Unterschrift

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Das war Kapitel 23 und Simenon ist immer noch hauptsächlich mit Denyse beschäftigt. Er hatte sie als Sekretärin eingestellt und da er die meiste Zeit zu Hause arbeitet, wird von ihr natürlich auch erwartet, dass sie in seiner Nähe arbeitet. Vorerst hatte sich Simenon noch nicht getraut, Tigy die Tragweite seiner Entscheidung mitzuteilen. Vorerst war Denyse für sie einfach nur eine Sekretärin und nicht mehr.

So war das erste Zusammentreffen auch nicht problembeladen. Mochte Tigy auch gewisse Vorstellungen haben, sie wusste schließlich, wie ihr Ehemann tickte, so war sie, zuerst sogar beruhigt. Denn sie fragte Denyse, ob sie sie malen dürfte. Diese stimmte zu und es entstand ein Akt. Tigy wusste anschließend, dass Denyse eine (rötliche) Narbe auf dem Bauch hatte. Georges hatte ihr zwanzig Jahre zuvor einmal erklärt, so erzählte sie es einer Freundin, dass er mit Frauen, die eine Narbe auf dem Bauch hatten, nicht schlafen könne. Sie ging davon aus, dass sich das nicht geändert hatte. Aber woher sollte sie auch wissen, dass Georges so manche Gewohnheit gerade jetzt über Bord warf?

An Marc

Simenon beichtet Immer noch an seinen ältesten Sohn und so bekommt der in Erinnerung gerufen, dass er mit Denyse eigentlich sehr gut konnte. Er hatte die junge Frau gleich als Spielgefährtin in Beschlag genommen und hatte so auch nichts dagegen, als Denyse aus ihrem Angestellten-Zimmer in das Zimmer des Papas zog.

Nachdem ich mir neulich schon einen Schlenker in die Pop-Kultur erlaubt habe, möchte ich das bei der Gelegenheit auch tun: Ray Romano erzählt in seinem aktuellen Comedy-Special, dass ihm seine Mutter sagte, dass sie so lange bei ihrem Mann und seinem Vater geblieben wäre, weil der Sex so gut gewesen wäre. Da wäre sie 89 Jahre alt gewesen. Romano merkt dazu an, es wäre schon schwierig genug sich vorzustellen, wie die eigenen Eltern Sex hätten. Schwieriger wäre es eigentlich nur noch, sich vorzustellen, wie die eigenen Eltern guten Sex miteinander hätten. Mit anderen Worten: Man will das eigentlich nicht hören. Das mag nicht jeder so sehen, ich halte das aber für durchaus für nachvollziehbar und deshalb frage ich mich auch immer, ob Simenon mit der Adressierung dieser Beichte an seine Kinder, wirklich richtig lag.

Simenon schildert diesen Umzug übrigens als Folge einer Krankheit. Er wusste nicht genau, ob er sich die Krankheit beim Outdoor-Sex zugezogen hatte (er nahm es nicht an), aber wir wissen nun, dass er solchen hatte und die Temperaturen zu der Zeit lagen durchaus bei erfrischenden -20° Celsius. Ich hätte da ein paar Fragen gehabt, allerdings ist Simenon ja auch nicht mein Dad.

Als er nun aber daniederlag und Tigy ihn pflegen wollte, machte er Nägeln mit Köpfen und erklärte, dass sie nicht mehr das Paar sei und Denyse ihn pflegen würde. Damit wurde es auch Tigy klar, dass Denyse mehr als nur die Sekretärsaufgaben obliegen würden.

Eifersucht

Denyse stellte Simenon die durchaus berechtigte Frage, ob er denn erwarten würde, dass sie mit Mitte zwanzig immer noch Jungfrau wäre und keine sexuellen Erfahrungen habe. Hintergrund war, dass er ihr immer wieder Szenen machte, wenn sie aus der Vergangenheit erzählte, ihm Briefe zu lesen gab oder sie auf alte Bekannte von ihr trafen. Es gab da den vernünftigen Teil in dem Mann, der ihm sagte, dass er selbstverständlich nicht der Erste sein; aber der unvernünftige Teil trat halt immer wieder zu Tage und dann kam es zu Streitereien. Dann ohrfeigte man sich auch einmal in der Öffentlichkeit.

Das »man« klingt ein wenig neutral. Aber es nach seiner Beschreibung hat so, dass sie ihn ohrfeigte und er sie. Das ging natürlich nicht immer und überall, weshalb sie einmal disziplinieren musste:

»Hier sieht man es nicht gerne, wenn eine Frau geschlagen wird.«

Das kann man als Leidenschaft hinstellen, das fällt mir aber wirklich schwer. Es ist auch immer leicht, sich hinzustellen und mit erhobenem Zeigefinger das Verhalten anderer zu beurteilen. Vor allem, da es nicht meiner Natur entspricht, andere Menschen zu ohrfeigen – privat oder öffentlich spielt keine Rolle. Es ist meiner Meinung nach eine grobe, herabwürdigende Handlung. Aber warum betont den Denyse das »hier« so besonders? Meinte sie, dass es anderswo – beispielsweise in Frankreich – anders gehandhabt wurde? Mir ist das nicht zu Ohren gekommen.

Allerdings hat Simenon diese groben Züge auch nicht erkennen lassen. Dieser Teil seiner Natur kam erst zum Vorschein, als der Denyse kennengelernt hatte. Zumindest fing er erst dann an, darüber zu berichten.

Ihm ist schon klar, dass er sich geändert hatte. Bezeichnend dafür ist auch, dass er Denyse eine neue Ordnung in seinen Unterlagen einführen lässt. Ihm passt es nicht, aber er lässt es zu. Im Rückblick ist ihm klar, dass dies der Anfang eines Umbruchs war und schreibt dazu:

»Schade um die Ordnung! Schade um mich!«

Kleider machen Menschen

​Im letzten Abschnitt des Kapitels kommt Simenon noch einmal darauf zurück, dass er mit der Vergangenheit von Denyse nicht umgehen kann. Er mag ihre alten Kleider nicht, weil sie ihn an ihr altes Leben erinnern. Er legt ihr nahe, sich von allen Kleidern, allen Utensilien, sogar Schmuckstücken, zu trennen und fährt mit ihr nach New York um sie neu einzukleiden.

Das war ein kostspieliges Vergnügen, aber danach hatte er seine Ruhe.

In dieser Zeit, dass sei noch am Rande erwähnt, um mal wieder einen literarischen Aspekt zu erwähnen, den Simenon auch erwähnt, schrieb er »Maigret in New York«.