Unterschrift

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Die Simenons hatten sich auf den Weg nach Lakeville gemacht. Sie vertrauten darauf, dass sich etwas finden würde. Ein Makler war beauftragt, ein passendes Anwesen zu finden, während sie zur Miete wohnten. Noch waren die drei mit leichtem Gepäck unterwegs, aber Tigy als Ex-Frau war schon informiert worden, dass ihre neue Heimat die nordwestlichen Ecke von Connecticut wäre.

Simenons Makler hatte eine passende Immobilie gefunden. Freudig überrascht durften sie feststellen, dass sich das Objekt kann in der Nähe von Lakeville befand. In seinen Erinnerungen liest sich das so:

Am Fuß der kleinen weißen Kirche nahmen wir den Weg rechts, an dem vier oder fünf Häuser standen. Nach zweihundert Metern führte eine alte Holzbrücke, gerade breit genug für einen Wagen, ohne Geländer über ein schnell dahinfließenden Bach.

Gefühlt bin ich nun in Lakeville, Connecticut, zu Hause. Was habe ich für Zeit verbracht, anhand von Karten-Material und der Beschreibung herauszufinden, wo sich das Anwesen befinden könnte: Ein zweigeschossiges Haus, gebaut auf einem Felsen. Dazu dreißig Hektar Land in hügeligem Terrain. Ich hab's jedoch nicht gefunden und bin einigermaßen frustriert. 

Der Zeitungsmacher

Es gibt einige Bilder im Internet, aber wer sagt, dass die heutigen Eigentümer das alte Anwesen, das aus dem Jahr 1748 stammen sollte, so belassen haben. Der Hausbesitzer-in-spe war zwar ganz begeistert über die neuen Fenster, die das Haus hatte – doppeltverglast – aber vielleicht fehlte irgendwas und man hat es durch moderne Annehmlichkeiten ersetzt.

Der Makler fing an, über den vorherigen Besitzer zu plaudern und einmal mehr musste ich über Simenon und seine Versuche, andere zu anonymisieren, lächeln. 

»Sie kennen bestimmt seinen Namen: R. I., der berühmte Journalist, der die Tageszeitung ›P.M.‹ (Nachmittag) in New York gegründet hat. Als die Zeitung ihr erscheinen einstellte, leitete er eins der wichtigsten Magazine der ›Time‹-Kette.«
»Und jetzt?«
»[...] Er kauft hier und da kleine Lokalzeitungen, die unter sieben Händen sehr rentabel werden.«

Vielleicht wäre es schwerer gewesen, über den Mann etwas zu erfahren, wenn der Name der Zeitung nicht genannt worden wäre. Aber so war es ganz einfach. Im Juni 1940 erblickte eine neue Zeitung den New Yorker Zeitungsmarkt. Der Millionär Marshall Field III, der Spross einer Kaufhausdynastie, finanzierte die Neugründung. Die Idee war, eine Zeitung zu machen, die sich an der Gestaltung der bedeutenden Wochen-Magazine orientierte – also möglichst große und viele Fotos. Die Zeitung sollte werbefrei sein und der Tribut dafür war, dass sie teurer als die Wettbewerber war. Die Ausrichtung war liberal und an der Spitze stand Ralph Ingersoll.

Die Initialen ließen sich leicht auflösen. Der Mann wurde in New Haven, Connecticut, geboren und besuchte die Hotchkiss School. Womit er schon mal einen Eindruck von Lakeville bekommen hatte. Studiert hatte er an der Yale University. Ingersoll war eigentlich Bergbauingenieur und arbeitete in Kalifornien. Im Alter von 23 Jahren zog es ihn nach New York, Schriftsteller wollte er werden – Journalist wurde er. Nachdem er zwei Jahre für den »New York American« geschrieben hatte, wechselte er zum »The New Yorker«. Bei dem Wochenmagazin blieb er bis 1930, um sich erneut beruflich umzuorientieren. Er ging zur Time Inc., für die er das Wirtschaftsmagazin »Fortune« entwickelte. Letztlich verließ er aber auch dieses Unternehmen, denn er hatte das Gefühl, im Schatten der Großen im Verlag zu stehen – obwohl Ingersoll Herausgeber von »Time« war und als Gründer von »Life« gilt. Arm war er dabei nicht geblieben: Zwei Häuser besaß er, sogar ein eigenes Flugzeug nannte er sein eigen. Das war jedoch nicht, was ihn antrieb.

1940 kam es zur Gründung der oben erwähnten Zeitung, aber der Krieg sollte ihm ein Strich durch die Rechnung machen, finanziert von Marshall Field. 1941 wurde er jedoch eingezogen – die Sache mit dem Start-up war der Einberufungsbehörde egal – und er ging nach Europa. Einigen Quellen nach war er damit beschäftigt, den Deutschen weis zu machen, dass die Landung der alliierten Truppen in Calais erfolgen würde. In der Zeit schrieb er zwei Bücher, die beide sehr erfolgreich waren und Aufsehen erregten.

Als er nach dem Krieg in seine Zeitung zurückkam, fand er sie in einem erbärmlichen Zustand vor – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in stilistischer. Field verlor sein Interesse und verkaufte die Firma an Investoren, die von einem Tag auf den anderen ein neues Blatt aus der Taufe hoben. Ingersoll war da nicht mehr mit an Bord, und das die neue Zeitung hielt nur knapp ein Jahr durch.

Er schrieb weiter Bücher, aber die waren nicht erfolgreich. Ingersoll geriet irgendwie in Vergessenheit. 

Entweder hatte der Makler sich geirrt in dem, was er Simenon erzählte, oder der Schriftsteller hatte es in seinen Memoiren falsch wiedergegeben. Bei Time war Ingersoll nicht mehr. Wirtschaftlich musste er sich keine Gedanken machen, denn wie der Makler Simenon korrekt erzählte, kaufte der Zeitungsmacher in den nächsten Jahren Lokalzeitungen auf. In einem Nachruf auf den Verleger, der in der »New York Times« erschien, ist von einem »Musterbeispiel für fade Mittelmäßigkeit, die PM eigentlich beschämen sollte« die Rede, aber Ingersoll verdiente damit seine Millionen. Manchmal tröstet ja auch Geld. 

1985 starb er im  Alter von 84 Jahren.

Farbenblind

Ingersoll wollte die Shadow Rock Farm verkaufen, nachdem seine erste Frau verstorben war. Viel zu viel erinnerte ihn an die gemeinsame Zeit, und seine zweite Frau hatte eine Farm in Virginia. 

Das Zauberwort war an der Stelle »verkaufen«. Normalerweise pflegte Simenon seine Wohnungen und Häuser zu mieten. Kaufen war die absolute Ausnahme und das hatte sich bisher auch nie als Nachteil herausgestellt. Denn so war er immer sehr flexibel gewesen und konnte Orte schnell verlassen. Ein Haus bindet und Ortswechsel werden eher überlegt. Das Problem war, dass die Konten leerngeräumt waren. Der größte Teil des Geldes von Simenon lag jetzt auf den Konten von Tigy. Dass diese nicht bereit gewesen wäre, ein Anwesen für ihren Ex-Mann zu kaufen, obwohl sie anscheinend noch gute Freunde waren, dürfte auf der Hand liegen. 

Den Makler machte das nicht wild: Warum eigenes Geld ausgeben, wenn es welches auf der Bank gab? Zum zweiten Mal in seinem Leben nahm Simenon einen Kredit auf.

Das Haus, was sie zu beziehen gedachten, war »nackig«. Heißt die Simenons fanden ihr neues Heim ohne Möbel vor. Der Zufall sollte ihnen helfen. In der Umgebung gab es eine Auktion, auf der die komplette Ausstattung eines Hauses versteigert wurde. Niemand wollte mitbieten, weshalb die Simenons günstig an Mobiliar kamen. Simenon spricht davon, dass die Stücke, die sie ersteigerten, grün gewesen wäre – was er nicht mochte. Aber Denyse sagte ihm, dass sie blau wären. Er wollte nicht darüber streiten, da er farbenblind sei.

Tigy richtete sich in der Nähe ein und bei ihr zogen sowohl Marc (so stand es in der Scheidungsvereinbarung) wie auch Boule ein (die wohl nicht Gegenstand irgendeiner Vereinbarung war). Letztere war recht ratlos, wie ihr Verhältnis mit Simenon weitergehen würde.

Die ersten Werke, die Simenon dort schrieb, waren »Tante Jeanne« und »Maigrets Memoiren«.