Wenn lange Zeit nichts passiert

In einer kleinen Bar in Colón treffen Einheimische und Touristen aufeinander, während Schmugglergeschäfte und schräge Gestalten für eine ganz eigene Atmosphäre sorgen. Georges Simenon zeichnet in dieser kurzen Erzählung ein Bild der kolonialen Gesellschaft der 1930er-Jahre, geprägt von exotischen Schauplätzen und den Klischees der Zeit. Ein Blick in eine vergangene Welt, deren Brüche gerade heute ins Auge fallen.

Keine Frage, es war ungerecht, dass ich lange Zeit die Geschichte als »klein« und »uninteressant« teaserte. »Kurz« wäre der treffendere Begriff und irgendwie ist die Geschichte interessant, auch wenn lange Zeit keine nennenswerte Handlung zu verzeichnen ist. Eine Beschreibung kann schon deshalb nicht so üppig ausfallen, da zwangsläufig die Gefahr besteht, irgendetwas von der Story zu verraten.

Sie startet in einer kleinen Bar in Colón. Der Ort liegt am oberen Ende des Panamakanals in der Karibik (nordwestlich würde eine Geograf:in sagen). Groß ist die Stadt heute nicht und damals war sie es gewiss auch nicht. Und die Bar war vorzeigbar, denn wohlhabende europäische und nordamerikanische Touristen hatten keine Scheu, sie zu betreten und sich dort bedienen lassen.

In der Geschichte haben wir zwei Grüppchen – einmal die Einheimischen und die erwähnte Fremden. Jules gehört die Bar und zusammen mit Felix und Mimile kümmerte er sich um die zweite Gruppe. Geld wurde denen einerseits mit Alkohol aus der Tasche gezogen – angepriesen wird Absinth in der damals in Europa verbotenen Form; und Schnickschnack wie beispielsweise Schrumpfköpfe.

Am frühen Morgen fand sich ein Mann in der Bar ein. Zwar nannte man ihn Baron, aber das typische adlige Erscheinungsbild wies er nicht auf – sah man von dem Monokel ab. In der Nacht hatte er zweihundert Dollar beim Bridge gewonnen. Allerdings hatte er es geschafft, sie bis in den Morgenstunden im Suff durchzubringen. Bei Jules wollte er ein bisschen »auftanken«.

Der Barbesitzer machte sich auf zu einem Schiff, welches gerade angekommen war. Sein Geschäft beschränkte sich nicht auf den Ausschank von Alkohol, Schmuggel und andere krumme Dinger gehörte ebenso dazu. Auf dem Dampfer traf er Felix, einen alten Bekannten. Der machte seine Geschäfts als eine Art Touristenguide, ohne einer zu sein, denn das Problem an Colón war, dass es nicht zu zeigen gab. So nahm er die Touristen unter seine Fittiche und bereitete ihnen angenehme Stunden.

Er führte sie zum Beispiel in das Etablissement von Jules, in dem sie dann auf den Baron stießen und ihnen eine Geschichte aufgetischt wurde, die mit dem Kopf von Joseph, dem Bruder von des Barons zu tun haben sollte. 

Zum Ende der Geschichte passiert dann noch etwas, was man als aufregender bezeichnen kann. Für eine Kurzgeschichte ist es ein langer Weg bis dahin. Bleibt zu hoffen, dass die Leser:innen bis dahin nicht abgeschaltet haben.

Mehr über »Kolonialismus«

Hotel Washington - Colón

Anmerkungen zu Josephs Kopf

Einen klitzekleinen Augenblick war ich beim Lesen der Kurzgeschichte irritiert, denn Simenon schilderte, wie Touristen ein Schiff verließen und …

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Der Text spiegelt die koloniale Mentalität der 1930er- bis 1950er-Jahre wider. Einerseits wird die damalige Situation korrekt dargestellt, denn die weißen Europäer und Amerikaner kontrollierten die lukrativen Geschäfte. Die meisten Schwarzen waren untergeordnet und weisungsgebunden, wie es so schön heißt. Die Indigenen werden als Kopfjäger stilisiert (die sie zu dem Zeitpunkt schon gar nicht waren – und die Kultur, die ursprünglich hinter diesem Ritus stand, wird nicht weiter thematisiert) und ihre traditionellen Objekte sind nur noch Handelsobjekte. 

Eine kritische Distanz lässt Simenon nicht erkennen oder ließe sich nur hineininterpretieren, wenn man seine Haltung zum Kolonialismus kennt. Wie in anderen Werken dieser Zeit nutzte er die damals gängigen rassistischen Stereotype in der Charakterzeichnung. Vielleicht ist das ein Grund, warum man mit diesem Text schwer warm werden kann.

Wenn man Simenon eines zugutehalten kann: Kein der Weißen wird charakterlich besonders vorteilhaft geschildert.