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Eine wahre Freude
Mag sein, dass es eine steile These ist: Der Band »Simenon – Écrivain Photographe« von Freddy Bonmariage ist aktuell der zuletzt erschienene Titel mit Simenons-Reportage-Bildern. Und er ist in der hier beschriebenen Reihe von Büchern auch der, der als der gelungenste gelten kann. Gern gebe ich preis, warum ich mich für den 2006 erschienenen Titel begeistern kann.
Der Grund für die Formulierung, dass es sich um eine These handelt: Im Jahr 2023 gab es ein Simenon-Frühjahr in Lüttich und bei der Gelegenheit wurden die Reportage-Bilder von Simenon erneut gezeigt. Das dazugehörige Buch ist zwar in den Katalogen zu finden, aber es ist weder verfügbar (dafür, dass es gerade vor zwei Jahren erschienen ist, ist das zumindest merkwürdig) noch ist es antiquarisch zu haben (und bei so »frischen« Titeln findet sich immer jemand, der es loswerden will). Insofern ist die Frage, ob das Buch wirklich jemals erschienen ist. (Sollte sich jemand finden, der es hat oder schon mal gesehen hat – er möge sich gern melden!)
Erstmals wurde Teile der Fotos übrigens in der Simenon-Ausstellung im Jahr 1993 gezeigt. Die erste Exposition, in der sich auf die Aufnahmen der Reportagen konzentriert wurde, war die 1999 in Charleroi.
Zurück zu dem Titel, um den es in dem kleinen Beitrag gehen soll: Ich war 2006, als das Buch erschienen ist, sehr skeptisch gewesen. Wer den Katalog zur Ausstellung im »Jeu des Paume« besitzt, darf sich zurecht fragen, ob sich die Anschaffung für ihn lohnt. Denn dieser glänzt mit seinem schieren Umfang und der guten Gestaltung, sodass man gern durch den Band blättert.
Nun wäre es aber nicht gerecht, den Band einfach beiseitezuschieben. Bei näherer Betrachtung zeigen sich einige Vorteile, die an den anderen Bänden gestört haben. Zum einen wurde das Buch als Hardcover veröffentlich. Blättert man durch die Kollektion, so beschleicht einen nicht das Gefühl, dass das geschätzte Exemplar gleich in mehrere Teile auflösen würde und man einzelne Seiten in den Händen halten würde.
Die Bilder
Die Aufnahmen sind nachbearbeitet worden: Simenon hatte ein charmantes Bild von zwei Damen vor einem Café aufgenommen. Offenbar hatte er die Kamera gezückt und einfach abgedrückt. Den Texten der anderen Bände zufolge war Simenon sehr spontan und es wurden, wie Bonmariage formuliert, Personen abgebildet, …
[...] die sich sicherlich nicht dafür entschieden haben, fotografiert zu werden, [...]
Diese Vorgehensweise Simenons hat aber eines zur Folge: Die Fotos waren nicht immer optimal. Bei dem zuvor begonnenen Beispiel war es so, dass das Ergebnis ein im wahrsten Sinne des Wortes sehr schräges war. Daran sieht man die »Action«, mit der es aufgenommen wurde. Aber den heutigen Betrachter stellt sich natürlich die Frage: »Hätte man das nicht korrigieren können?« Und während das bei den Vorgängern unterlassen wurde, hat sich Bonmariage die Mühe gemacht, die Bilder aufzupeppen, dass sie ansprechend aussehen.
Ob das nun in jedem Fall gut ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Simenon kam es hauptsächlich auf das Motiv an – und die technische Umsetzung interessierte ihn nicht. So gesehen würde ich annehmen, er hätte gegen eine Optimierung dieser Art bei einer Publikation nichts. Zumal seine Fotografien für die Reportagen, die er veröffentlicht hatte, von den Verlagen gewiss auch angepasst worden sind.
Mehr über »simenon als fotograf«

Ein ganz anderes Kaliber
Vom 13. Januar bis zum 7. März fand eine Ausstellung mit Fotografien von Simenon im Jeu de Paume in Paris statt – allerdings im Jahr 2004. Schon …

Fünfzig Prozent mehr
Wo ein Buch als Ausstellungskatalog daherkommt, da muss es auch eine Ausstellung gegeben haben. Wir haben damit gleich zwei Premieren, die mit diesem …

Der Knipser
Allseits bekannt dürfte sein, dass es in der Vergangenheit Ausstellungen mit Fotografien von Simenon gegeben hat. Über die Jahre haben sich auch ein …
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Der einzige Punkt, den man an der Stelle anführen könnte, ist, dass es sich falsch anführt, weil an Authentizität verloren geht. Ein Aspekt, der einem nicht mehr so wichtig ist, wenn man dasselbe Bild in den verschiedenen Titeln sieht.
Da der Band in einem ähnlichen Format wie der Katalog zur 2004er-Ausstellung daherkommt, finden wir auch in ihm kleine, postkartengroße Bilder. So bleibt festzuhalten, dass die Bildbearbeitung durchweg gelungen ist.
Die Struktur
Als Vergleich können nur die zuvor erschienenen Titel herhalten. In denen waren die Bilder thematisch sortiert. In zwei Bänden haben wir es mit Vorworten zu tun (»Les photographies de Simenon« und »Simenon photographe«). Der Pariser Katalog bot drei Texte – von denen nur eines thematisch zu einem Kapitel passte. Die anderen beiden Texte waren Übersichtsartikel.
Das ist hier anders. Zwar werden auch in den anderen Titeln die fotografischen Werke Simenons in Kapiteln geordnet. Aber die Sortierung erfolgt nach Entstehungsjahr. Deshalb stehen die Aufnahmen von Flüssen und Kanälen ganz am Anfang des Buches.
Jedem einzelnen Themenbereich ein eigener Text zugeordnet. Die Informationen, die in den Texten zu finden sind, findet man auch in den anderen Bänden. Aber Bonmariage hat eine weitere Ebene eingeführt, die den zuvor erschienenen Fotobänden fehlte: die Literatur.
Mit diesem Alleinstellungsmerkmal kann er gut punkten.
Die Texte
Die Mehrheit der Texte, die im Zusammenhang mit dem Thema »Reportage-Fotos von Simenon« erscheinen, zeigt sich ausgesprochen positiv. Dieser Band geht sogar noch einen Schritt weiter: Von vornherein wird erklärt, dass es sich um einen Hommage an Simenon handelt. Das ist völlig in Ordnung, denn so wird gleich klar, dass harte Worte der Kritik eher nicht zu finden sein werden.
Dafür erfolgt durch den Autor eine sehr lobenswerte Einordnung dessen, was zu sehen ist:
In seinen Bildern erkennt man die Handschrift eines einfachen und spontanen Fotografen, der die Dinge sieht, das Erlebte, der diese Momente der Realität einfängt und sie in Objekte verwandelt, Zeugen seiner Begegnungen und der vergangenen Zeit. [...] Daher können wir vermuten, dass diese fotografischen Bilder keiner Kategorie zuzuordnen sind, dass sie nicht von einer Ideologie oder dem Bedürfnis nach ästhetischer Forschung getragen werden, sondern im Wesentlichen Teil seines Schaffens als Geschichtenerzähler und Romanautor sind: Durch ihre Verbindung zu dieser Zeit wecken sie Emotionen, die immer von Nostalgie und sogar Pathos geprägt sind. [...] Da sie jedoch Teil eines umfassenden künstlerischen Ausdrucks sind, lohnt es sich, sie mit einem neuen und aufmerksamen Blick zu lesen.
Begleitet wird diese Ausführung durch die Erinnerung an das Bekenntnis Simenons, dass er eher ein Handwerker sei. Daraus würde ich schließen, dass sich der Schriftsteller beim Fotografieren nie als Künstler gesehen hat – sondern es ein Beiwerk zu seinem Schaffen war. In mancher Hinsicht auch einfach eine ökonomische Notwendigkeit, denn es wäre zusätzlicher finanzieller und organisatorischer Aufwand gewesen, zu den Reisen auch noch einen Fotografen zu organisieren.
Diese Einschätzung ist sehr wohltuend, weil man in manchen zuvor gelesenen Texten den Eindruck gewinnen konnte, dass hier ein Simenon auch als Fotograf (im Sinne eines Künstlers) hochstilisiert wurde. Und das war er beileibe nicht.
In einem – wahrlich sehr kurzen – Beitrag hatte ich 2006 geschrieben, dass die Beiträge in dem Buch sehr kurz wären. Das könnte man als Kritik verstehen, ist damals vielleicht auch so gemeint gewesen, aber heute würde ich das anders formulieren: Die Texte umfassen, mit Ausnahme des Vorworts, jeweils eine Seite. Sie stellen einen Bezug zu einem Werk her. Die Routen, die Simenon für seine Reisen wählte, werden zudem ausführlich beschrieben.
Bonus?
Zu dem Buch gehört eine DVD. Instinktiv würde man die Formulierung »Bonus« verwenden. Bei dem Aufwand, der für die Produktion aufgewendet wurde, wäre das aber fast eine Beleidigung. Fast so, als würde man sagen, dass das Buch »Begleitmaterial für die DVD« wäre.
Es ist ratsam, es als ein umfassendes Kunstwerk zu betrachten.
Eine andere Frage ist, was man davon hält. Dabei will ich überhaupt gar nicht in Abrede stellen, dass die Slideshows ihre Qualitäten haben. Im Unterschied zu den Büchern, wo man durch die Anzahl der Seiten limitiert ist, die zu produzieren sind, konnten sich die Machen, bei den großen und kleinen Filmen wirklich austoben. Auch die Stimme des Erzählers ist sehr angenehm.
Nur von der Musik kann man das nicht sagen. Diese ist größtenteils enervierend. Ich glaube das sollte bei Bildern, die von den meisten – wir haben es zuvor durch Monsieur Bonmariage persönlich erfahren – nostalgisch gelesen werden, nicht der Fall sein. Da soll auch keine Schunkel-Musik kommen. Aber ein elektronisches Instrument, das an ein Akkordeon erinnert, erzeugte teilweise sehr experimentelle Töne und versucht zu oft an Stellen Spannung zu erzeugen, wo keine Vorhanden ist. Mein Geschmack war es, wie sich unschwer aus dem zuvor Geschriebenen herauszulesen war, leider nicht.
Eine Lösung könnte sein, dass man den Ton einfach ausschaltet … so werde ich mit dieser Geschmacksinkompatibilität umgehen.
Fazit
Ein schön gestaltetes Buch mit ansprechenden Fotos, die professionell nachbearbeitet worden sind – interessiert man sich für die Fotografie Simenons, dann ist dieses Werk von Freddy Bonmariage empfehlenswert. Als Bonus gibt es noch eine DVD, auf der man ganz andere Aufnahmen zu sehen bekommt und das nicht nur von Simenon.
Gefallen hat mir besonders die Verknüpfung der Aufnahmen mit dem literarischen Werk Simenons.