Der Impuls

Es handelt sich hier um eine ältere Version der Werk-Beschreibung. Mit dem Plus-Zeichen unter der Überschrift kommen Sie zur aktuellsten Version zurück.

Maigret durfte sich zu Recht fragen, warum er den Mann verfolgt hatte. Er saß in Brüssel, wo er dienstlich zu tun gehabt hatte, in einem Café und beobachtete einen Mann, der Tausend-Franc-Scheine zählte. Der Mann schien aber nicht der Typ zu sein, der Tausend-Franc-Scheine zählen sollte, geschweige denn besitzen. Maigret entschließt sich, ihm zu folgen. Er beobachtet, dass der Mann auf der Post das Geld in einen Briefumschlag legt. Nicht als Einschreiben, sondern wie einen normalen Brief. Als der Mann in einem Geschäft einen Koffer kauft, ist Maigret mit von der Partie und kauft den gleichen Koffer, wie ihn der Mann erstanden hat. Der Mann geht zum Bahnhof, Maigret folgt ihm. Beide fahren von Brüssel nach Amsterdam und von dort nach Bremen. Eine Kleinigkeit ist da noch zu erwähnen: Maigret hat die beiden Koffer in einem günstigen Moment getauscht.

In Bremen angekommen, macht sich der Mann auf die Suche nach einer Unterkunft. Das Hotel, das er findet – eine der billigsten Absteigen –, dient auch Maigret als Unterkunft. Maigret kann es sogar einrichten, dass er ein Zimmer neben seinem »Reisegefährten« bekommt. Als der Mann merkt, dass der Koffer nicht das enthält, was ihm gehörte, sondern nur Zeitungspapier, stürzte er zum Bahnhof zurück. Die Verzweiflung ist ihm deutlich anzumerken und Maigret konnte sehen, dass der Mann jeden Vorbeikommenden musterte, ob der nicht vielleicht seinen Koffer trug.

Um Mitternacht erst kehrten sie, einer nach dem anderen, ins Hotel zurück.
Durch das Schlüsselloch, scharf umrissen, bot sich der Anblick des jungen Mannes, wie er auf einem Stuhl zusammengesackt den Kopf in den Händen hielt. Als er aufstand, schnippte er mit den Fingern – eine Gebärde, die zugleich Wut und Resignation ausdrückte.
Und dies war das Ende: Er zog einen Revolver aus der Tasche, riss den Mund auf, so weit es nur ging, und drückte ab.

Die Frage, ob Maigret sich zu der Taktik, den Koffer auszutauschen, beglückwünschen konnte, stellte sich nicht mehr. Er wusste nicht mehr über den Mann, als zum Beginn der Verfolgung – abgesehen von der Tatsache, dass der Inhalt des Koffers dem jungen Mann viel bedeutet hatte. Das konnte Maigret aber nicht richtig nachvollziehen, denn der Koffer enthielt nur einen alten, fleckigen Anzug. Laut Pass hieß der Mann Louis Jeunet, leider konnte man darauf nicht vertrauen, denn Maigret erkannte - nachdem er den Pass kurz untersucht hatte -, dass dieser gefälscht war.

Am nächsten Morgen machte sich Maigret auf den Weg zum Bremer Leichenschauhaus. Die Zeitungen hatten eine kleine Notiz gebracht, die Fotos von dem Toten waren schon nach Paris »gemailt« worden. Es war zu erwarten, dass die Pariser Mittagszeitungen das Foto bringen würden. Es interessierte sich fast keiner für Jeunet, die Besucher der Halle betrachteten die anderen aufgebahrten Toten. Dann aber trat ein elegant gekleideter Herr in den Raum, der sich aufmerksam umblickte und dann auf Jeunet zustrebte. Maigret ging auf den Mann zu, der ihn daraufhin ansprach:

»Sind Sie Franzose?« fragte er.
»Ja. Sie auch?«
»Belgier… Aber ich wohne seit Jahren hier.«
»Und Sie kannten jemand mit dem Namen Jeunet?«
»Nein. Ich ... ich habe nur heute morgen in der Zeitung gelesen, dass ein Franzose in Bremen Selbstmord begangen hat, und da ich lange in Paris gelebt habe… Es war Neugier. Ich wollte ihn mir nur mal ansehen…«

Als krimigestählter Leser erkennt man natürlich sofort eine Falschaussage, wenn sie so offensichtlich ist wie diese. (Nur weil ich Potsdamer in Kiel bin, würde ich nie ins Kieler Leichenschauhaus (heißt heute anders – ich weiß) rennen, um mir einen toten Potsdamer anzuschauen – selbst wenn er Selbstmord verübt hätte. Ich weiß, der Vergleich hinkt…) Maigret reagiert also das erste Mal in dieser Geschichte richtig und wird skeptisch. Das wird ihm von dem Mann, der sich Joseph van Damme nennt, ziemlich schwer gemacht, denn er hängt sich sogleich wie eine Klette an den Mann, begleitet Maigret den ganzen Tag über in die verschiedensten Lokalitäten.

Maigret entgeht einem gemeinsamen Abendessen mit van Damme, in dem er sich zum Bahnhof gibt und den Nachtexpress nach Paris nimmt. Die Zeitungen haben die Abbildungen schon veröffentlicht, und so findet er am nächsten Morgen ein Frau in dem Büro vor, die sagt der Abgebildete wäre ihr Mann.

Nun ich möchte nicht zu viel verraten, aber van Damme ist immer zu erst da. Der Roman spielt an vielen Orten, aber Maigret ist immer unterwegs. Die Reise führt ihn von Brüssel über Amsterdam nach Bremen – dann passierte das Verbrechen –, und nach einem kurzen Aufenthalt in Paris geht es nach Reims und nach Lüttich. Die Lösung des Rätseln liegt in Belgien.

Ein spannender Roman, dessen Thema Simenon sieben Jahre später im Roman »Die Verbrechen meiner Freunde«[RDVMF] wieder aufnimmt. Dort schreibt er: »Die Verbrechen meiner Freunde ähneln den Verbrechen, die ich in meinen Büchern erzählt habe. Und nur weil sie wahr sind, weil ich die Täter kenne, kann ich unmöglich schreiben: »Er hat getötet, weil…««
Der Roman wird von Diogenes als autobiographischer Roman herausgegeben.