Das Missverständnis einer Ehe


Die Geschichten von Simenon, bei denen das Gefühl aufkommt, dass sie an den Haaren herbeigezogen sind, der Realismus in der Handlung mit der Lupe zu suchen ist, solche Geschichten sind rar. Einzelne Aspekte kommen einem befremdlich vor, das liegt schon an den gravierenden gesellschaftlichen Änderungen. Aber wie schaut es mit den Dialogen aus, mit dem Umgang?

Betrachtet man diese im Kontext der Zeit, in der sie spielten oder geschrieben wurden, hatte ich beim Lesen nie das Gefühl, dass dem Belgier die Gäule durchgegangen sind. Sie sind plausibel und nachvollziehbar. Wenn die Geschichten und die Dialoge sich jedoch durch die Federn (oder Schreibmaschinen) von Drehbuchautoren in den 40er- und 50er-Jahren gegangen waren und die Damen der Schöpfung die Texte in einem schmachtenden Ton präsentieren, so kommt einem das fremd oder gar befremdlich vor. Zu den Originalen passt das oft gar nicht.

Das ist mir jüngst aufgefallen, als ich die restaurierte Fassung von »Die Wahrheit über unsere Ehe« sah, die vor geraumer Zeit von arte ausgestrahlt worden ist. Nun hatte ich vor Kurzem über geografische Zusammenhänge berichtet und in der Intim-mit-Simenon-Reihe wurde kurz der Verkauf der Filmrechte thematisiert – Zeit also, sich auch den Film anzuschauen.

Züge und Bahnhöfe

Und ich war mittendrin in einem großen Schmachten. Bébe Donge versuchte ihrem Mann Liebe beizubringen, himmelte ihn an, redete dabei über Gefühle und das alles prallte an dem emotionslosen Berg ab, der nur Geschäft kannte und Entspannung in Sex suchte. Er konnte mit seiner kleinen Frau und ihren Emotionen nichts anfangen. 

Als ich nach kurzer Zeit mal auf die Video-Fortschrittsanzeige schaute, weil ich meinte, die ersten zwanzig Minuten Schmachten hätte ich tapfer überstanden, stellte ich fest, dass der Film schon eine Stunde lief. Das war doch überraschend! Ganz Kerle-mäßig bin ich bei Schmachtfetzen, die zudem ohne Humor daherkommen, unwirsch. Was haben die mit mir gemacht, dass ich die Zeit vergaß?

Ein erster Erklärungsversuch: Es ist kein Liebesfilm und das Schmachten ist nicht Lokalkolorit, sondern Zeitkolorit. Frauen wurden damals so dargestellt.

Der Film

Alles ist unscharf und weichgezeichnet, langsam wird es klarer und in diese Einstellung hinein, sagt die Schwester zum Arzt, dass der Patient zu sich kommen würde, der daraufhin erwidert, dass nun das Schlimmste überstanden wäre. Das ist eine Hoffnung, die der Doktor haben mochte. Mit der Realität hatte es nichts zu tun, wie sich für den Zuschauenden alsbald herausstellt.

Im Bett lag François Donge. Das Personal des Krankenhauses versuchte ihm zu helfen. Besuch kam, um tröstende und aufbauende Worte zu spenden. Auch seine Frau besuchte ihn regelmäßig, jedoch nur kurz. Diese Besuche dienten nur dazu, den Außenstehenden Sand in die Augen zu streuen. Schließlich wussten beide, wusste auch das Personal im Krankenhaus, dass Bébé Donge versucht hatte, ihren Mann zu vergiften. Streng trat sie auf, fast keine Miene verziehend, von Reue oder Mitleid war keine Spur zu entdecken.

Der Kontrast waren seine Erinnerungen. Bébé war eine junge Frau, die nicht erwachsen werden sollte. Sie hatte Vorstellungen, wie Liebe zu sein hatte, wie ihr Partner zu sein hatte. Irgendwie hatte sie die Gesellschaft dahin bekommen, dass sie akzeptierte, dass Ehegatten nicht treu zu sein hatten. Wie als Kompromiss verlangte sie dafür, dass ihr Mann ehrlich zu ihr ist. Das war er nicht und deshalb sollte er sterben.

Erst im Krankenbett liegend schien er zu verstehen, was seine Frau von ihm, vom Leben erwartet hatte. Dass es nicht um das materielle »Sie hat doch alles« ging, sondern um Gefühle.

In den Rückblenden wirkt Danielle Darrieux naiv und Jean Gabin wird brutal und ungeduldig dargestellt. Diesen starken Kontrast zwischen den beiden Figuren kann ich in der Buchvorlage von Simenon nicht erkennen.

Wer hätte das gedacht?

Es gibt eine ganze Reihe von Unterschieden zu der Roman-Vorlage. In dem Buch ist etwas anderes viel deutlicher zu spüren: Überraschung. François Donge konnte sich anfangs nicht erklären, warum ihn seine Frau umbringen wollte. Er suchte eine Erklärung, wie es zu diesem fatalen Ereignis kommen konnte.

Die Trennung zwischen den beiden ist viel drastischer, denn Bébé war nach der Tat sofort verhaftet worden und das Paar hatte keine Chance, miteinander reden. Diese ergab sich erst, als sich die beiden während der Gerichtsverhandlung sahen. Simenon thematisiert, dass ein Giftmord eine sehr geplante Tat ist und das dahintersteckende Kalkül von den Geschworenen und Richtern auch wahrgenommen wird. In der damaligen Zeit drohte damit die Todesstrafe.

Der Mann gibt gegenüber dem Untersuchungsrichter nicht sehr viel preis, belastet seine Frau nicht. Im Film wird es so dargestellt, als sei er zu geschwächt. In der Roman-Vorlage wollte er nicht. Stattdessen arbeitete mit dem Verteidiger zusammen. Donge wollte nicht, dass seine Frau verurteilt wird. Er hoffte gar auf einen Freispruch dieser. Grund war eine Erkenntnis:

Das ganze Unglück kam daher, dass Bébé ihn geliebt hatte, geliebt bis zur totalen Verzweiflung, unwiderruflich! Und er hatte es nicht gemerkt!

Einen solchen Satz hätte der Film-Donge nicht gesagt. Selbst, wenn er diese Erkenntnis gehabt hätte: Er dämmerte seinem Ende entgegen.

Düstere Ehe, düsterer Film

Damit bescherte Henri Decoin seinem Film ein düstereres Ende, als es die Roman-Vorlage aufweist. Das muss man auch erst einmal schaffen, schließlich reden wir von einem typischen Simenon! 

Die Charaktere sind nicht sympathisch. Die junge Bébé ist anfangs zu naiv und er ist einfach ein Lebemann. Am Ende ihrer Beziehung wirken die beiden Donges abgestumpft und hart. Sympathie ist es nicht, weshalb man bei der Stange bleibt. Die Zuschauer:innen werden sich nicht abwenden können. Denn die Geschichte mag düster sein, sie wird jedoch hervorragend und spannend erzählt.