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Die Wahrheit über Georges Simenon


Man wolle einen Film über Simenon machen, schrieb man vor über vierzig Jahren Hans Altenhein, und es wäre doch schön, wenn er das Interview mit dem Schriftsteller führen könne. Das Interesse war geweckt, und kurze Zeit später saß er in Lausanne. Das aufgenommene Material wurde für einen Film mit dem Namen »Maigret lebt« verwendet, welcher damals von der ARD ausgestrahlt wurde.

Von dem Material habe ich aber keine weiteren Spuren finden können – womit auch widerlegt wäre, dass sich alle interessanten Sachen bei YouTube finden ließen (kleiner Scherz!). 

Ich habe den Verdacht, dass so alte Dokumentationen nicht mehr aus dem Archiv ausgegraben und ausgestrahlt werden. Man nimmt diese alten Beiträge vielleicht – wie beim Ausschlachten von Autos – als Quelle für Sendungen, die man dann lieber neu produziert.

Schöne Wiederverwendung

Letztlich macht Hans Altenhein haargenau das. Sein Material aus dem Interview verwendet er in diesem Feature über Georges Simenon. Das wurde im letzten Jahr für den Hessischen Rundfunk produziert – man kann annehmen, dass der Anlass der 30. Todestag des Schriftstellers war. 

Schon im Sommer machte der Autor des Features mich auf diese Sendung aufmerksam. Aber erst jetzt bin ich dazu gekommen sie zu hören, da sie im Rahmen der Simenon-Hörspiel-Reihe des NDR ausgestrahlt wurde (und heruntergeladen werden kann).

Das Feature beginnt mit der oben kurz angerissenen Geschichte, wie es dazu kam, dass Hans Altenhein Simenon in Lausanne interviewte und wie das Interview ablief. Die Anreise, der Aufbau in Simenons kleinen Häuschen, der interessierte alte Mann und dann das Gespräch. Altenhein verhehlt nicht, dass er schnell mitbekommen hatte, dass Simenon keine exklusiven Geschichten und Gedanken preisgegeben hatte. Ganze Passagen las und hörte er in anderen Aufzeichnungen des Schriftstellers. 

Man hört die ein wenig leise, mit bedächtig redende Stimme Simenons – der O-Ton tut dem Feature gut.

Kreuz und quer

Ein chronologischer Abriss des Lebens von Simenon hätte mich wohl schnell gelangweilt. Genauso, wie ein Ansammlung von Fakten über das Werk. Gefühlt in der Mitte des etwa fünfzigminütigen Beitrags gibt es einen kurzen biographischen Abriss des Lebens von Simenon. Vorher und nachher geht es um Maigret, seine Entstehung, um das Leben Simenons, der Einfluss seiner Erfahrungen auf das literarische Werk. Die Entstehungsgeschichte Maigrets wird so übernommen, wie sie Simenon gern erzählte, und es wird nicht auf die Titel eingegangen, in denen Maigret frühere Auftritte hatte. Thematisiert wird auch nicht, dass sich Simenon in späteren Jahren schon gern wie sein Kommissar gab.

Der Schriftsteller wird jedoch nie auf ein Podest gestellt – seine frühen antisemitischen Texte werden genauso thematisiert, wie problematische Familienverhältnisse und die Simenons Offenbarung, was seine 10.000 Frauen betraf, wird genutzt, um das Frauenbild in Simenons Werk zu betrachten.

Wer das Leben und Werk von Simenon kennt, wird in diesem Feature sehr wenig Neues erfahren – aber das Stück ist interessant und lebendig aufbereitet, so dass keine Langeweile aufkommt. Für diejenigen, die mit Simenon nicht vertraut sind, ist es ein sehr guter Einstieg – mit einem Blick und einer löblichen Betonung auf die Werke jenseits des Kommissars.

Ist, wie es ist

Natürlich habe ich recherchiert, ob man Zugriff zu dieser alten Sendung bekommen könnte. Der Zuschauerservice des NDR teilte mir jedoch mit, dass man keinen Mitschnittservice für Privatkunden bieten würde, andere Unterlagen würde es auch nicht geben. Vielleicht kommt der Tag, an dem die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ihren Bestand digitalisieren und für die Öffentlichkeit öffnen – die es finanziert haben. Ansätze solcher Vorhaben sind durchaus vorhanden – bis dahin wird das gute Stück wohl in den Tiefen der Archive ruhen.

Gut, dass Hans Altenhein uns an der Begegnung mit Simenon im Rahmen dieses Features hat teilhaben lassen.

Dieses Feature kann man bis zum 11. Dezember 2021 auf den Seiten des NDR hören und downloaden.