Kein »Colloraboteur«


Was für ein Schatzkästchen! Seit heute ist ein neues Portal online, in dem man in alten deutschen Zeitungen stöbern kann und wenn ich etwas gut kann, dann ist es »stöbern«. Es ist wohl ganz klar, dass mein erster Suchbegriff »Georges Simenon« war. Ich war mir, da nur Zeitungen bis 1950 online gestellt wurden, nicht sicher ob es Ergebnisse gibt.

Aber gleich das erste Ergebnis ist eines, dass recht interessant ist. Es handelt sich um einen Artikel, der in der deutsch-jüdischen Exil-Zeitung »Aufbau« vom 14. September 1946 erschienen ist. In diesem geht es unter der Überschrift »George Simenon – kein ›colloraboteur‹« ein kurzer Beitrag über den Schriftsteller.

Es wird erwähnt, dass Simenon für kurze Zeit in London weilte und dort den zuvor in der »Weltpresse« geäußerten Vorwürfen, er hätte mit den Nazis Geschäfte gemacht, entgegentrat. Er hätte sich freiwillig einem französischen Gericht gestellt und wäre, 

wie nicht anders zu erwarten, freigesprochen worden.

Simenon führte als Beweis für seine Unschuld auch an, dass er niemals ein Ausreise-Visum bekommen hätte, wenn es noch Zweifel gegeben hätte. Weitere Argumente wären, dass weder Julien Duvivier für die erste Filmarbeit sich eine Simenon-Vorlage sich gesichert hätte (für »Panique«) noch Viktor Skutezky sich die Rechte für den ersten britischen Film nach einem Simenon-Roman  besorgt hätte.

Eine solche Aussage sollte eingeordnet werden: Gemeint ist wahrscheinlich, die erste Filmarbeit nach dem Krieg, denn der Regisseur war auch während des Krieges nicht untätig gewesen. Hinzu kommt, dass es in keinem Fall die erste Arbeit Duviviers für einen Simenon-Filmstoff war. Vielmehr handelt es sich wohl um einen der vielen »alten Bekannten« Simenons, der sich einen Namen mit der frühen Maigret-Verfilmung »La Tête d’un homme« gemacht hat.

Der Titel »Dieppe-Newhaven«, der in dem Artikel als Werk von Skutezky angeführt wird, ließ mich ein wenig rätseln, was das wohl sein könnte. Es stellte sich heraus, dass es dabei um den 1946 realisierten Film »Temptation Harbour« geht, nach dem Roman »Der Mann aus London«, womit der Titel einen Sinn ergibt.

Der Autor des Artikels meint:

Diese Feststellung ist schon allein im Interesse der großen Simenon-Gemeinde unter den intellektuellen Lesern in der ganzen Welt notwendig.

Ich will nicht besonders vorlaut sein, aber ich würde meinen, das größte Interesse an der Rechtfertigung hatte Simenon selbst gehabt. Wenn die Leserschaft weggebrochen, weil ihm eine solche Geschichte nachhing, wäre das gewiss nicht zu seinem Vorteil gewesen – weder künstlerisch noch kommerziell.

Eine kommerzielle Geschichte konnte er jedoch noch nachreichen: In dem Interview, das er wohl gab, erzählte er, dass ihm zum Kriegsende hin ein Mann besuchte, und alle Rechte abkaufen wollte. Simenon rief pro Buch 500.000 Francs auf, was den Mann nicht zu stören schien. Schnell erkannte er das Dilemma des Bietenden: Er hatte jede Menge Geld verdient, vermutlich auf dem Schwarzmarkt, und suchte nun einen Weg, dieses Geld zu sichern. Das Geschäft wäre, so Simenon, nicht zustande gekommen.

Wer selbst stöbern will, hier findet man das Portal.