Über die Story
Die Police Judiciaire spielt in Kriminalromanen eine große Rolle, aber ich habe inzwischen die Erfahrung gemacht, dass man sich in der Öffentlichkeit entweder überhaupt keine Vorstellung oder aber ein falsches Bild von diese berühmten Institution macht.
Wenn man die vorangegangene Beschreibung Simenons liest, dann bekommt man das Gefühl, dass der Autor die Atmosphäre des Quai des Orfèvres eingeatmet hat, um für Jahre die Maigrets schreiben zu können. Wenn es wirklich so am Quai gelaufen ist, wie Simenon es beschrieben hat, dann muss man sagen, dass die Maigrets (ausgenommen von den ersten) in diesem Punkt ausgesprochen realistisch sind. Aber vielleicht wollte Simenon gerade das erreichen, wo der Rest doch Fiktion war.
Simenon unternimmt mit dem Leser einen Rundgang durch das Gebäude und erklärt die Funktionen der einzelnen Abteilungen. Nehmen wir zum Beispiel die Passabteilung: Maigret geht zwar hin und wieder zu dieser Abteilung, um sich eine kleine »Anregung« zu holen, wenn er auf der Suche nach einem Polen ist. Man spürt auch die Wichtigkeit, aber ganz hervorgehoben wird es nicht: das Spektakuläre fehlt völlig. In der Reportage hebt Simenon die Wichtigkeit hervor, denn es sind die Leute, die die simplen Fakten der Hotelanmeldung mit ihrem Wissen über Beziehungen der Szene verknüpfen und die schnellsten Ergebnisse bringen. Die meisten Fälle sind unspektakulär und tauchen auch in den Pariser Zeitungen nur als kleine Notiz auf. Sie werden aber trotzdem schnell und effektiv gelöst. Da muss sich kein Maigret dransetzen.
Wenn man sich Maigret beim Lösen eines Falls beobachtet, so kommt unweigerlich die Szene, in der er den Kopf in das Inspektoren-Zimmer steckt, sich einen kleinen Überblick über die Anwesenden verschafft und dann nach Lust und Laune, den oder die Inspektoren herauspickt, den oder die er für den Fall benötigt. Im wahren Leben, das macht uns der Autor klar, läuft das natürlich nicht so. Wenn er Glück hat, dann kann ein Kommissar mit einem oder zwei Inspektoren rechnen, die ihm zur Hand gehen. So üppig ist der Quai dann auch nicht ausgestattet.
Einen nicht unwichtigen Teil nimmt die Beschreibung des Labors ein. Schon zu der damaligen Zeit wurde mit äußerst wissenschaftlichen Methoden gearbeitet: Fingerabdrücke, gut, da weiß noch jeder, dass man das in der damaligen Zeit so gemacht hat. Aber der Vergleich von Kopfhaaren, da ist man schon überrascht. Geht denn das überhaupt ohne DNA-Analyse? Man ist versucht, das Vergangene immer herabzusetzen. Natürlich war es so, dass die ersten Zugreisenden bei Geschwindigkeiten über 30 km/h in Ohnmacht gefallen sind, aber es mag uns vielleicht auch irgendwann mal so gehen, wenn wir mit etwas bahnbrechend Neuem herausgefordert werden. Da ist eigentlich kein Platz für Arroganz. Viele Vorgänge sind noch heute Basisarbeit und werden gehandhabt, wie es Simenon am Beispiel einer Jacke schildert:
Die Jacke landet im Labor, wo man sie sorgfältig in einem großen Papiersack legt.
Dieser wird nun geschüttelt und wie ein Teppich ausgeklopft. Wenn man das Jackett herausholt, ist es staubfrei. Der Staub ist jedoch nicht verloren gegangen. Er ist im Papierbeutel. Man nimmt ihn heraus und siebt ihn. Unter einem Mikroskop werden die winzigsten Bestandteile untersucht.
Das Resultat? Nehmen wir an, die Jacke weist Spuren von Mehl auf. Das lässt auf einen Bäcker oder einen Arbeiter in einer Mühle schließen.
Simenon mischt diese Beschreibung der einzelnen Funktionen am Quai des Orfèvres immer wieder mit Anekdoten. So liest man auch diese Reportage in einem Zuge durch und sagt sich als alter Maigret-Fan: da bin ich doch um einiges klüger geworden.