Über die Story

Maigret ist noch nicht lange im Ruhestand und löst sein Versprechen gegenüber Madame Maigret ein, ihr einmal London zu zeigen (ein großer Traum Madame Maigrets). Nun ist aber alles ganz anders gekommen: über dem Kanal tobt ein Sturm, die Schiffe legen nicht ab und das Ehepaar verbringt seine Tage und Nächte in einer Pension in Dieppe. Madame Maigret hatte sie ausgesucht, weil die Pension ihr von einer Freundin als gut und vor allem günstig empfohlen worden ist. Das bereute sie mittlerweile, denn Maigret langweilte sich zu Tode. Er wusste nichts mit sich anzufangen und rannte so von einem Zimmer zum anderen, um in den Öfen das Feuer zu schüren – eine Angewohnheit die der kratzigen Pensionswirtin Mademoiselle Otard sehr missfiel.

Die Gesellschaft war für Maigret auch nicht gerade interessant: ein Ehepaar mittleren Alters, dass gerade auf Hochzeitsreise war; die traurige Dame, die sich von einer Operation zu erholen schien und ein Engländer. Dieser verkündete gerade Mademoiselle Otard, dass ein Schiff versuchen werde abzulegen, und er die Absicht habe, mit dem Schiff zu reisen. Er zahlte, und da er schwach auf der Brust war, trug ihm eine Hausangestellte – Jeanne – die Koffer zum Quai. Maigret hatte es unterdessen aufgegeben, die Öfen zu liebkosen, und hatte sich in er Landwirtschaftszeitschrift in einen Artikel über Waldmäuse vertieft, der ihn – zu seiner eigenen Überraschung – fesselte.

Selbst das Läuten der Pensionsklingel und laute Gespräche im Flur, die von der Pensionswirtin war die dominanteste, konnten ihn nicht abbringen:

»Sie sind das doch, bei der eine gewisse Jeanne Fenard als Angestellte gearbeitet hat?«
Maigret entdeckte den kleinen Jungen, der gerade von Gott weiß vorher, wahrscheinlich aus der Küche, hereingekommen war. (Anm.: Jeannes Sohn)
»Genannte Person ist vor wenigen Minuten mit einem Revolver erschossen worden, als sie die Deichstraße entlangging.«
Mademoiselle Otard reagierte sofort mit Ungläubigkeit und Misstrauen. Man spürte, dass sie nicht die Frau war, die sich von wer weiß wem wer weiß was erzählen ließ. Mit verkniffenen Lippen äußerte sie nur das eine, großartige Wort:
»Tatsächlich!«

Sie ging mit dem Polizeikommissar mit, der sie gebeten hatte, Jeanne zu identifizieren. (Gebeten ist das falsche Wort, aufgefordert müsste es heißen.) Es ist schon ungewöhnlich, dass in einer Hafenstadt jemand mit dem Revolver umgebracht wurde. Solche Geschäfte, dass weiß der Polizeikommissar, werden mit dem Messer erledigt. An vorderster Verdächtigenfront – nicht nur bei den Polizisten - stand natürlich der abgereiste Engländer. Ihn hatte Jeanne begleitet…

Nach dem Abendessen kam der Polizeikommissar mit Mademoiselle Otard wieder. Während die Wirtin sofort mit dem anfing, was sie immer machte: keifen; konnte der Polizist nur wehmütige Blicke auf das aufgetragene Abendessen werfen. Er kündigte – quasi aus Rache – ein sofortiges Verhör aller Pensionsgäste an (eine besondere Ehre: alle durften sich als verdächtig betrachten). Als erste Aspirantin hatte er sich Madame Maigret ausgesucht:

Die Tür war zwar geschlossen, aber man hörte trotzdem fast alles, was auf der anderen Seite gesprochen wurde, und das Lächeln von Maigret vertiefte sich, als er seinen Kollegen im Zimmer nebenan fragen hörte:
»Mit ai oder mit é?«
»Mit ai…«
»Wie der berühmte Kommissar?«
Brave Ehefrau! Sie begnügte sich, mit »Ja« zu antworten.
»Sind Sie mit ihm verwandt?«
»Ich bin seine Frau.«

Von nun an war Maigret an den Ermittlungen beteiligt. Lust hatte er keine, aber der Kommissar aus Dieppe hatte ihn schon fest im Schlepptau. So lernte der Ex-Kommissar die Diepper Hafenspelunken und das passende Milieu dazu kennen. Viel Wissenswertes erfuhren sie aber aus dem Milieu nicht. Maigret begleitete den Polizisten zum Kommissariat und dort verabschiedeten sie sich: der Kommissar um Berichte zu schreiben, Maigret um noch ein paar Etablissements aufzusuchen.

In diesen erfuhr er interessante Neuigkeiten aus dem Bekanntenkreis Jeannes, die den Fall in ein völlig neues Licht rückten. Dafür zahlte er einen hohen Preis: die Informanten löhnte er in Grog. Maigret lärmte, als er nach Hause kam (er benutzte nicht die Nachtklingel, die nur Mademoiselle Otard weckte, sondern die Tagklingel, die für alle hörbar war – das fand Mademoiselle Otard nicht besonders witzig), und er weckte seine Frau auf, die aber keine Lust hatte, mit ihm zu diskutieren. Der Morgen danach war schrecklich…