Über die Story

Eigentlich ist dieser Roman nichts als ein Bericht aus erster Hand. Simenon scheut sich nicht, in diesem Roman nochmals das Thema »Menschenfracht« aufzugreifen, dass ihn schon in der gleichnamigen Reportage beschäftigt hatte. Der Ton ist ein ganz anderer, das ergibt sich aber aus dem ganz anderen Genre, das Simenon hier verwendet.

In »Tropenkoller« beschrieb der Maigret-Schöpfer, wie ein junger Mann in die heißen Gefilde kommt und sich auf das Heftigste verstrickt, Opfer seiner eigenen Wertvorstellungen wird und dafür bezahlen muss. Hier haben wir es mit zwei Hauptfiguren zu tun… Die Geschichte ist aus der Perspektive von Dr. Donadieu erzählt, ein sich distanziert gebender Mensch, der sich aber brennend für die Schicksale, Sorgen und Nöte anderer Menschen interessiert und immer in der Versuchung ist, einzugreifen, wo er doch andererseits der Meinung zu sein scheint, dass man das Schicksal nicht beeinflussen kann. Wir begleiten als Leser den Arzt auf seiner Reise von Matadi zurück nach Bordeaux und es wohl nicht zuviel verraten, dass man kaum eine Reise wie mit dem Traumschiff erwarten darf. Allerhand Schicksale erwarten den Arzt auf dem Schiff und er kann es nicht lassen, ein wenig Gottvater zu spielen (kann man seinen Namen doch auf »Gabe an Gott« zurückführen).

Da wäre zum einen sein Kollege, den man zurück nach Bordeaux verschifft, da er seinen Verstand verloren hat. Den hatte er schon bei der Anreise nicht bei sich gehabt und diese Reise nach Afrika schien mehr eine Abschiebung der Verwandtschaft zu sein, als denn eine ernst gemeinte Hilfestellung. Nun hielt es seine Frau nicht mehr aus und verbrachte den Mann zurück nach Frankreich, wo ihn sein Weg in ein Sanatorium führen würde, wie man es so charmant umschreibt. Auf dem Schiff gibt es mit ihm einige Probleme, denn er hat die Angewohnheit, auf den Decks entlang zuwandeln und vor sich hinzu brabbeln. Salopp formuliert kommt es so, wie es immer kommen muss - Passagiere fühlen sich gestört und der Mann wird in seine Kabine gesperrt, darf nur noch in den frühen Morgenstunden zu Spaziergängen auf das Deck. Seine Frau, so merkt der Arzt, ist das nicht ganz unrecht – ihr Leben beginnt.

Huret ist Angestellter eine Kolonial-Agentur. Gewesen, wenn man genau will. Das gemeinsame Kind will nicht ganz, und es ging ihm in Afrika nicht gut und an Bord des Schiffes ist es auch nicht gerade berauschend. Hurets Frau hielt sich zumeist in der Kabine auf und bewachte das Kind, dem es so schlecht ging, das die Frau hin und wieder das Gefühl bekam, das Baby würde nicht mehr atmen. Der Mann hielt es in der engen Kabine nicht aus, obwohl ihm der Quartiermeister schon ein »Upgrade« (so heißt es nicht bei Simenon!) von der zweiten in die erste Klasse gewährt hatte. Huret musste nicht lange suchen, denn er fand recht bald eine treue Begleitung. Madame Dassonville kümmert sich um ihn und er sich um sie. So gibt es offensichtlich auf dem Schiff auch Kurschatten-Geschichten, obwohl es eigentlich gar keine Kur ist und auch noch Lebenspartner anwesend sind.

Den Fiesling an Bord gibt Lachaux, ein ehemaliger Kolonialbeamter, der es zu enormen Reichtum gebracht hat. Der Reichtum macht ihn nicht sexy - er ist weder sympathisch noch schön. Auf Letzteres hat mensch kaum Einfluss, aber ein netter Mensch kann man schon sein – Lachaux macht sich nicht einmal die Mühe. War er es, der den schlechten Stern mit auf das Schiff brachte - der Gedanke kann einem fast kommen. Kurz nachdem die »Aquitaine« los geschiffert ist, passiert schon das erste Ungeschick: sie schuppert auf dem Grund und geht leck. Nicht schlimm, das Schiff kann weiterfahren. Allerdings hat jetzt der Maschinist die Wahl: entweder er verärgert die Passagiere mit enormen Lärm, den die Pumpen erzeugen, um das Wasser aus dem Schiff zu befördern, oder er lässt eine gewisse Schlagseite zu. Lachaux ist das egal: so oder so ist es eine schreckliche Reise, die auf alle Fälle einen Protest bei der Reederei nach sich ziehen wird. Denn das Übelste an der Katastrophen-Geschichte: die Süßwasser-Tanks wurden beschädigt und nun ist kein Wasser mehr für die Kabinen vorhanden.

Interessanterweise hat Lachaux Züge von Ferchaux, der in »Der ältere Bruder« eine tragende Rolle gespielt hat. Auch Lachaux scheute sich nicht, zur Durchsetzung seiner Interessen über Leichen zu gehen. Die Eingeborenen waren für ihn nicht mehr als Vieh. Eine ähnliche Einstellung hatte Ferchaux gehabt – während Lachaux von Simenon mit keinerlei sympathischen Zügen ausgestattet wurde, betrachtet man Ferchaux dagegen oft als kauzigen, später sorgar bemitleidenswerten Gesellen.

Donadieu ist damit beschäftigt, Huret im Auge zu behalten. Er hat das Gefühl, dass sich eine Katastrophe anbahnt. Der Mann hat seinen Vertrag wegen des Kindes vorzeitig abgebrochen und kann nun mit keinerlei Geld rechnen. Der Arzt nimmt kaum an, dass der junge Mann etwas beiseite legen konnte, was ihm jetzt helfen könnte. Hinzu kommt die Belastung durch das Kind, eine Belastung, welche die Eltern immer mehr entzweit.

War noch der Kapitän, den man bei einer solchen Veranstaltung nie vergessen darf: er war ganz mit dem Schiff beschäftigt und verabscheute die gemeinsamen Essen mit den Passagieren - wortkarg versucht er das Schlimmste zu verhindern. Kommt ein Lachaux hat er darfür zu sorgen, dass dessen Sorgen sofort beiseite geräumt werden; wird an ihn die Information herangetragen, dass die Passagiere in schlechter Stimmung sind, sorgt er dafür, dass Vergnügungsspiele organisiert werden.

Die Chinesen, die mit an Bord sind, würden sich über soviel Zuwendung sicher freuen. Sie müssen sich aber mit der gelegentlichen ärztlichen Hilfe von Donadieu begnügen, der gegen eine Seuche an Bord, zum Beispiel Gelbfieber (wie Lachaux befürchtet hatte und es auch ohne den geringsten Skrupel als Gerücht verbreitet), nicht das Geringste tun könnte. Die Chinesen sterben auch so-– berühren tut das keinen.

Simenon widmet sich in diesem Roman einer Schiffsfahrt hauptsächlich den Passagieren der ersten Klasse. Einzig Huret, der ein Aufsteiger ist und als solcher behandelt wird, spielt als Underdog eine Rolle. Die Chinesen werden am Rande erwähnt, sie dürfen sterben. Eine eigene Geschichte ist ihnen nicht gewidmet; die zweite Klasse bleibt gänzlich ohne Erwähnung: die Frage, was sie wo auf dem Schiff gemacht haben, spart Simenon gänzlich aus.

Auch in diesem Roman zeichnet Simenon kein gutes Bild von den Kolonisten: man hat das Gefühl, irgendwas in an jedem dieser Afrika-Besucher faul. Selbst Huret, mit dem man eigentlich Mitleid haben müsste, kommt nicht als sympathischer Mensch herüber. So wie er ein wenig Glück hat, sorgt er dafür, dass es auch zwischen den Fingern, seinen Fingern, wieder zerrinnt. Partizipieren davon in irgendeiner Art und Weise Frau und Kind? Nein, überhaupt gar nicht. So kann man ihm noch nicht einmal Glück wünschen, denn er weiß das Wenige, was er an Glück erhascht, nicht zu schätzen und nicht zu teilen.

Farblos bleibt der Doktor, der zwar helfen will, aber einen sehr phlegmatischen Eindruck hinterlässt. Vielleicht wartet er auf Eingebung von oben? Als Held taugt er nicht.