Du

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Es gibt da diese Kalenderblätter, die in Zeitungen und Zeitschriften erscheinen; hin und wieder auch im Radio und die Redakteure der Kultur-Magazine schauen auch hin und wieder mal in den Kalender und stellen dann fest: »Huch, XY hat ja demnächst wieder Geburtstag|Todestag« – daraus resultiert dann ein Beitrag und die Leser, Hörer und Seher machen sich dann auf den Weg in die Buchhandlung.

Wie man merkt, ist man hier auf der Seite nicht ganz so auf zack: Geburtstage und Todestage werden zur Kenntnisse genommen und im Rahmen privater Feiern und Andachten begangen.

So wird mit einer gehörigen Verspätung die Veröffentlichung des Kulturmagazins »Du« zum Thema. Dieses stammt aus der Schweiz und nahm sich zum 30. Todestag ein zweites Mal das Thema Simenon vor. Das Heft trägt den Titel »Unveröffentlichtes zum 30. Todestag« – wenn man das laut vor sich hin liest, klingt das ein wenig komisch. Denn es gibt ja keine Veröffentlichungen anlässlich des 30. Todestages, sondern der 30. Todestag wurde zum Anlass genommen, in verschiedenen Archiven zu kramen, um Sachen zu finden, die noch nie veröffentlicht wurden. Ein Premieren-Magazin sozusagen.

Das ist – das muss man anerkennen – gelungen, denn es gab ein paar schöne Fundstücke und Erstveröffentlichungen von und über Simenon. Die Fußnote, die man dazu schreiben müsste ist: Bei Simenon ist natürlich gemeint »in deutscher Sprache«. Wir hinken da noch ein wenig hinterher.

Das Formale

​Normalerweise legt man wohl nicht so einen großen Wert darauf: Aber wir haben es hier mit einer Zeitschrift zu tun und ein langweiliges Layout wäre da sehr abträglich. Ich fand die Gestaltung sehr gelungen. Es sind schöne großflächige Bilder sowohl von Simenon wie auch von Verfilmungen. Es finden sich sowohl Abbildungen von Covern und eine Strecke im Heft widmet sich den Fotografien von Simenon, ein Thema das hier in Deutschland noch nicht so hoch aufgegangen wurde – anderswo gab es schon eine ganze Reihe von Ausstellungen und Büchern zu dem Thema.

Die Typographie ist sehr angenehm, nicht zu verspielt und es gibt viel Weißraum. (Wer die Webseite betrachtet, kann beobachten, dass Weißraum geliebt wird.) Zu einem seriösen Schriftsteller, der schon vor einiger Zeit in hohem Alter vor uns gegangen ist, etwas poppiges zu machen, hätte einen wahrscheinlich verstörenden Charakter. Mir gefällt’s, zumal es zu dem Thema passt.

Von Simenon

Wie schon erwähnt, kann man sich an Fotografien von Simenon erfreuen – William Boyd hat dazu einen Text geschrieben. Die Antwort darauf, ob es sich bei den Bildern um Kunst handelt, oder man hier die Abbildungen eines Reporters sieht oder gar nur Knipserei, müssen Leute beurteilen, die sich wirklich mit dem Thema Fotografie auskennen. Der Reiz der Bilder besteht oft darin, dass man das »echte« Leben der damaligen Zeit sieht. Interessant werden sie auch dadurch, dass man als Simenon-Leser Parallelen zum literarischen Werk herstellt; wenn man sehr viel von dem Autoren gelesen hat, ist das fast unausweichlich.

Dazu passt auch, die Veröffentlichung eines Auszugs der Reportage über die Reise auf einem Segelschiff im Mittelmeer unter dem Titel »Mare nostrum«. An anderer Stelle in diesem Heft wird erwähnt, dass die Reportage gerade in Italien veröffentlicht wurde und sehr gut aufgenommen wurde. Eine Kombination aus Bildern dieser Reise und der dazugehörigen Reportage wäre mehr als begrüßenswert – im Diogenes-Verlag erschienen vor vielen, vielen Jahre schon zwei Reportage-Bände, in denen sich auch solche fanden, die an diese Reportage erinnern.

Simenon hat einen umfangreichen autobiographischen Nachlass – aufgeschrieben, aufgesprochen –, nicht vorzustellen, wenn es damals schon SmartPhones und Video-Podcasts gegeben hätte. Das ist ein Fundus, der uns sicher noch Jahre beschäftigen kann. Ob das wirklich immer erquicklich ist, sei einmal dahingestellt. Im »Du« hat man sich für einen Text unter dem Titel »Weil ich den Menschen mag«, an dem ich mich schon abgearbeitet habe. Wäre er nicht in dem Heft erschienen, ich hätte nichts vermisst.

Ziemlich zum Schluss findet sich noch eine Geschichte, die hierzulande bisher nicht veröffentlicht wurde, und die in Südamerika spielt: »Der Mann, der auf Ratten schoss« hat es wirklich nicht leicht in der sehr abgelegenen Gegend und bekommt Besuch vom Erzähler. Der steht vor dem Problem, dass er nicht einschätzen kann, ob der Mann übergeschnappt ist oder es mit einer Verschwörung zu tun hat. Bei den Kurzgeschichten von Simenon gibt es auch eine ganze Reihe, die man mit einem Schulterzucken zur Seite legt – diese fand ich unterhaltsam und sie regte zum Nachdenken an.

Über Simenon

​Gehört das Interview, das Simenon geführt hat, zu dem Abschnitt »Über Simenon« oder eher in den darüber stehenden? In dem Fall gehört zu Kreativleistung auch die Findung der Fragen. Mir ginge es so, dass ich immer eine ganze Menge Fragen haben, die mich umtreiben, aber wenn es dann soweit ist, fällt mir nichts ein. Wenn man schon eine Reihe von Interviews mit Simenon gelesen hat, dann kommt einem vieles bekannt vor – sowohl, was die Fragen angeht wie auch die Antworten.

So ging es mir auch bei den Fragen an John Simenon, das sich dem Interview an den Vater anschließt. Hier geht es um die Verwaltung des literarischen Erbes. Damit ist er seit vielen Jahren hauptberuflich beschäftigt und er ist offenbar immer noch sehr erstaunt, wenn er Leute trifft, die sich intensiv mit Simenon beschäftigen oder ihn lesen. Für alle möglichen Schriftsteller gibt es mittlerweile Museen. Simenon waren Ausstellungen gewidmet, aber einen permanenten Ort, der sich seinem Werk widmet, gibt es bisher nicht. John Simenon erwähnt, dass er damit mit Interessenten im Gespräch ist. Ich bin ein wenig verwundert, dass man in Lüttich noch nicht auf die Idee gekommen ist.

Aufschlussreich ist auch der Beitrag von Wolfgang Matz über die Schwierigkeiten des Übersetzens von Simenon, dabei insbesondere die Unterschiede zwischen Maigret-Romanen und den großen Romanen.

Abschließend

Man hat dann noch Kurzinterviews mit Simenon-Liebhabern und -Buchhändler – und ein wenig ausführlicher innerhalb der Kurzinterviews mit Daniel Kampa: Er bringt meines Wissens hier erstmalig öffentlich die Idee eines Crowdfunding für die Übersetzungen der Simenon-Biographie von Pierre Assouline ins Gespräch, die mittlerweile als Standardwerk betrachtet wird. Da im Augenblick keine Biographie von Simenon auf dem Markt ist, ist das sicherlich eine schöne und hoffentlich auch erfolgreiche Idee.

Fünfzehn Euro muss man in die Hand nehmen, um diese Lese- und Betrachtungsreise anzutreten. Das ist nicht wenig, aber mir scheint sich das zu lohnen. Wenn man ehrlich ist, ist es nicht gerade so, dass wir von solchen Simenon-Zusammenstellungen überschwemmt werden.