
Bildnachweis: Vulkan im Blut – Le fils Cardinaud (Werbematerial) –
Ziemlich anders
Gern würde ich mit den Leutchen reden, die die deutschen Filmtitel damals für die Simenon-Filme festgelegt haben. »Hafen der Verlockung« für »Die Marie vom Hafen« oder auch »Vulkan im Blut« für »Der Sohn Cardinaud« sind nur zwei Beispiele, die einem da einfallen und bei denen man sich schon vor dem Anschauen des Streifens fragt: Ob sich Titel und Inhalt decken?
Für den letzteren Film lässt sich zumindest feststellen, dass es nicht so aussieht, dass da ein Vulkan am Brodeln wäre. Einer der Darsteller, eher aus der zweiten denn aus der ersten Reihe, hat eine ordentliche Wut im Bauch. Aber dessen Ausbruch ist keineswegs überraschend.
Die Chance, mit den Titel-Verantwortlichen noch ein Wörtchen reden zu können, dürfte außerordentlich gering sein.
Aber fangen wir mal am Anfang an. Warum jetzt ein Beitrag zu dem Film? Ich bemerkte auf der Webseite eine Reihe von Zugriffen auf die Seite »Der Sohn Cardinaud« und das über ein paar Tage. Das wunderte mich sehr, denn der Roman ist unter den Simenon-Geschichten nicht gerade ein Renner (um das ein wenig vorsichtig zu formulieren). Gleich hatte ich einen Verdacht: Lief etwa ein Film auf arte? Auf der Webseite gab ich Cardinaud ein und siehe da, es fiel der französische Titel der Verfilmung heraus.
Was ist denn da los? Weder die üblichen Webseiten mit dem Fernsehprogramm hatten einen Simenon-Film-Alarm abgesetzt, noch war bei der Suche nach Simenon auf der arte-Webseite – nur ein paar Tage zuvor – etwas herausgefallen … ein Zustand der sich auch aktuell nicht geändert hat. »Le fils Cardinaud« läuft also unter dem Radar, obwohl die Roman-Vorlage kein Geheimnis ist.
Wer mag, hat über die arte-Mediathek bis zum 6. November 2025 Zugriff auf die Simenon-Adaption und sich selbst ein Bild machen.
Gestandener Mann
Jean Gabin spielt die Hauptrolle. Die Adaption entstand 1956, da war der Schauspieler noch einer der ganz Großen im Geschäft und durfte an den Kinokassen als sichere Bank gegolten haben.
Die Hauptfigur durfte seinen Namen behalten: Also auch hier haben wir es mit einem Cardinaud zu tun. Er war glücklich verheiratet, hatte zwei Kinder und eine etwas jüngere Ehefrau. Beruflich hat er es zu etwas gebracht und die Zuschauer:innen können sehen, wie sich der erfolgreiche Geschäftsmann mit seinem kleinen Sohn an einem Sonntag den Gottesdienst in der Kirche besucht. Anschließend wurde Kuchen gekauft und Vater und Sohn begaben sich wieder nach Hause.
Wer nun fehlte? Die Ehefrau und Mutter. Die war gegangen und nicht wiedergekommen. Was sehr ungewöhnlich war. So seltsam, dass sich Cardinaud gleich auf den Weg machte, um nachzuforschen, ob sie vielleicht bei ihren Eltern geblieben war oder bei den Schwiegereltern oder … nun, dann gingen ihm die Ideen aus, und er legte fest, dass sie nach Niort gefahren war. Insgeheim wusste er, dass das nicht so war, aber das war die Sprachreglung.
Cardinaud lebte und arbeitete La Rochelle. Dort war er Mitbesitzer eines Geschäfts, welches nicht nur im Fischfang tätig war, sondern auch im An- und Verkauf von Frischfisch. Schon bald stellte sich heraus, dass er die Seele der Firma war – was nicht im wohligen, gefühligen Sinne gemeint ist. Ohne ihn ging in dem Laden nichts, wie später im Film anschaulich demonstriert wird. Von den Bewohnern La Rochelles wurde er geachtet und gehasst.
Schnell machte die Runde, dass seine Frau ihn verlassen hatte. Mit einem Taugenichts, der nach vielen Jahren in Afrika zurück in die Stadt gekommen war und seine alte Flamme erobern wollte. Offenbar mit Erfolg …
Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass Interesse an Literaturverfilmungen vorhanden ist. Hat man diebische Freude daran, zu identifizieren, was anders an der Geschichte als im Buch ist, dann kommt man auch auf seine Kosten. Der deutsche Titel des Films täuscht etwas vor, was nicht gehalten wird – damit muss man leben.
So bleibt ein Film, den man auch ohne größere Gefahren mit der Familie an einem Sonntag-Nachmittag schauen kann – so man das Gequengel der Kinder erträgt, man möge auf den Disney-Channel umschalten, da gäbe es Spannenderes. Heißt: wenig Action, kaum Gewalt, viele ernste Themen – eindeutig ein Drama. Unter den Simenon-Verfilmungen, die ich im Laufe der Jahre gesehen habe, gehört er zu den besseren. Nicht hochkarätig, aber lohnender als der Durchschnitt.
Lohnt es sich?
Gediegen ist das Wort, was mir einfiel, als ich den Film sah. Cardinaud nahm das Weggehen seiner Ehefrau stoisch auf. Er verfolgte dieses »Thema«, aber für jemanden, der vermeintlich mit dem »Vulkan im Blut« unterwegs war, machte er den Eindruck eines sehr gefassten und beherrschten Mannes. Neben dieser Problematik kümmerte er sich noch um das Geschäft, das weiterhin laufen musste, und um die Sorgen seiner Mitmenschen. Egal, ob die Leute ihn nun mochten oder weniger leiden konnten – Respekt hatten sie. Da er selbst aus kleinen Verhältnissen kam, kannte er die Sorgen und Nöte der Menschen – obwohl er sich bei seinem Aufstieg nicht zu schade war, auch seine Ellenbogen einzusetzen.
Im ganzen Film gab es zwei Schlägereien – an einer davon war der Reeder nicht einmal beteiligt und zu der zweiten wurde er provoziert. Zuschauer:innen, die auf solche Action-Szenen gewartet haben, müssen sich lang gedulden.
Der Film lebt von der Präsenz Jean Gabins. Es ist schon ein Vergnügen, ihn bei seinem Wirken in La Rochelle zuzuschauen. Jean Gabin war in seiner Leinwand-Karriere nicht auf die Rolle eines Bösewichts festgelegt. Gelegentlich trugen seine Figuren ambivalente Charakterzüge – dazu dürfte der von ihm gespielte Cardinaud gehören. Um seine Ziele zu erreichen, nutzte er Mittel, die mehr als ein Stirnrunzeln erzeugen. Aber er sorgt dafür, dass das schlechte Karma durch gutes ausgeglichen wird und er mit einem satten Plus aus dem Film herausgeht.
Für Kinder, um auf die abwegige Idee zurück zukommen, wäre es schon deshalb nichts, weil die Geschichte im französischen Original mit deutschen Untertiteln ausgestrahlt wird.
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Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass Interesse an Literaturverfilmungen vorhanden ist. Hat man diebische Freude daran, zu identifizieren, was anders an der Geschichte als im Buch ist, dann kommt man auch auf seine Kosten. Der deutsche Titel des Films täuscht etwas vor, was nicht gehalten wird – damit muss man leben.
So bleibt ein Film, den man auch ohne größere Gefahren mit der Familie an einem Sonntag-Nachmittag schauen kann – so man das Gequengel der Kinder erträgt, man möge auf den Disney-Channel umschalten, da gäbe es Spannenderes. Heißt: wenig Action, kaum Gewalt, viele ernste Themen – eindeutig ein Drama. Unter den Simenon-Verfilmungen, die ich im Laufe der Jahre gesehen habe, gehört er zu den besseren. Nicht hochkarätig, aber lohnender als der Durchschnitt.
Die Unterschiede
Vorneweg: Ich habe den Roman nicht in einer Art Vorbereitung gelesen. Davon, dass dieser Film ausgestrahlt wurde, bin ich schließlich überrascht worden. Aber eine Reihe von Punkten kann ich trotzdem benennen.
Die Madame Cardinaud in der Buch-Vorlage verschwand nicht nur, sondern sie nahm auch noch eine stattliche Summe mit. Die hatte die Familie zurückgelegt, um eine fällige Hypothek zu bezahlen. Dem Ehemann war also nicht nur die Frau entschwunden, sondern er stand auch vor finanziellen Herausforderungen, die er schnell zu lösen hatte. Dem Jean-Gabin-Cardinaud konnte das alles egal sein – seine Gattin hatte nichts mitgenommen außer ihrem Mantel und sich so vom Acker gemacht. Sie kam zwischenzeitlich zurück, aber auch nur um ein paar Sachen zu holen.
Selbst, wenn sie Geld hätte mitgehen lassen – dem Film-Cardinaud wäre das völlig egal gewesen. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Das konnte man von seiner literarischen Vorlage nicht behaupten.
Während der Buch-Cardinaud alle Hebel in Bewegung setzte, um seine Frau zu finden und wieder nach Hause zu bringen, unternahm sein Film-Alter Ego im Film auffällig wenig. Und in der Gegend nach der Frau zu fragen, ist wenig! Das Wort stoisch ist schon gefallen – zur Betonung will ich es wiederholen.
Der Film-Cardinaud war keine unsympathische Figur. Vielleicht durfte er es nicht sein, weil es nicht zum Image seines Darstellers gepasst hätte. Beim Lesen des Buches hatte ich mit keiner der handelnden Hauptfiguren irgendeine Sympathie. Interessant, wo man doch annehmen sollte, dass die Hauptfigur durch das Engagement gewinnen sollte.
Hinzu kommen noch Altersunterschiede – Jean Gabin macht Cardinaud mindestens zwei Jahrzehnte älter. Und die Film-Handlung wurde von den Drehbuchschreibern nach La Rochelle ins maritime Milieu verlegt.
Salopp formuliert: Irgendwie scheint außer dem Verschwinden der Frau mit einem Nichtsnutz und dem Namen nicht viel von der Story des Buches übrig geblieben zu sein.