Revolution nationale propaganda Poster

Keine gute Gesellschaft


Vor wenigen Tagen las ich »Maigret beim Minister« und mir fiel auf, dass dies ein Roman ist, in dem die Besatzungszeit deutlich thematisiert wird. In der »Schnee war schmutzig« gab es Anspielungen, aber das Drumherum wäre austauschbar gewesen. Mir ist nicht gegenwärtig, dass der Komplex anderweitig derart deutlich angesprochen wird.

Die Besatzung war in seiner Autobiografie »Intime Memoiren« Thema gewesen. Wie Simenons Stand wirklich war, ist anhand seiner eigenen Erinnerungen schwer zu ergründen. Im Zweifel, so der Eindruck, war der Schriftsteller Anhänger des Widerstands und Opfer der Besatzung gewesen. So einfach ist es aber nicht gewesen.

Gallimard

Viele Menschen zeigten ein ambivalentes Verhalten in dieser Zeit. Beispielsweise sein Verleger Gaston Gallimard. Der hatte in jungen Jahren die »La Nouvelle Revue française« mitbegründet, bevor er seinen eigenen Verlag aufbaute. Wenn es eine Institution in der französischen Literaturszene gab, dann war es Gallimard. 

Dass er mit Beginn der Besatzung freiwillig die Führung an der Publikation an Pierre Drieu la Rochelle gab, einem bekannten französischen Schriftsteller mit einem Hang zum Sozialismus. Das Journal war zeitweilig von den Deutschen geschlossen worden, aber Drieu la Rochelle war ihnen genehm. Zumal er auch dafür sorgte, dass keine jüdischen Schriftsteller in der Zeitschrift publizieren konnten. Der Verleger konnte sie wieder veröffentlichen. 

Gallimard reinigte unterdessen sein Verlagsprogramm, so dass auch dieses den Besatzern genehm war. Nur so war es ihm möglich, von den raren Papierkontingente zu partizipieren. Er schmiss Jacques Schiffrin, Gründer und Herausgeber der »Bibliothek der Plejade«, heraus – hilfreich waren hierbei die antijüdischen Gesetze. Außerdem ist da das Gerücht, dass er einen den Verlag Calmann-Lévy übernehmen wollte, als dieser arisiert werden sollten – die Begründung soll etwas beinhaltet haben wie »arisches Haus mit arischem Kapital«. Eher unappetitlich.

Andererseits war Gallimard schon früh Gastgeber von Versammlungen besatzungskritischer, antifaschistischer Schriftstellergruppen und damit nah an der Widerstandsbewegung. Auch ließ er es nicht zu, dass nach dem Rücktritt Pierre Drieu la Rochelles der Schriftsteller und Zensor Ramon Fernandez dessen Posten einnahm. (Letzterer ist ein Beispiel für diesen Zwiespalt, denn einerseits lässt er sich mit den Besatzern ein, ist ein Werkzeug dieser und schreibt eine Hommage über Hitler; andererseits hält er weiterhin Kontakt zu Freunden im Widerstand.)

Gallimard hat sich mit dieser Ambivalenz und natürlich auch dem Zuspruch vieler befreundeter Kollegen retten können. Während der Kriegszeit stand er auf den Listen der Widerständler als Kollaborateur. Das hätte nach Kriegsende übel enden können.

Simenon geriet nach dem Krieg ebenfalls ins Visier der Häscher der Kollaborateure. Eine ganze Reihe von Aspekten waren es, die ihn in den Fokus brachten. Beispielsweise wurden einige seiner Werke in der Kriegszeit verfilmt. Schlicht unmöglich wäre das gewesen, wenn die Deutschen nicht zugestimmt hätten.

Die Bewegung

In verlegerischer Hinsicht war es nicht die Zusammenarbeit mit Gallimard, die ihm bei den Widerständlern Minuspunkte einbrachte. Schließlich war der Vertrag schon lang vor der Besatzungszeit geschlossen worden und Gaston Gallimard war »der Verleger« Simenons. Das war sowohl von Verleger- wie auch von Autor-Seite gut zu begründen. Was mochte Simenon bewogen haben, eine Erzählung in der Zeitschrift »Révolution Nationale« zu veröffentlichen? Also außer Geld?

Die Deutschen begannen ihren Westfeldzug am 10. Mai 1940. Die Franzosen waren schlecht vorbereitet und der Regierungschef Paul Reynaud holte sich Philippe Pétain, ein nationaler Held in Frankreich, als Verteidigungsminister in sein Kabinett. Auch er ist der Meinung, dass die Deutschen nicht weit kommen würden und muss der Realität alsbald ins Auge blicken. Als Forderungen aufkamen zu kapitulieren, sperrte sich der Premierminister. Der damals schon greise Pétain war ein entschiedener Befürworter des Aufgebens. Im Kabinett gibt jedoch alsbald eine Mehrheit für eine Kapitulation und in der Situation tritt Reynaud zurück. Pétain übernimmt die Führung. Er handelt mit den Deutschen einen Waffenstillstand aus. In der Konsequenz gibt es eine nördliche Zone, die von den Deutschen beherrscht wird und die sich, obwohl sie den Norden schon im Namen hat, vom Norden bis an die Grenze nach Spanien zieht; und es existiert eine unbesetzte Zone – die südliche Zone – die grob gesehene das Dreieck Lyon, Marseille und Toulouse umfasst – jeweils auch bis zur spanischen Grenze. Ein Teil der sogenannten unbesetzten Zone wird später von Italien besetzt werden. Vichy war der Hauptsitz der Regierung. Ob die Heilwasser etwas damit zu tun hatten, vermag ich seriös nicht zu beantworten, geschadet haben sie dem 84-jährigen neuen starken Mann nicht.

Pétain war für die Deutschen der Richtige an der Spitze: Er gibt sich kurz nach der Übernahme der Macht Rechte, die nicht einmal ein Louis XIV. gehabt hatte. Er agierte wie ein absolutistischer König. Schon im Oktober des gleichen Jahres wurden die ersten Gesetze verabschiedet, die von jedem antisemitischen Nazi hätten stammen können – für die Juden gab es nichts mehr zu lachen. (Das erinnert an die Episode, als Simenon gezwungen war, seine arische Abstimmung nachzuweisen, was ein schwieriges Unterfangen in Kriegszeiten gewesen war.)

So einfach vor sich hinregieren, das wollte der Marschall nicht: Einen programmatischen Unterbau sollte sein Regime schon haben. Unschwer zu erkennen, dass der Mann keinen besonderen Wert auf den Parlamentarismus legte, Gewaltenteilung war ihm auch ein Gräuel und mit den Fremden hatte er es auch nicht so. Zuvor war das – zumindest, was die offizielle Politik anging, – anders gewesen. Was mochte Pétain: Er liebte Frankreich und die Franzosen. Nicht alle, aber so ganz allgemein gesprochen, ist die Aussage haltbar. Er hielt die traditionellen Werte hoch – also in der heutigen Zeit bekäme Pétain beim Nachrichtenschauen einen Herzinfarkt nach dem anderen. Soll etwas geändert werden und es wird ein griffiger Begriff benötigt, warum nicht »Revolution« verwenden. Und so wurde die Ideologie »Révolution Nationale« genannt. Irgendwie lustig, denn das Konservative – was Pétain eindeutig vertrat – tut sich normalerweise sehr schwer mit Revolutionen. Aber es ist ja auch nur ein Name!

Den Titel trug eine Zeitschrift, die von der »Mouvement Social révolutionnaire« gegründet wurde. Das »Social« könnte Augenwischerei sein, so ähnlich wie das Wort »Sozialismus« in »Nationalsozialismus« – das passt nicht recht zueinander. Schaut man sich die Begründer dieser Bewegung an, die just 1940 entstand, kommt einem auch nicht unmittelbar dieses Wort in den Sinn: Da wären Eugene Schueller, (damaliger Eigentümer der Kosmetikfirma L'Oréal), Georges Laederich (ein Textilunternehmer aus den Vogesen) und zuvorderst Eugène Deloncle – der zuvor aktives Mitglied diverser rechter Untergrund-Bewegungen terroristischer Natur gewesen war. 

Otto Abetz, deutscher Botschafter in Paris, war sehr zufrieden mit dem Programm der Bewegung. In diesem wurde ausdrücklich festgehalten, dass man mit dem nationalsozialistischem Deutschland zusammenarbeiten wolle und man nichts übrig habe für Liberalismus, Judentum, Bolschewismus und Freimaurerei.

Unwissenheit?

In dieser Zeitschrift veröffentlichte Simenon seine Maigret-Erzählung »Menaces de mort« als Erstveröffentlichung. Sie erschien in sechs Ausgaben zwischen dem 8. März und 12. April 1942. Seine Vereinbarung mit der Reaktion wird nicht langfristig erfolgt sein. Schließlich entstand die Erzählung im Winter 1941/42.

Mir erscheint es sehr unwahrscheinlich ist, dass Simenon nicht wusste, mit wem er sich eingelassen hatte.