Maigret im Nachtzug (I)

Neugierig auf den Nachtzug (I)


Wäre alles nach Plan gelaufen, dann hielten wir die »Nachtzug«-Geschichte um Kommissar Maigret schon vier Monate in unseren Händen und wir hätten sie vermutlich ein zweites Mal gelesen. Durchaus auch möglich, dass wir enttäuscht wären, wenn die Intention des Lesens nicht Neugierde wäre. Dann sollte es September sein, nun November. Solang möchte ich nicht mehr warten ...

Seit einer halben Ewigkeit steht ein Band mit französischen Pre-Maigrets in meinem Regal und in diesem ist die Geschichte »Train de nuit« ebenfalls enthalten. Gedanken darüber, dass in dem Titel der Kommissar nicht erwähnt wird, muss man sich nicht machen. Simenon ist erst nach einem Jahrzehnt dazu übergangen, im Namen des Romans den der Hauptfigur mit einem Teil der Handlung, des Ortes oder der Person zu verknüpfen. In den 1930er-Jahren hatte er ein einziges Mal die Titelfigur im Buchtitel erwähnt. 

Nur im Deutschen wurde das seit Kiepenheuer & Witsch-Zeiten anders gehandhabt. Ich möchte darin eher einen Service-Gedanken für den Buchhandel und die Leser:innen sehen anstatt einer Marketing-Entscheidung. Andererseits kann man dem Eindruck zuneigen, dass deutschsprachigen Buchkäufer:innen bei der Beschaffung von Büchern nicht zugetraut wird, herauszubekommen, dass »Pietr der Lette« kein Maigret-Roman ist. Das wiederum wäre frustrierend und beleidigend.

Mich interessiert in diesem Beitrag nur der Handlungsfaden. Die literarische Qualität mag ich nicht beurteilen. Weder ist mein Französisch gut genug, um mich auf ein solch waghalsiges Unterfangen einzulassen, noch traue ich dem genutzten Übersetzungsprogramm entsprechende Prosa-Fähigkeiten zu. Da warte ich auf die gekonnte Übersetzung einer Könnerin oder eines Könners ab. 

Hier soll nicht mehr verraten werden als im Werbetext zu dem Buch – nur, dass es ein bisschen detaillierter ist.

Teil 1

Die Tatsache, dass das Buch mit einem Teil 1 anfängt, lässt auf einen zweiten, größeren Abschnitt schließen. Das ist jetzt eine bahnbrechende Erkenntnis. Da diese Zeilen nach dem Lesen des Ersten geschrieben werden und ich noch nicht weiter bin, kann ich nicht ausschließen, dass es auch einen Dritten gibt. Für wahrscheinlich halte ich es jedoch nicht, da ich etwa die Hälfte des Buches gelesen habe. (Wir werden also im weiteren Verlauf sehen, was sich da noch tut.)

Simenon beginnt die Geschichte in vertrauter Umgebung. Jean Monnet stammt aus Yport und ist Seemann. Knapp zwanzig Jahre alt, wurde er zur französischen Marine eingezogen und diente auf dem Panzerschiff »Bretagne« in Toulon – was das mit einem Jungen aus der Normandie macht, wo es doch eine gewisse Rivalität zwischen den Landesteilen gibt, wird nicht thematisiert. Dass es am Mittelmeer ganz anders zugeht als an der rauen nordischen Atlantikküste spielt schon eher eine Rolle.

Monnet stammte aus einer armen Familie. Der Vater war Seemann und war die meiste Zeit unterwegs. Der Junge hatte ihn selten zu Gesicht zu bekommen und das sollte auch für die acht Geschwister gelten. Er war an Weihnachten nach Hause gefahren, war von dem Fest enttäuscht – zumal der Vater nicht heimgekommen war und die Familie deshalb in Sorge war – und fuhr am Anfang der Geschichte zurück zu seinem Stützpunkt.

Als einfacher Soldat war er in der dritten Klasse unterwegs. Beim Vertreten der Füße erblickte er in der zweiten Klasse eine junge Frau, die ihn sah und gleichzeitig durch ihn durchschaute. Schwerlich konnte er seinen Blick abwenden, so attraktiv war sie. Und unerreichbar.

Schneller als er sich vorgestellt hatte, bekam er Kontakt zu der jungen Frau. Denn er traf sie in seiner Klasse wieder – er war sehr überrascht – und sie bat ihm um Hilfe. Nehmen wir an, bei der spontanen Zusage spielten die Hormone eine nicht unerhebliche Rolle. Seine Aufgabe: Er hatte eine Brieftasche an einen bestimmten Ort auszuliefern. In was für eine Bredouille er sich damit gebracht hatte, merkte er spätestens am Bahnhof: Jeder Passagier wurde gefilzt und aus unerfindlichen Gründen war man bei ihm nicht sehr gründlich. Vielleicht ist es gar nicht so unerfindlich, wie ich geschrieben habe, denn in dem Fall wäre die Geschichte schon zu Ende gewesen. (Und es gäbe definitiv keinen zweiten Teil, noch nicht einmal ein weiteres Kapitel nach dem ersten.)

Es sollte eines erwähnt werden: Maigret war nicht in dem Nachtzug.

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Was war passiert? Ein unbeteiligter Bauer hatte an einem Bahnübergang die übel zugerichtete Leiche gefunden und alle Umstände deuteten darauf hin, dass er im Zug ermordet worden war oder aus dem Zug gestoßen worden war. Was sich sagen ließ: Er war beraubt worden. Deshalb die Untersuchung.

Der nun weniger edel erscheinende Retter erfuhr von der Geschichte erst in einer Kneipe. Das war der Moment, an Ängstlichkeit und Verwirrung in Verzweiflung abtauchte. Irgendwie musste die junge Frau in den Tod verwickelt sein. Die Hormone hatte ihm das im Zug nicht mitgeteilt. Monnet steckte in einem Schlamassel.

Zu diesem Gefühl gesellte sich bald ein anderes: Amour. Kann sich einer vorstellen, was das für eine Kombination ist – Liebe, Begehren, Verzweiflung? Für die ersten beiden Regungen war Rita verantwortlich, die Frau aus dem Zug. Die traf Jean Monnet, als er sich bei dem vereinbarten Treffpunkt einfand und … bei ihr einzog.

Das Glück hätte perfekt sein können, wenn das Verbrechen nicht gewesen wäre und Ungeschicklichkeiten des Jungen nicht dafür gesorgt hätten, dass er plötzlich im Fokus der polizeilichen Ermittlung geraten war. Und na ja, wenn Verflossene von Rita nicht ständig in der Türe gestanden hätten.

Maigret?

Zu dem Zeitpunkt – Ende des ersten Teils – gab es eine Erwähnung von Torrence und eine von Maigret. 

Bis hierhin ist es eine Liebesgeschichte, wie man sie aus den Romans Durs von Simenon kennt. Ein Dummkopf schlittert in eine blöde Situation – unverschuldet oder verschuldet – und hat nun zu schauen, wie er sich aus den Problemen befreit. Wenn es ein klassischer Non-Maigret ist, dann würde er am Ende untergehen.

Zu vermuten ist, dass hier nicht der Fall ist. Ist nur meine Vermutung, die rein auf Gefühlen basiert und der Tatsache, wie die Geschichte erzählt ist. Fest steht, dass es bisher eine Hauptfigur gibt: Jean Monnet. Und wir haben eine dominante zweite Rolle – das wäre Rita. Die Arbeit der Polizisten bekommen wir nur am Rande mit in Form von Meldungen aus der Zeitung.

Bisher ist es so spannend, dass ich weiterlesen möchte. Mal schauen, wie es weitergeht …