Claude Chabrol über »Betty«


Claude Chabrol äußerte sich anlässlich der Veröffentlichung von »Betty« über sein Verhältnis zu Georges Simenon und seine Sicht auf die Frauen-Geschichte des Schriftstellers.

»Was ich bei Simenon besonders bewundernswert finde, ist der auffallende Anspruch und gleichzeitig diese einfache Art, Dinge zu sagen. Es geht darum, das menschliche Wesen (besser gesagt den weißen Westeuropäer) so gründlich und so vollständig wie möglich zu erforschen, und zwar mit dein einzig ehrlichen Mittel: Nämlich allein durch Beispiele, und dabei weder die Psychologie noch die Physiologie, weder das Soziale, noch die Ontologie zu bevorzugen, und dabei zugleich weder das- eine noch das andere zu vernachlässigen.

Ich erinnere mich an zwei lange feuchtfröhliche Abende: Für Simenon war die Intelligenz kein Beweis der Überlegenheit des menschlichen Untiers (ein Ausdruck, den er liebte). Damals, in den 60er Jahren, war er viel mehr fasziniert von der Aktivität des Kleinhirns. Seiner Meinung nach befand sich dort der Überlebenstrieb, der ihn immer gefesselt hatte.

In dieser Zeit schrieb er »Betty« und fragte mich, warum in die Filmemacher nicht häufiger versuchten, Filme ohne Geschichten zu machen. Dabei sei es doch ein enormer Vorteil, mit lebendigen Schauspielern zu arbeiten, anstatt mit einem leblosen weißen Blatt Papier. Er war davon überzeugt, dass die Zuschauer allein mit Figuren und einer Struktur zu begeistern wären.

Tatsächlich ist in allen Romanen Simenons, mit oder ohne Maigret, das menschliche Wesen das einzige Rätsel, das zu lösen ist und nie ganz gelöst wird.

Letztenendes habe ich »Betty« genauso verfilmt. Das Erforschen eines menschlichen Wesens, ohne darauf zu spekulieren, in alle seine Geheimnisse eindringen zu können.

Die Arbeitsweise Simenons ist bekannt. Mehrere Wochen oder Monate lang sammelte er Eindrücke, um die, Figuren und die Atmosphäre entstehen zu lassen. Dann folgte das schnelle, fast automatische Schreiben in circa zehn Tagen der Zurückgezogenheit und schließlich brauchte er einen guten Monat zur Überarbeitung und Glättung. Es erinnerte mich wirklich an die Entstehung eines Films, abgesehen vom unterschiedlichen Zeitaufwand.

Das Seltsame an dieser Geschichte ist, daß mir als ich begann, die Arbeit Simenons auseinander zunehmen, keine passende Vorgehensweise für die Verfilmung einfallen wollte. Ich befand mich in der Lage des Schriftstellers und war gezwungen, in die Figur der Frau einzutauchen wie in unbekanntes Gewässer. Sogar während der Dreharbeiten hatte ich das Gefühl, mich mit »Betty« zu identifizieren, d.h. mit Marie Trintignant, die sich mit »Betty« identifizierte. Alle anderen Figuren sah ich mit den Augen dieser »Betty«, die ich nicht zu verstehen versuchte, die ich akzeptierte wie sie war, die ich - wie Simenon um jeden Preis überleben lassen wollte.

Zu den Fragen, die ich mir im Laufe dieses Abenteuers stellen konnte, die Marie Trintignant und Stéphane Audran sich stellen konnten, und die sich die Zuschauer zweifellos stellen werden, gehören zum Beispiel:

  * Wie kann man Betty erklären, sie verstehen?
  * Wie kann man akzeptieren, dass sie ihre Kinder quasi verkauft?
  * Welche Spuren hat die Erinnerung an Thérèse bei ihr hinterlassen? - Hat Betty insgeheim den Skandal gewünscht, und warum?
  * Welche Rolle spielt der Alkohol in der Ziellosigkeit der beiden Frauen?
  * Entsteht die Beichte Bettys aus einer christlichen Idee heraus, und nimmt Laure damit die Last von Bettys Schuld auf sich?
  * Warum hat das Überleben Betty den Tod Laures zur Folge?
  * Was empfindet Betty für ihren Mann, für die Männer, mit denen sie sich einlässt, und für Mario?
  * Was bedeutet der Druck der sprichwörtlichen gesellschaftlichen Zwänge, von denen Laune spricht.
  * Ist Betty unbefriedigt, hysterisch oder eine Nutte?

Auf all diese und einige andere Fragen wiegt meine Antwort nicht mehr als jede andere. Sie wiegt mit Sicherheit weniger als die Fragen selbst. Denn diese drängen uns, das menschliche Untier etwas näher zu betrachten, und zwar mit einem Blick, der gleichzeitig etwas schärfer und etwas nachsichtiger ist.«

Stimmen zu dem Film

»Chabrol verfilmte ein weniger bekanntes Werk Georges Simenons und machte aus dem behutsam gestrickten Widerstreit zwischen Sex und Eros einen kühl gestrickten Seelen-Report, in dem das Recht des Stärkeren dominiert.«
TV-Prisma

»Chabrol verfilmte die Georges-Simenon-Vorlage ohne rechten Biss.«
TV Spielfilm