Unterschrift

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Ein eigenes Kapitel für den Abend der Scheidung und den folgenden Hochzeitstag. Es war eine kleine Hochzeit, denn außer den beiden war niemand mehr dort. Selbstverständlich hatte Tigy keine Einladung bekommen zu bleiben und war nach Carmel zurückgereist. Denyse brannte darauf, Madame Georges Simenon zu werden. Und wie ging es ihm?

Von Simenon gibt es »Als ich alt war«, Tagebuchaufzeichnungen aus dem 60er-Jahren. War das eine Phase oder hat er immer Tagebuch geführt und nur diese Episode, weil sie besonders interessant gewesen war, veröffentlicht? Darauf habe ich gerade keine Antwort. An den Tagebüchern ist das Unmittelbare interessant: In ihnen wird gern formuliert, was man sich für die Zukunft erhofft und beschreibt normalerweise das gerade Vergangene. Bei den Memoiren, die üblicherweise mit einem gewissen Abstand geschrieben werden, haben die Schreibenden einen großen Blick auf das Ganze und werten es entsprechend. Bei dem Reno-Kapitel beschleicht einen das Gefühl, dass Simenon düstere Vorahnungen hatte und sich nicht hundertprozentig sicher war, ob diese Hochzeit die richtige Entscheidung sei. Aufschlussreicher wären Zeugnisse, die nicht von dreißig Jahre Krisen und Ehekrieg geprägt sind.

An dem Abend vor seiner Hochzeit, direkt nach seiner Scheidung, hatte Simenon an einem Automaten gewonnen. Nach einem gemeinsamen Abendessen mit Denyse machte er sich noch einmal auf den Weg in die Stadt, um an einem Spektakel teilzunehmen, auf welches er einen eher negativen Blick hatte:

Wie auf einer Kirmes, einer traurigen Kirmes. Die Polizisten waren wie Cowboys gekleidet, dazu den silbernen Stern auf der Brust; auch die Touristen, die meisten Spieler, die von überall her kamen, waren mehr oder weniger verkleidet. Viele unauffälliger gekleidete Frauen; wenig junge Menschen; die Mehrheit über fünfzig. Derselbe starre Blick, ein Blick, der dem der Drogensüchtigen ähnelt, wobei die Droge, die man hier suchte, das Spiel war.

Er hatte kein bestimmtes Ziel und kehrte in das erstbeste Casino ein. Dort beobachtete er verschiedene Spiele. Einige kannte er, andere waren ihm fremd. Was waren das noch für Zeiten, wo den Spielern Whisky serviert wurde – umsonst! Snacks gab es auch, macht uns Simenon neidisch, denn es handelte sich nicht um Erdnüsse oder Paprika-Chips, sondern um Hotdogs und Burger. Eine Kindheitserinnerung wird bei der Gelegenheit von ihm ausgegraben, denn es wurde ein Gebäck serviert, welches ihn an »Berliner Ballen« erinnerte, womit Pfannkuchen gemeint sein dürften (sage ich mal als jemand, der aus der Berliner Region kommt).

Wo sollte er sein Spielglück suchen? Bei »21« war er nicht erfolgreich, weshalb er sein Glück an den einarmigen Banditen probierte. Und fand: Er gewann so viel, dass es fast nicht mehr in seine Taschen passte und brachte das Geld erst einmal zurück ins Hotel, um gleich darauf einen erneuten Anlauf zu starten. Beim zweiten Besuch schaffte er es, eine Maschine zum Heulen zu bringen. Der große Gewinn, den der Bandit mit einem Sirenengeräusch untermalte, stellte Simenon in den Mittelpunkt. Ein Manager kam auf ihn zu, es gab einen Mini-Bandidten als Erinnerung und es wurden Fotos gemacht.

Der Gewinn war beachtlich. Nach seiner Rückkehr ins Hotel zählte Denyse nach: Es waren 645 Dollar, die er dem Automaten entlockt hatte. Über solch einen Gewinn würde man sich auch heute sehr freuen – der Gegenwart beträgt über 8.000 Dollar.

Der Hochzeitstag

Bei seiner ersten Hochzeit fuhr er mit seiner Mutter in einer Droschke zur Trauung. Simenon war mit seinen Gedanken weniger bei der Zeremonie denn mehr bei kulinarischen Themen. Während der Fahrt erklärte er seiner schluchzenden Mutter, wie sich die Zubereitung von Pommes von der in Belgien unterscheiden würde (in Frankreich wurde Öl genommen, in Belgien – zumindest zur damaligen Zeit – zog man Rinderfett und Schweineschmalz vor). Ob dies nun ein angemessenes Thema für eine Hochzeit war, sei einmal dahingestellt. Seine Mutter soll es mit den Worten kommentiert haben, dass ab einem bestimmten Alter sich der Geschmack nicht mehr ändern würde.

Henriette Simenon war bei der zweiten Hochzeit nicht dabei. Reno war auch so klein und der Weg zum Rathaus zu kurz, dass man sich eine Limousine zur Trauung sparte. Simenon schrieb, dass es sich bei der Stadt um einen kleinen Fleck in der Wüste handelte und ich habe immer noch meine Schwierigkeiten, das mit einem 42-stöckigen Hotel in Einklang zu bringen. Anfang der 30er-Jahre wurde das Glücksspiel legalisiert und bis in die 60er-Jahre war die Reno die Hauptstadt des Glücksspiels in den Vereinigten Staaten. Trotzdem hatte Reno gerade mal 30.000 Einwohner und war mithin eine mittelgroße Stadt (Man möge eine Stadt mit derselben Einwohnerzahl in Deutschland suchen, die mit einem so hohen Gebäude aufwarten kann und nicht ein Satellit einer Großstadt ist).

Für Simenon schien es ein ganz normaler Morgen zu sein, wenig mehr als Routine. Auf dem Weg zum Standesamt fragte sie der Hotel-Portier, ob sie noch einen Gottesdienst benötigen würden. Das ließe sich organisieren, bekamen die künftigen Simenons mitgeteilt, die hoteleigene Kapelle stände ihnen zur Verfügung. Der Weg führte sie nicht direkt zur Trauung, auch hier gab es noch zwei Besonderheiten, mit denen die Simenons aufwarten konnten: Sie stoppten in einer Apotheke, um eine Kleinigkeit zu besorgen, und das Wechselgeld, darauf bestand Denyse, konnten sie an einem Glückspielautomaten in dieser verspielen. Simenon verlor alles, was Denyse freute. Da war es wieder, das alte Sprichwort.

Bei Simenon klang das ein wenig lahm:

»Ich halte das für ein gutes Vorzeichen. Am Tage deiner Scheidung gewinnst du Geld. Am Tage deiner Hochzeit gewinnst du das Glück ...«
Ich sagte träge »ja«.

Ein wenig mehr Enthusiasmus hätte schon sein können.

Der Rechtsanwalt übergab ihnen die letzten Papiere, stellte sich als eine Art Hochzeitsgast zur Verfügung. Obwohl Simenon den Mann sehr mochte, wie er im letzten Kapitel zu Protokoll gab, war er nicht sehr erpicht darauf, ihn bei der Zeremonie dabeizuhaben. Er hatte einen gute Tipp für Simenon: Es wäre üblich, dass man dem Standesbeamten ein Trinkgeld gäbe.

Die Papiere wurden geprüft und so konnten sie vor den Richter treten. Da stellte sich heraus, dass die beiden nicht an alles gedacht hatten. Für eine Trauung wären Zeugen notwendig, aber man war in Amerika und dort hatten sie für alles eine Lösung. Zwei Cowboys wurden hereingebeten und sollten ihre Trauzeugen werden.

Denyse meinte nun, dass sie das war, was sie unbedingt sein wollte:

»Weißt du, daß ich jetzt Madame Georges Simenon bin?«
»Ja . ..«
»Die einzige Madame Georges Simenon.«
»Nein. Ich habe einen Neffen in Belgien, dem mein Bruder, damals im Kongo, meinen Vornamen gegeben hat. Mein Bruder ist tot, sein Sohn ist im heiratsfähigen Alter, und seine Frau wird Madame Georges Simenon heißen. Andere von meinen Cousins könnten auch ...«

Die Leser:innen führt das zurück zu der Episode aus dem letzten Kapitel, in dem es auch schon um den Namen ging, und Simenon griff das Thema an der Stelle nochmals auf. Tigy wollte ihren Familiennamen mit der Scheidung nicht aufgeben, wogegen ihr Ehemann nicht hatte. Aber Denyse, die sehr unzufrieden war. Es sollte einen Kompromiss geben: Tigy sollte sich nicht »Madame Georges Simenon« nennen dürfen. Aus heutiger Sicht ist es fragwürdig, warum sie sich unbedingt mit dem Vornamen ihres Mannes ansprechen wollte.

Seine Schilderungen erwecken das Gefühl, dass Denyse versuchte, die Spuren der »alten« Ehefrau zu löschen. So erzählte sie ihrem frischgebackenen Ehemann, dass es in der Wüstenstadt üblich wäre, dass Eheleute, die sich wieder verheiratet hätten, ihren alten Ehering in einen tiefen Brunnen werfen würden. Simenon tat ihr diesen Gefallen.

Zu den schöneren Erinnerungen an seine Hochzeit gehörte eine Attraktion, die ihnen in dem Nachtclub geboten wurden, in denen die Simenons ihre Eheschließung feierten. Dort trat eine Gruppe von Akrobaten auf, deren Vorstellung Simenon sehr gefiel. Zu seiner Freude bekam er mit, dass sie Künstler aus Belgien stammten und Wallonen waren. Er traute sich nicht, zu den Künstlern zu gehen und ihnen zu offenbaren, dass sie aus derselben Region stammten. So konnte er nicht herausbekommen, ob sie nicht vielleicht aus Lüttich kamen. Den Namen der Gruppe sollte er später noch in anderen Städten und Ländern sehen.

Auf dem Weg ins Hotelzimmer wurden die beiden auf ihrer Etage von Journalisten aufgehalten. Die Presse hatte von der Hochzeit erfahren, irgendwer singt ja immer, und wollten nun ein paar Auskünfte. Die Männer waren sehr gut informiert, gaben sich aber zurückhaltend. Es war nicht das, was man unter einer Meute versteht und nicht so, wie es heute gang und gäbe ist. Gern hätten ein Foto des Paares mit einem Kuss gehabt, aber das wurde ihnen ausgeschlagen. Immerhin gab er ihnen etwas mit auf den Weg, was sie noch nicht wussten: Die nächste Station wäre New York und Simenon hatte nicht die Absicht, sich dort niederzulassen.

Whisky

Ein kleines Intermezzo erlaubte sich Simenon in der Beschreibung des Hochzeitstages: Denyse hatte ihn bei dem Besuch einer Bar gefragt, ob sie einen Whisky nehmen dürfe. Würde mich das meine Frau fragen, gäbe es zwei Antworten. Entweder: »Mach doch.« oder »Wer fährt denn heute Abend zurück.« Simenon will an der Stelle aber gar nicht drauf hinaus, dass er von ihr gefragt worden ist, ob sie das Getränk zu sich nehmen dürfe. Ihm geht es um einen anderen Aspekt: Er war kein Whisky-Trinker.

Bei seinen Eltern gab es keinen Wein, Simenon trank in seinen Jugendtagen offenbar eher Bier. In Paris kam er zu Wein, dem es zum Tagesmenü dazugab. Bei der Produktion der Groschenromane verlustierte er sich mit weißem Landwein. Für ihn kam es darauf an, in welcher Umgebung er sich gerade befand – hier erkennt man eine Parallele zu seinem Kommissar, nicht wahr? Auf Porquerolles bevorzugte er demnach beispielsweise Rosé, wobei er eine merkwürdige Formulierung wählte:

[...], der mir dabei half, meine Seiten zu Ende zu schreiben.

Die Gewohnheiten änderten sich: In Marsilly tranken nach seinem Bekunden die benachbarten Bauern zehn Liter Landwein täglich. Jeder kann sich ausmalen, was das mit einem machen würde. Das hört sich viel an, aber pro Stunde, die so ein Bauer wach gewesen ist, wären das ja nur 0,6 Liter. Das relativiert das natürlich erheblich …

Simenon hatte sich dieser Tradition nicht angeschlossen. Er trank vielmehr Kaffe oder Tee, vielleicht auch ein Bierchen. Später verzichtete er auf das Bier, wenn er Romane schrieb und feierte den Abschluss einer Geschichte mit Champagner.

Whisky jedoch habe er nie getrunken. Schon gar nicht hätte er eine Flasche auf oder neben seinem Arbeitstisch stehen gehabt. Er hatte den nicht Stoff nötig, um zu schreiben. Seinen ersten Kontakt mit dem Getränk hätte er in Ney York gehabt, und das nur, um Denyse Gesellschaft zu leisten.

Warum behandelte Simenon das Thema derart ausführlich? Offenbar hatte Denyse die Legende entstehen lassen und es so den Kindern erzählt.