Hafen der Versuchung

Aus anderer Perspektive


Vor geraumer Zeit wurde an der Stelle von dem Wirken des Journalisten Pem berichtet. Der Mann hatte Deutschland aus Gründen verlassen und sich schließlich in England niedergelassen, von wo aus er über kulturelle Angelegenheiten schrieb – veröffentlicht in der deutschen Exil-Presse in New Yorker oder auch in der Wiener »Weltpresse«. Und in Letzterer thematisierte er Simenon.

Bei anderer Gelegenheit wurde die Frage aufgeworfen, was einen in ein Kompendium über französischsprachige Literatur bringen könnte. Pem hätte da offenbar sehr niedrige nationale Kriterien angebracht, schreibt er doch in seinem Artikel:

Simenon ist wohl der produktivste französische Schriftsteller.

Seine belgischen Eltern hätten wohl den Finger gehoben, wenn sie das gelesen hätten. Simenon selbst wahrscheinlich auch. Aber in der Einleitung des Beitrags werden noch einige andere Sachen berichtet, die diskussionswürdig sind. 

Beispielsweise schreibt Pem, dass Simenon vor dem Krieg gewöhnlich auf einem Hausboot gelebt hätte und nur selten an Land kam und dass ihn Paris über Nacht literarisch entdeckt hätte.

Schnell kommt man in dem Beitrag aber zu einem Mann, dessen Namen damals lebenden Wienern geläufiger sein dürfte: Viktor Skutezky.

Im Filmgeschäft verhaftet

Der in Brünn geborene Skutezky erlangte in der Stadt einige Bekanntheit mit einem Stück namens »Kleines Glück auf der Wieden«. Dieses volkstümliche Lustspiel hatte er verfasst, als er ans Krankenbett gefesselt war – es war sein erstes Werk für das Theater. Premiere hatte das Stück im September 1937.

Zuvor war er im Film-Geschäft engagiert – anfangs arbeitete er als Regie-Assistent, bevor Skutezky sich später auch in der Aufnahmeleitung betätigte. Die Machtergreifung der Nazis zwang ihn, aus Deutschland zu verschwinden – er ging nach Wien. Auch dort betätigte er sich – wie zuvor in Deutschland – im Filmgeschäft. Dazu machte er sich nun einen Namen als Drehbuch-Autor.

Einen tiefen Blick in die Geschichtsbücher braucht es nicht, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass er diesen Erfolg nicht lange genießen konnte. Mit dem Anschluss Österreichs an das deutsche Reich musste er nach England fliehen. Ihm gelang es auch hier, im Film-Business Tritt zu fassen und betätigte sich als Drehbuch-Autor und als Produzent.

Als solcher tritt er auch im Simenon-Kontext in Erscheinung: Skutezky hatte die Rechte an dem Roman »Der Mann aus London« für eine Film-Adaption erworben, die unter dem Titel »Hafen der Versuchung« veröffentlicht werden sollte.  (Pem schrieb, dass es sich um die Geschichte »Dieppe-Newhaven« handeln würde. Der englische Titel lautete korrekterweise »Newhaven–Dieppe« – das man dort eine Insel-Perspektive hereinbrachte, versteht sich. Der deutschspachige Titel unter dem der Roman in den 1930er-Jahren erschienen war, unterscheidet sich nicht von dem heutigen.)

Für diese Produktion war ihm ein Clou gelungen: Er hatte, zumindest nach der Einschätzung von Pem, einen der besten englischen Schauspieler verpflichten können – Robert Newton. Und eine Französin war auch mit an Bord: Simone Simon.

Der Star

Pem schrieb in dem Beitrag, dass die Französin sehr erfolgreich gewesen war. Dann folgte sie dem Ruf nach Hollywood, wo sie aber nicht glücklich war. Ihr passte es nicht, dass sie von der Traumfabrik »verschönt, versüßlicht und verkitscht« wurde. Weshalb sie wieder zurück nach Frankreich ging.

Das kann man so schreiben, spiegelt aber nicht alle Tatsachen wider.

Aber wir fangen ein Stück weiter vorher an: Simone Simon wurde 1914 in Marseille geboren. Sie war schon als Kind weiter herumgekommen, was an den familiären Verhältnissen stammte. Der Vater war Angestellter, von der Mutter ist kein Beruf bekannt. Das Paar trennt sich, als die Kleine drei Jahre alt war und daraufhin tritt sie ihre erste Reise an: Madagaskar. Weitere Stationen, bevor sie mit der Schauspielerei anfing, waren: Deutschland, Ungarn und Italien.

Schon vor sie von dem russischen Regisseur Victor Tourjansky entdeckt wurde, hatte sie als Model gearbeitet und Auftritte in Musicals gehabt. Aber von dem Exil-Russen bekommt sie ihre erste Rolle in dem Film »Le Chanteur inconnu«. Nach diesen ersten Streifen wird sie nach Hollywood gelockt – allerdings war sie mit ihren privaten Affären präsenter als mit ihren filmischen Arbeiten. Das mochte auch daran liegen, dass sie keinen Zugang zur englische Sprache bekam und sie damit Schwierigkeiten hatte, Tritt im Film-Geschäft zu fassen.

Zurück in Frankreich drehte sie von 1938 erfolgreiche Filme. Ein Intermezzo, denn wie auch Skutezky machte Simon der Krieg zu schaffen – wieder zog es sie nach Hollywood. 

Diesmal war sie erfolgreicher – die bekannteste Produktion dürfte »Cat People« gewesen sein, der 1942 erschienen ist und eine Mischung aus Fantasy, Horror und Thriller ist. Ob es wirklich um mehrere Katzenmenschen geht, kann ich nicht sagen, aber im Film geht es sich darum, dass aus Irena Dubrovna (gespielt von Simon) eine Großkatze wird, wenn sie unter emotionalen Druck gerät. Und, so viel weiß man von Großkatzen hinlänglich, mit denen ist nicht zu spaßen.

Nach dem Krieg kehrte sie nach Frankreich zurück, war etwa zehn Jahre im Kino-Geschäft tätig, bevor sie sich dem Theater widmete. Nur vereinzelt war sie noch im auf der Leinwand zu sehen. Simon war zweimal verheiratet und hatte einen Sohn. Wie der Zufall es wollte, trug ihr erster Ehemann den gleichen Familiennamen wie sie – praktischerweise musste sich keiner der beiden umgewöhnen.

Im Alter von 93 Jahren verstarb Simone Simon am 22. Februar 2005 in Paris.

Kurz zurück

Anderweitig wird geschrieben, dass »Hafen der Versuchung«, der erste englischsprachige Film von Simone Simon gewesen ist. Das ist nicht der Fall, wie die Hollywood-Produktionen von ihr zeigen. Es könnte sein, dass diese Information diesem Artikel entlehnt ist. Aber das hatte Pem nicht geschrieben: Er hatte nur angemerkt, dass dies der erste englische Film für die Französin wäre.

Schön, dass einem diese alten Artikel hin und wieder in die Finger geraten. So hat man die Chance, Artefakte zu beleuchten, die schon fast verschwunden sind – wie den Produzenten und einen der Stars der Film-Produktion. 

Der Film hat gute Bewertungen erhalten, was jedoch nichts darüber aussagt, dass man ihn hierzulande noch einmal zu Gesicht bekommt. Die alte Geschichte …

Der Beitrag für die »Weltpresse« erschien am 24. August 1946. Die Zeitung wurde vom Britischen Weltnachrichtendienst herausgegeben. Was eine Erklärung dafür ist, warum ein Exil-Deutscher in Großbritannien für eine Wiener Zeitung geschrieben hat.