Unterschrift

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Später, da fällt mir immer noch etwas ein, wie beispielsweise die Erwähnung von Simenon, dass »Broadway« so viel heißt wie »breiter Weg«, und ich musste kichern, da die Potsdamer ihre Haupteinkaufsstraße auch »Broadway« nennen, der aber gar nicht so breit ist und zusätzlich eine »Breite Straße« haben, die in der Tat sehr breit ist.

Es war im Jahr 2007, da gab es eine jähe Unterbrechung meiner Begeisterung für Simenon und die Webseite. Das hatte nichts mit dem Meister und seinem Werk zu tun. Wir holten uns einen neuen Hausbewohner namens »George«. Ohne »s«, wohlgemerkt. Den Namen hatte der Kater im Tierheim bekommen und wir haben ihn nicht umbenannt. So fanatisch, dass ich ein Haustier mit dem Namen eines meiner Lieblingsschriftsteller rufen wollte, bin ich nicht. George war ein Wildfang und mochte Menschen nicht. Ich war lange Zeit damit beschäftigt, ihn an uns zu gewöhnen. Die Zeit, die ich sonst in Maigret & Co. investierte, steckte ich nun in die Eingewöhnung des Katers.

Ich war absolut fasziniert, wie er sich entwickelte – es war ein mühsamer Weg, aber seine Fortschritte haben mich immer sehr glücklich gemacht. George mochte uns und/oder unserem Fütterungsrhythmus und wir hatten den Einruck, dass er an uns hing. Oder an dem, was wir verfütterten. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ihn mal für längere Zeit vermissten – er war immer da, wenn man ihn rief oder Geräusche mit seinen Lieblings-Leckerlis machte. Wie ein schwarzer Blitz! Seine Kolleg:innen waren und sind öfter mal abgängig. Selbst in seinen Senioren-Jahren gab es immer wieder Änderungen in seinem Verhalten und er wandte sich mehr uns Menschen zu. 

Auf der Webseite finden sich auch Spuren von ihm.

Die in den Zeilen gewählte Vergangenheitsform ist seinem heutigen Hinscheiden geschuldet, er ist heute Nacht eingeschlafen. Jedesmal, wenn ich etwas über den Belgier samt Vornamen schreiben, habe ich einen kurzen Augenblick die Gelegenheit, mich an diesen einmaligen Gefährten zu erinnern.

Zickenkrieg?

Ich war sicher am aufgeregtesten, denn hier stand ich nun mit drei Frauen, die ich dazu bringen musste, in Harmonie zusammenzuleben.

Mademoiselle Liberge, landläufig bekannt als Boule, war in Amerika angekommen. Erst einmal stand sie in Mexiko vor der Grenze der USA und hatte keine Erlaubnis, einzureisen. Aber Simenon kümmerte sich und machte sich, nachdem er gehört hatte, dass sie in Nogales eingetroffen war.

Tigy war mittlerweile auch auf der Hazienda in Tucson eingetroffen und erklärte sich zur Hausherrin. Sie kam mit der Köchin aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht zurecht. Vielleicht war sie deshalb ganz angetan davon, dass Boule wieder in den Dienst der Simenons treten wollte und sie jemanden an der Seite hatte, der sie verstand. 

Hilfreich war es sicher auch nicht, dass Tigyy darauf bestand, dass auf Einladungen die folgende Hierarchie gedruckt wurde: »Monsieur und Madame Simenon, Mademoiselle Denyse bitten…«. 

Tigy bestand darauf, immer noch die Frau zu sein. Ich will nicht zu weit voraus greifen, aber wir befinden uns meiner Erinnerung nach im Jahre 1947 – die Scheidung stand wohl schon vor der Tür, obwohl noch nicht die Rede davon war. Ich bin gespannt, wie sich das auf den nächsten Seiten weiter entwickelt und wann Simenon beginnt, klare Verhältnisse für Denyse zu schaffen.

Ich möchte mir nicht vorstellen, wie Denyse das Hinzukommen von Boule sah: Nicht mehr nur eine Frau aus der Vergangenheit ihres Geliebten im Haus, sondern zwei. Begeisterung dürfte es nicht gewesen sein. Natürlich wusste sie von der Frau aus dem fernen Frankreich und Simenon hatte ihr auch nicht verschwiegen, in was für einem Verhältnis er zu ihr stand. Aber war es ihr recht? Oder war es eine Bedrohung?

Simenon machte da weiter, wo er in Frankreich mit Boule aufgehört hatte:

Ich umarmte sie zärtlich, dann intimer, auf einem sehr sauberen Bett.

Das saubere Bett muss ein wenig erklärt werden: Simenon hatte einen Freund gebeten, Boule regelmäßig mit Geld zu versorgen. Das hat er nicht getan, weshalb ihr Auskommen in Paris mit der Zeit prekär wurde und sie bei einer Concierge namens Madame Foncrier am Place des Vosges gelebt hatte. Simenon kannte sie, Boule war auch mit ihr vertraut – so kann man davon ausgehen, dass es sich um die Hausaufsicht von Simenons ehemaliger Unterkunft am besagten Platz handelte. Sowohl die Concierge wie auch Boule hielten sich mit Näharbeiten über Wasser. In ihren Briefen hatte sie das nie erwähnt, weshalb Simenon keine Möglichkeit hatte, zu intervenieren.

Drei Frauen! Die Ex-Frau, eine neue Lebensgefährtin und eine unverzichtbare Geliebte – das war die Konstellation, die Simenon befrieden wollte. Eine wahrhafte Helden-Aufgabe.

Ein Ausflug

Eine Einladung nach Hollywood folgte. Es war eine kleine Runde geplant, zu der der Generalkonsul von Frankreich in Los Angeles einlud. Allerdings wuchs der Kreis der Eingeladenen und damit waren die Formalien strenger. Die Kleidung musste hochgestuft werden. An der Stelle erschlaffte mein Interesse, denn in den Erinnerungen geht es erst einmal um Kleidung und was für ein Drama sich daraus erwuchs, als die Simenons merkten, dass das Gewählte nicht den Ansprüchen der dem Anlass entsprach. Das ist nicht meine Welt und außer der Tatsache, dass Simenon sich zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr von der Stange gekauft hatte, kann ich keinen Erkenntnisgewinn verzeichnen.

Interessanter ist, dass sie eine echte Planung vornehmen mussten, um von Tucson bis nach Los Angeles zu fahren. Heute sind es ungefähr 800 Kilometer, wenn man die Strecke zu absolvieren hat und das ist ein echter Ritt. Vielleicht waren die Straßenführung damals identisch, aber ob sie so gut ausgebaut waren, davon kann man nicht ausgehen – ich erinnere mich an die nicht asphaltierten Straßen, von denen Simenon einige Kapitel zuvor sprach. Vieles nehmen wir einfach als selbstverständlich hin. Dazu gehören auch die Fahrzeuge, die nicht den gleichen Komfort boten, wie die Gefährte heute.

Dazu gehörte auch die Schilderung der Tour: Man musste die Wüste durchqueren. Bevor man das tat, wurde das Auto einmal inspiziert und der Reifendruck wurde geprüft und dann schaute man, dass man möglichst in einem Konvoi mit anderen Autofahrern unterwegs war, sodass im Falle eines Falles man sich gegenseitig helfen konnte. Hatte man die Wüste verlassen, wurde wieder alles geprüft und auch der Reifendruck angepasst. Spannende Zeiten – heute macht man sich keine großen Gedanken, zumindest haben wir bei unseren Reisen durch solche Gegenden zwar für ausreichend Wasser gesorgt. Aber in jeder anderen Hinsicht waren wir sehr sorglos.

Beim Überschreiten der Grenze nach Kalifornien passierten die beiden Reisenden eine Grenzkontrolle. Es sollten keine Pflanzen und Früchte eingeführt werden. Das hatten wir vor ein paar Jahren auch noch erlebt. Die Schwiegermama hatte einen Tannenzapfen dabei gehabt, der uns ein wenig Sorge bereitete, aber der stammte eigentlich aus Kalifornien. Ich glaube, der hat es bis nach Deutschland geschafft.

In dem Luxushotel, in dem sie in Hollywood übernachteten (Beverly Wilshire Hotel – in meiner Ausgabe steht »Wiltshire«, das ist jedoch nicht korrekt), mussten sie zwei Zimmer nehmen. Es war unverheirateten Paaren in den 1940er-Jahren nicht erlaubt, in einem Raum zu übernachten. Ein gewiss damals schon nicht billiger Spaß. Heute geht es bei 700 Euro für kleine Zimmer los. Nach oben hin gibt es sicher eine Grenze, aber ich habe die Webseite mit einem Schaudern verlassen, als ich die Preise für den »kleinen Geldbeutel« sah. 

Simenon notierte in seinen Erinnerungen auch, dass es Abhilfe gab: Die Motels, meist am Rande der Stadt gelegen, waren nicht pingelig.

Alte Bekannte, neue Bekannte und alte Krisen

Egal wo Simenon hinkam, er kannte schon Leute. Das war bei der Gesellschaft in Hollywood nicht anders, zumal viele französische Künstler während des Krieges (und auch noch danach) nach Amerika ausgewandert waren. So traf er auf Jean Renoir, den er an der Stelle nicht nur als alten Freund bezeichnet, sondern er empfand für ihn wie für einen Bruder. Einer der Herausgeber der Zeitschrift »Détective« – Georges Kessel – waren anwesend, wie auch Jean-Pierre Aumont, ein bekannter französischer Schauspieler, den Simenon schon auf Porquerolles zu Besuch hatte. (Dessen Wirken habe ich kurz betrachtet. Es ist amüsant, dass ich auf Anhieb keine Verfilmung finden konnte, die auf einem Werk von Simenon beruhte. Bei einer so langen Karriere in Frankreich wundert es ein wenig.)

Neben alten Freunden fand er bei der Gelegenheit auch neue: Bei diesem Empfang des Generalkonsuls sollte er Charly Chaplin kennenlernen und Charles Boyer. Letzter war ein bekannter französischer Schauspieler, der in den 30er- und 40er-Jahren große Erfolge in Hollywood feierte. Beide Männer sollten Freunde von Simenon werden.

Denyse schien gut angekommen zu sein in diesen neuen Kreisen. Man zog vom Restaurant aus weiter und da kam es dann zu einem kleinen Eklat. Georges Kessel hatte eine Bemerkung gemacht, die Denyse als rüpelhaft empfand und sie machte deshalb eine Szene, von der Simenon der Meinung war, in der Umgebung nicht unbemerkt blieb. Er hatte den Eindruck, sie würde ihn auffordern, eine Schlägerei mit seinen alten Freunden anzufangen, und das war ihm nicht recht. 

Letztlich mussten sie die Party verlassen, weil sich Denyse nicht mehr wohl fühlte und beruhigen konnte, und sie begaben sich zurück zum Hotel. Er war irritiert und traurig. Solche Auftritte hatte es in der Vergangenheit schon gegeben. Melancholisch endet das Kapitel:

Morgen, wenn wir zurück nach Tucson fahren würden, würden wir so tun müssen, als wäre nichts geschehen.