Le Provençal

Hôtel Provençal


Vier Aspekte aus dem Leben von Jay Gould: Er schuf für seine Familie einen immensen Reichtum, wofür er allerdings eine Menge Menschen in Armut stürzte, kontrolliert zeitweise ein Fünftel des amerikanischen Eisenbahnnetzes und zeugte einen Sohn, der geschäftlich erfolgreich war, aber bei Weitem nicht so skrupellos. Gould Senior war nicht sehr beliebt.

Der Nachfahre schottischer Einwanderer erkannte früh, dass er kein Faible für die Landwirtschaft hatte. In der war sein Vater tätig und als der die Entscheidung akzeptiert hatte, setzte er den Sohn vor einer Schule ab. Der Legende mit ein wenig Kleidung und 50 Cent. Das war das Startkapital von Jason Gould, Jay genannt, mit dem er das Wirtschaftsleben der USA eroberte. Das tat er, in dem er die Schulbank drückte und sich in Buchhandlung fit machte.

Seinen ersten Job hatte der junge Buchhalter bei einem Schmid und schon nach einem Jahr bot ihm dieser eine Beteiligung an seiner Firma an. Diese verkaufte er an seinen Vater und widmete sich seinem Studium, wobei er sich insbesondere für Kartografie interessierte. Schon in sehr jungen Jahren investierte er in eine Gerberei-Firma und gründete eine Firma, die Eis am Gouldsboro-See »erntete«. Gould ließ eine Eisenbahn-Linie von dem See nach New York bauen und versorgte die Stadt im Sommer mit dem kostbaren Eis.

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Jay Gould

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Spätestens 1859 interessierte er sich für Investitionen in Eisenbahn-Unternehmen. Eine ganze Reihe von Unternehmen konnte er über Spekulationen am Aktienmarkt übernehmen. Gleichzeitig verschaffte er sich über fördernde Maßnahmen in Politikerkreisen – nennen wir es Korruption – Einfluss, um Entscheidungen in seinem Sinne zu beeinflussen.

Heute verbinden die Menschen gerade, jedoch nicht nur, in den USA den Begriff »Black Friday« mit dem Freitag nach Thanksgiving, an dem traditionell die Läden auf der Suche nach Schnäppchen gestürmt werden und die Gelegenheit besteht, sich mit Weihnachtsgeschenken einzudecken. Das erweckt bei den Leuten normalerweise positive Assoziationen. Die Menschen vor 150 Jahre in den Vereinigten Staaten wären nicht auf die Idee gekommen, zu sagen, dass das ein guter Tag war. Das hatte auch mit Jay Gould zu tun. Der hatte im Sommer 1869 angefangen, Gold aufzukaufen. Sein Ziel war es, durch einen Anstieg des Goldpreises den Weizenpreis zu beeinflusse (und zwar steigend) und die Bauern im Westen zu motivieren, zu verkaufen. Er war der Meinung, dass dadurch die Warentransporte in den Osten der USA steigen würde und davon würde er als Eigner der Erie Railroad profitieren. Am 24. September dieses Jahres geriet der Markt in Panik und stürzte ein. Gould konnte sich erst einmal die Hände reiben, denn er hatte sich passend abgesichert und ging mit einem Gewinn aus dem Geschäft. Wie so oft traf es letztlich diejenigen, die mit der Spekulation gar nichts zu tun hatten. Landwirte hatten damit zu kämpfen, dass die Preise für Weizen um die Hälfte fielen und der für Mais um ein Drittel. Der Markt für landwirtschaftliche Produkte sollte in den nächsten Jahren darben und die Herrschaften um Gould störten Stein und Bein, dass sie damit nichts zu tun gehabt hatten und nicht verantwortlich wären. Es wird angenommen, dass Gould und seine Partner nur so glimpflich – heißt ohne eine Bestrafung durch die Justiz – davon kamen, weil sie einen glänzenden Anwalt an ihrer Seite hatten und natürlich auch, weil sie sich in die Politik vorher entsprechend durch »Spenden« abgesichert hatten.

Er gewann nicht immer: Die Kontrolle über die Erie Railroad hatte er verloren, aber er baute ein Eisenbahnsystem im Mittleren Westen und in Richtung Westen auf. Zu den Eisenbahn-Firmen, die er kontrollierte, gehörten die Union Pacific, die Missouri Pacific Railroad und so kontrollierte er zeitweise 15 Prozent des Eisenbahnnetzes der Vereinigten Staaten. Damit machte Gould einen satten Gewinn und als er sich zum aus dem Geschäft verabschiedete, übernahm er 1881 die Mehrheit an der Western Union Telegraph Company und er investierte in den New Yorker Nahverkehr.

1892 starb der Industrielle und gehörte gewiss zu den reichsten Menschen in den Vereinigten Staaten.

Wie der Vater so nicht immer der Sohn

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Frank Jay Gould

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Ein Sechstel seines Vermögens vermachte er seinem Sohn Frank Jay Gould. Der Rest ging an die anderen fünf Kinder, aber das Interesse in diesem Beitrag gilt dem 1877 in New York geborenen Frank. Er war der Jüngste in der Familie und erbte sein beachtliches Vermögen im Alter mit fünfzehn.

Im Alter von fünfundzwanzig heiratete Gould Helen Margaret Kelly – dieser Ehe entsprangen zwei Kinder, aber die Beziehung hielt nur sechs Jahre – dann ließ er sich scheiden. Die Scheidung wurde offenbar von seiner Gattin eingereicht, die mit seiner Eifersucht nicht zurechtkam. Eine Zeitung schrieb damals, dass die Dame eine schöne Frau sei und das Problem die Huldigungen fremder Männer waren. Wenn dem so gewesen war, stellt sich die Frage, ob Goulds Junior Wahl bezüglich seiner zweiten Ehepartnerin clever gewesen war: Es handelte sich um die englische Schauspielerin Edith Kelly und für Frauen in diesem Metier dürften Avancen fremder Herrschaften zur Stellenbeschreibung gehören. Gehen wir davon aus, dass er sich seine Gedanken gemacht hatte. Er heiratete die Dame 1910, war hoffentlich einige Zeit glücklich und trennte sich neun Jahre später von ihr. (Ihre Schwester war übrigens Hetty Kelly, die Charlie Chaplin erste ihre Liebe war … hier hätten wir schon einen ersten Anknüpfungspunkt zu Simenon, der in seinem gesetzteren Alter mit dem Schauspieler befreundet war.)

In der Zeit zwischen dem Verlassen der ersten und der Hinwendung zur zweiten Ehefrau fand Gould noch Zeit, eine Firma zu gründen. Die Virgina Railway und Power Company hat zwar die Eisenbahn im Namen, der Fokus lag aber vielmehr auf der Energie-Erzeugung. In der Gegend gab es schon eine Firma, die in der gleichen Branche unterwegs war – Die Virgina Passenger & Power Company hatte die Wasserrechte an dem Appomattox River und Gould kaufte die Firma auf. Etwa fünfzehn Jahre nach der Gründung wurde der Name der Firma geändert und die Firma nannte sich Virginia Electric and Power Company.

Gould wird nicht lange an dem 253 langen Appomattox River herumgesessen haben. Er war zu der Zeit schon mehr in Europa zu Hause als in den Vereinigten Staaten. Er hatte zuerst in der Nähe von Paris, in Maisons-Laffitte, niedergelassen und errichtete dort ein Anwesen, in dem er sich um seine Rennpferde kümmern konnte. Das Städtchen nordwestlich von Paris war bekannt für sein Schloss. Der Staat hatte das Anwesen 1905 übernommen, da ein Abriss drohte, und konnte es 1912 für die Öffentlichkeit öffnen. Ein Jahr später wurde Frank Jay Gould Verwalter des Parks.

Viele Investoren machten sich daran, Ferienorte aus dem Boden zu stampfen. Diese Taktik mochte deshalb reizvoll erscheinen, weil die Unternehmer auf diese Weise auf die komplette Wertschöpfungskette Zugriff hatten – Vermietung, Verköstigung, Unterhaltung, Schnickschnack. Gould wollte auch in den Tourismus einsteigen, verfolgte aber eine andere Strategie: Er suchte sich Orte, die es schon gab, und wertete sie gezielt auf. In Granville, in der Normandie, ließ er ein Casino bauen und erweiterte es durch einen entsprechenden Hotelbau aus.

1923 hatte er Florence La Cape geheiratet. Die Frau stammte aus Kalifornien war jedoch französischstämmig. Sie war die Tochter des Verlegers Maximilien Lacaze, der im Westen der USA sein Vermögen gemacht hatte. Die junge Dame hatte erst eine Karriere als Opernsängerin im Sinn gehabt, entschied sich dann aber für ein Leben als Schriftstellerin und Salondame. Und als Ehefrau eines Milliardärs.

Die Normandie ist reizend – gewiss ein Grund, warum eine Reihe von Simenon-Romanen in der Gegend spielen. Mit dem Wetter muss der Reisende jedoch Glück haben, es kann grau und ungemütlich sein. Niemand käme auf die Idee, für die Normandie eine Schönwetter-Garantie abzugeben. Das könnte ein Grund sein, warum sich Gould sich dazu entschied, nach Juan-des-Pins zu gehen. Von Picasso kaufte er 1924 eine Villa und gegenüber seinem neuen Grundstück ließ er einen Pinienwald errichten.

Le Provençal

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Le Provençal

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Zwei Jahre nach dem Umzug an das Mittelmeer entstand in dem Ort das Hotel »Le Provençal«, welches mit 290 Zimmer eines der größten Luxushotels an der Côte d'Azur war. Das Hotel wurde im Art déco-Stil nach Plänen von Roger Séassal erbaut und hatte einen orientalischen Touch. Ziel Gould war es, eines der elegantesten Hotel in Europa zu errichten, und es war ihm gelungen. 

Wer sich in dieser Herberge abstieg, wollte gesehen werden. Die Gäste waren zum Faulenzen da, konnten das Meer genießen und hatten einen fantastischen Blick auf den von Gould gepflanzten Pinienwald. Im Restaurant hätte er eine großartige Karte anbieten können, aber die Leute können sich nie entscheiden und empfinden es als Qual, sich festlegen zu müssen – deshalb gab es im Hotel-Restaurant auch nur ein Menü und das konnten die Besucher nehmen oder nicht.

Natürlich entstand ein Casino, sodass für Unterhaltung gesorgt war. Dank der Netzwerkerin Florence fand sich alsbald Prominenz ein: André Gide, Jean Cocteau, Charlie Chaplin und Estée Lauder, um nur ein paar Namen zu nennen.

Üblicherweise begab man sich im Winter an die Côte d'Azur. Bären gingen in die Höhle, um das zu tun, die Reichen machten sich auf den Weg an die traumhafte Küste. Im Frühjahr verschwanden sie dann wieder – Gould stellte das infrage. Seine Etablissements waren im Frühling und im Sommer geöffnet. Der Erfolg sollte ihm recht geben.

Es war also völlig angemessen, dass Simenon Harry Brown in diesem Palast absteigen ließ, auch wenn man nicht den Eindruck hatte, dass Brown den Luxus und die Umgebung genoss. Für seinen Stand war es eine angemessene Absteige und sein normales Hotel in der Gegend, ein Luxus-Hotel auf Cap Ferrat, war zu weit entfernt von Antibes und die Anfahrt scheute er.

Was die Größe anging, konnte das Hôtel du Cap nicht mit dem Le Provençal mithalten, aber immerhin existiert es bis heute noch. Das Hotel Goulds dagegen schloss zwanzig Jahre nach dem Tod des Gründers 1976 und steht seitdem als Ruine in Juan-les-Pins und wartet darauf, wachgeküsst zu werden.

Als Touristen-Unterkunft wird das Provençal nicht wieder eröffnet werden. Nach dem aktuellen Stand soll es 2023 als Apartmenthaus wiedereröffnet werden. Das Gebäude, dem ein neo-provenzalischer Stil zugesprochen wird, wird dann Wohnungen, Geschäfte und ein Spa umfassen. Sozialwohnungen sind, soweit es ersichtlich ist, in diesem Gebäudekomplex nicht geplant.

Anderweitig aktiv

Gould sah seine Aktivitäten in Juan-les-Pins nicht als seinen Höhepunkt an und ruhte sich auf seinem Erfolg aus. In Bagnoles-de-l'Orne, wiederum in der Normandie, baute er ein neues Casino. Die Entwürfe für die Spielstätte stammten von Auguste Bluysen, der sich als Architekt auf Kino und Theater, Casinos und Hotels spezialisiert hatte. Das Hotel in Granville, welches Gould bauen ließ, wurde ebenfalls von ihm entworfen. An der Architektur des Casinos in Bagnoles soll sich Gold aber besonders erfreut haben.

Der Amerikaner baute in Nizza – ebenfalls im Art déco – das Palais de la Méditerranée.

Neben seinen Aktivitäten im Tourismus engagiert sich Gould auch in der Industrie und investiert beispielsweise in ein Karosseriewerk in Paris. 

Seine Frau Florence dagegen ist ganz mit ihren Salons beschäftigt. Auch die Besetzung der Deutschen halten sie nicht ab, ihre Treffen weiterhin durchzuführen – im Gegenteil, denn in die Salonkreise wurden nun auch Deutsche wie Ernst Jünger und Gerhard Heller aufgenommen. 

Dass Letzterer sich für die Zusammenkünfte interessierte, erscheint logisch. Heller war in den besetzten Gebieten für die Literaturpolitik zuständig, also auch die damit verbundene Zensur. In Frankreich wurde diese, im Unterschied zu Deutschland, weniger rabiat durchgesetzt – also keine Bücherverbrennungen, die Bücher verschwanden einfach und wurden nicht mehr verlegt. Die Verantwortung dafür lag eher in den Händen der Verleger. Die Franzosen nehmen das zur Kenntnis, aber es scheint keinen Einfluss darauf gehabt zu haben, wie mit ihr nach dem Krieg umgegangen wurde. Sie wurde als »reines collabos« bezeichnet, aber das war es auch schon.

Ihren Mann überlebte Florence um 27 Jahre. Kinder entsprangen der Ehe nicht und ihr Vermögen ging an eine Stiftung, die sich um die kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten kümmert.

Hotels, Hotels

Nun werden nach meiner Zählung in »Liberty Bar« neun verschiedene Hotels erwähnt. Von den zweien, die hier gewürdigt werden, ist gewiss, dass sie existieren. Bei den Hotels in Cannes, die Simenon in seiner Geschichte erwähnt und durch die er Maigret marschieren lässt, um herauszubekommen, wo Sylvie oder William abgestiegen sein konnten, ist das weniger sicher. Schließlich handelte es sich nicht um Luxushotels und der Schriftsteller hatte Namen gewählt, die plausibel erscheinen und in jedem französischen Ort so existieren könnten.

Auch für das Hotel in Antibes, in welchem Maigret abgestiegen sein sollte - dem Hôtel Bacon – zeigten sich keine Spuren über eine Existenz oder Nichtexistenz.