Über die Story

Die meisten Katastrophen entstehen doch aus Kleinigkeiten. Dieses Thema ist aus Simenon-Romanen und -Erzählungen schon altbekannt. Keiner kommt noch auf die Idee, dass einer Simenonschen Figur die große Politik Ungemach brachte. Es ist merkwürdig, aber die Politik spielt eine vergleichsweise kleine Rolle. Das Joch der Steuern mag hoch sein, es findet in den Büchern keine Erwähnung. Auch Repressalien werden nicht »an denen da oben« festgemacht, vielmehr wird, wenn es dann Thema wird, es an örtlichen Repräsentanten festgemacht, wie zum Beispiel in Die Leute gegenüber. (Zwei Ausnahmen seien an der Stelle erwähnt: zum einen in Der Präsident, aber das sagt der Name schon – Politik ist die Trägerschicht, die Geschichte ließe sich auch als Konflikt zwischen einem Senior-Chef und einem Geschäftsführer denken; und zum anderen Der ältere Bruder – hier ist die Politik der Meinung, die Gerichtsbarkeit ein wenig auf Trab zu bringen. Das innenpolitische Klima wäre danach.)

Geschichte wird manchmal auf der Straße gemacht. Die unmittelbaren Auswirkungen sind für die Macher nicht zu erkennen (Aber geht das zum Beispiel Politikern nicht immer so? Erst spät gelangen sie zur Einsicht.) In dem Fall ist es ein merkwürdiger Junge namens Cendron, der gegenüber den Jungen auf der Straße etwas von Geheimpolizei und allerlei anderem schwaffelt. Damit kann man die Aufmerksamkeit von den Burschen erlagen, das ist wohl auch seine Absicht.

So erzählt er dem kleinen Bilot, um zu beweisen, dass er bei der Geheimpolizei ist, dass sein Vater in der Rue de la Liberté arbeiten würde. Das kann Bilot nicht glauben, denn er weiß von einem ganz anderen Büro. So geht es bei solchen Gesprächen immer hin und her. Cendron bleibt bei seiner Geschichte, dass er Bilots Vater aus einem großen Haus in der besagten Straße hat kommen sehen.

Dann geht Bilot nach Hause und trifft bei Tisch seinen Vater. Er fragt ihn völlig unschuldig, wie es denn sein könne, dass ihn der blöde Junge von der Straße aus einem Haus in der Rue de la Liberté habe kommen sehen. Das könne doch nicht wahr sein. Nein, sagt der Vater, das ist nicht wahr. Wahrlich erschreckt.

Seine Frau hört kurz hin, fragt nach, und weiß sofort was gewesen ist. In diesem Haus, das erfährt der Leser so dann, wohnt eine lasterhafte Frau. Nur von der könne ihr Mann gekommen sein. Diese Überzeugung setzt sich fest. Simenon schildert in dieser kurzen Geschichte das weitere Zusammenleben, was für den Mann wirklich nicht einfach werden sollte. Wie man sieht, haben die Leute andere Sorgen als nur immer Politik.

Bemerkens- und erwähnenswert ist der Anfang der Erzählung. Mit wenigen Worten fühlt man sich in der Straße, von der die Rede ist, heimisch. Nun werden heute die Straßen und Vorstufen in den allerwenigsten Fällen von den Eignern geschrubbt, trotzdem entsteht ein lebendiges Bild vor dem Auge. In dieser Straße könnte man auch gewohnt haben.