Über die Story

Prosper Donges Tag sollte sich von einer einfachen Katastrophe zu einer kompletten Katastrophe entwickeln. Das seine Lebensgefährtin eine unangenehme Art hat, ins Bett zu steigen, wenn sie morgens von der Arbeit heimkehrte, daran hatte er sich gewöhnt. Ihr Erscheinen bedeutete sein gleichzeitiges Aufstehen, gleichzusetzen mit der allmorgendlichen Katastrophe – anders würde ich ein Aufstehen vor sechs Uhr nicht deuten. Prosper war kein schöner Mensch: er hatte feuerrotes Haar und ein vernarbtes Gesicht (Blattern in der Kindheit). Auf dem Weg zur Arbeit, die Prosper Donge auf dem Fahrrad zurücklegte, kam es zur nächsten Unannehmlichkeit. Er hatte einen Platten, den restlichen Weg durfte er das Fahrrad schieben. So erschien er zehn Minuten zu spät an seinem Arbeitsplatz im Luxushotel »Majestic« und er konnte den Tag getrost als katastrophal abschreiben.

Die folgenden zwei Stunden ging er seinem Tagwerk nach. Knapp drei Stunden später entdeckte er in einem Spind im Umkleideraum eine Leiche.

Die Tote war eine gewisse Mrs. Clark aus Detroit. Ihr Mann war Industrieller und hatte sich am Vortag verabschiedet, um geschäftliche Gespräche in Rom zu führen. Zu der Reisegruppe gehörten ferner der siebenjährige Sohn, die Kinderfrau und eine Lehrerin. Mit Letzterer – Ellen Darroman – knüpfte Maigret kurz darauf ein enges Band der Unsympathie. Während er ihren »Anweisungen« nachkommt und ihr den Leichnam von Mrs. Clark zeigt, ist sie nicht gewillt auf seine Fragen zu antworten. Hinzu kommt, dass Maigret der englischen Sprache nicht mächtig ist und permanent fragt: »Was sagt sie?«, was die Lehrerin noch mehr auf die Palme bringt.

Maigret verbringt den Nachmittag im Keller, befragt (fast) alle Angestellten – nur Donge lässt er aus dem Spiel, der als Hauptzeuge erwartet, dass ihn der Kommissar interviewen würde. Tut er aber nicht. So bleibt Donge nichts übrig als seinem Job als Chef der Kaffeeküche nachzugehen und seine drei »Grazien« zu beaufsichtigen. Als Donge sich zu seinem Fahrrad begibt, welches mittlerweile repariert wurde, folgt ihm Maigret und fährt mit ihm zusammen – Maigret hat sich ein Fahrrad geliehen – nach Hause. Unterwegs führt Maigret mit Donge eine Art Small Talk, die sehr beunruhigend für den Kaffeeküchen-Chef ist.

Maigret macht im Hause Donges die Bekanntschaft Charlottes und erzählt nebenbei, das im »Majestic« jemand umgebracht worden ist.

»Ist es jemand vom Personal?« fragte sie verwundert, aber ohne sich aufzuregen.
»Obwohl es im Untergeschoss geschah, ist es niemand vom Personal. Das ist gerade das Verwirrende an dieser Geschichte… Versuchen Sie einmal, sich einen Gast vorzustellen, eine Dame, die mit ihrem Mann, ihrem Sohn, einer Kinderfrau und einer Lehrerin in einer Luxussuite absteigt, die mehr als tausend Francs am Tag kostet. Und die wird nun um sechs Uhr früh erdrosselt, und zwar nicht in ihrem Zimmer, sondern im Umkleideraum des Untergeschosses. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Verbrechen dort begangen worden. Was hat diese Frau im Untergeschoss zu suchen gehabt? Wer hat sie dorthin locken können und wie? Vor allem zu einer Uhrzeit, zu der Leute dieses Schlages gewöhnlich noch schlafen…«
Viel war es nicht: gerade nur ein Runzeln der Brauen als wäre Charlotte ein Gedanke gekommen, den sie aber sofort wieder verwarf. Ein kurzer Blick auf Prosper, der sich die Hände über dem Herd wärmte. Er hatte sehr weiße Hände mit breiten Fingerkuppen und vielen roten Härchen.
Aber Maigret fuhr erbarmungslos fort:
»Es wird nicht einfach sein, herauszubekommen, was diese Mrs. Clark in dem Keller suchte…«
Er hielt den Atem an, zwang sich, bewegungslos stehen zu bleiben, scheinbar das Wachstuch anzustarren, das auf dem Tisch lag. Man hätte eine Nadel fallen hören können.
Maigret schien Charlotte Zeit lassen zu wollen, damit sie ihrer Erregung Herr wurde. Denn sie war erstarrt. Ihr Mund stand noch halboffen, aber es kam kein Ton heraus. Schließlich vernahm man eine undeutliche Silbe, die wie ein »Ach!« klang.

Das kann man als verraten bezeichnen. Prosper und Charlotte bestreiten aber, eine Mrs. Clark gekannt zu haben und als Maigret, der sich mit Vorleben beider (und auch mit dem von Mrs. Clark) schon befasst zu haben schien, fragte, ob sie denn vielleicht die Tote als Mimi aus Cannes kennen würde, wurde die Situation noch brenzliger. Maigret konnte die Lügen mit den Händen fassen.

Charlotte arbeitete des nachts in einem Club als Toilettenfrau. Am Abend »wirft« sich Maigret in einen Frack und macht sie auf den Weg zu ihr. Das Gespräch ist wenig fruchtbar, war aber für Maigret nur ein Schritt, um die Protagonisten zu Aktionen zu zwingen. Nach dem Gespräch tätigt er einen kleinen Anruf, in dem er das Fernmeldeamt anweist, eine Ferngespräch nach Cannes solange aufzuhalten, bis er im Amt wäre. Dort erfährt aus dem Munde Charlottes, was sie ihm persönlich nicht sagen wollte.

Maigret macht sich auf den Weg nach Cannes, um die Angerufenen zu befragen. Der Rauschgiftrausch einer Prostituierten macht ihm die Befragung sehr leicht. Allerdings nicht lange, denn als sie erwachte und mitbekam, was sie erzählt hat, wird sie zu einer Furie, die Maigret mit Mord droht, wenn… Ja wenn, ich will nicht zuviel verraten. Aber Maigret wird noch von Mr. Clark geschlagen, es stellt sich heraus, dass Mr. Clark nicht an dem Tag seiner Abreise aus dem Hotel nach Rom gefahren ist, der Sohn der Clarks feuerrote Haare hat und der Nachtwächter des »Majestic« ermordet wurde. Zu allem Überfluss bekommt der Untersuchungsrichter noch einen anonymen Brief mit Charlottes Handschrift, in dem Prosper des Mordes an Mrs. Clark bezichtigt wird.

Diese Erzählung ist ein Klassiker in der Reihe der Maigret-Romane und wurde allein dreimal verfilmt. Aus meiner Sicht ist es eine der besten Erzählungen, packend erzählt und mit einer Vielzahl Wendungen und Überraschungen. Also: selber lesen!