteckt. 

Wenn mal etwas hervorsticht, dann wenn in besonderen Situationen rote Farbe benötigt wird. Sie kann fast als Anzeichen verstanden werden, eine Art Alarm, dass schon bald etwas Drastisches passieren wird. 

Regen, Schnee, Kälte – aber wirklich nett anzusehen. Dazu gehört schon etwas und verdient großen Respekt.

Wollen wir hoffen, dass es auch diese Adaption aus der Reihe Collection Simenon von DARGAUD auf den deutschen Markt schafft. Da ist wirklich was Gutes entstanden. Und interessant, dass wir es schon wieder mit einem Miststück zu tun haben, was den Charakter angeht …