Pont des Arches

Pont des Arches


Wer durch Lüttich auf den Spuren von Simenon spaziert, wird Brücken nutzen müssen. Die Maas ist – salopp formuliert – immer im Weg. Eine Brücke, die Spuren auch im Werk des Schriftstellers hinterlassen hat, ist die »Pont des Arches«. Sie liegt auf dem Weg vom Marktplatz der Stadt, an der Simenon-Statue und dem Geburtshaus vorbei in Richtung Outremeuse.

Bei der Brücke handelt es sich nicht um ein irgendein Bauwerk in der Stadt. An der Stelle, an der sie steht, hatte man schon im 8. Jahrhundert einen Übergang gebaut. Dass diese nicht für die Ewigkeit war, kann sich jeder denken, der den »Brückengeschichten« hier folgt – Konstruktionen aus Holz zeigen bei Hochwasser ihre Schwächen. Auch ihre hölzernen Nachfolger sollten sich nicht auf Dauer bewähren.

Eine im Jahr 1034 erbaute Brücke sollte schon aus Stein sein. Ein Bogen dieser alten Brücke steht heute noch und wurde unter Denkmalschutz gestellt. Solche Überführungen aus Stein sind aber ebenfalls nicht vor Hochwassern und ihren Gewalten gefeit. Deshalb stand die Stadt 1409 wieder vor dem Problem, eine Verbindung in Richtung Outremeuse bauen zu müssen. Es sollte zweiundzwanzig Jahre dauern, bevor die neue Brücke fertiggestellt werden sollte. Die Bewohner waren in der Zwischenzeit nicht abgeschnitten, es war eine provisorische Holzbrücke errichtet werden. Die Erbauer des Berliner Flughafens wischen sich nun wirklich den Schweiß von der Stirn und sagen sich: »Schön, dass es noch andere Bauwerke gab, deren Eröffnung sich ein wenig zog.« 

Auf der Brücke wurden ein Turm und eine Kapelle errichtet. Das waren nicht die einzigen Gebäude, die das Bauwerk zieren sollte. 1643 hatte es sich mit der Brücke, denn offenbar war die Last der Häuser zu groß. Allerdings könnte es auch sein, dass an den Brückenpfeilern gegrabene Keller den Einsturz verursachten. 

Da es ohne Übergang nicht ging, folgte eine dritte Brücke. Sie sollte den Namen »Dardanelle« bekommen. Eine Kapelle wurde auch auf dieser Brücke erbaut, aber man untersagte den Bau von weiteren Häusern. Der Baubeginn startete 1648 und die Fertigstellung erfolgte neun Jahre später.

Man ließ sie 140 Jahre stehen und riss sie dann ab. Es wurde eine Brücke errichtet, die den Namen »Pont de la Victoire« trug und den Bewohnern von 1791 an als Übergang diente. Da es der falsche Sieg war, der mit dem Brückennamen gefeiert wurde, bekam sie im Jahr 1797 einen neuen Titel. Den, den sie heute noch trägt: »Pont des Arches«.

Der Lauf der Geschichte sollte dafür sorgen, dass zwar der Name blieb, das Bauwerk von 1791 aber schon lange verschwunden ist.

In der neuen Zeit

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Pont des Arches (vor 1914)

Credits: Public Domain

Im Jahr 1860 wurde die vierte Arches-Brücke eröffnet. Sie führte dann in die Rue Léopold, die früheren hatten andere »enden«. Getrost kann man davon ausgehen, dass Simenon in seinen Erinnerungen immer diese Brücke vor Augen gehabt hat – und bevor jetzt Fragezeichen vor dem inneren Auge der Leser:innen entstehen: Gerade im 20. Jahrhundert sollte sie noch einmal sehr bewegte Zeiten erleben.

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Zerstörte Pont des Arches (1914)

Am 6. August 1914, die Deutschen waren auf dem Vormarsch, wurde die Brücke gesprengt. Die Absicht dahinter: Der Vormarsch der deutschen Truppe sollte verlangsamt werden. Der Schiffsverkehr auf diesem Arm der Maas war damit erheblich gestört und der Seitenarm bietet bei Weitem nicht die gleiche Kapazität. Das dürfte zu dem Zeitpunkt jedoch die geringste Sorge gewesen sein.

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Pont des Arches als Fußgängerbrücke (in den 20er-Jahren)

Credits: Public Domain

Nach dem Krieg machten sich die Belgier daran, die Brücke wieder neu aufzubauen. Es sollte ein Provisorium für Fußgänger werden, welches bis 1928 im Betrieb war. Für das Jahr 1930 war in Lüttich die »Exposition internationale« geplant, mit der auch der 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Belgiens gefeiert werden sollte. Das Management hatte zehn bis zwanzig Millionen Besucher erwartet, es kamen etwas über die Hälfte. Für Lüttich hatte es den Vorteil, das unter anderem das Provisorium durch eine neue Brücke ersetzt wurde. Ein kurzes Glück, denn schon zehn Jahre später – im Mai 1940 – wurde die Brücke erneut gesprengt, um den deutschen Angreifen den Vormarsch zu erschweren.

Die sechste »Pont des Arches« ist die, die wir heute kennen. Sie wurde nach dem Krieg am 28. Dezember 1947 eröffnet.

Der Roman

Im September 1920 schrieb Simenon seinen ersten Roman – »Au pont des Arches« – unter dem Namen Georges Sim. In dem Vorwort des Buches macht er sich Gedanken über den Begriff »Humor«, er will seinen Erstling offenbar als amüsantes Werk verstanden wissen. Das sollte nicht überbewertet werden. Im Vergleich zu der Mehrheit seiner späteren Romans durs zeigt der Roman eine gewisse Leichtigkeit. Schon allein dadurch, dass in der Geschichte keiner der Protagonisten irgendeinen nennenswerten und dauerhaften Schaden erlitt.

Für französischsprachige Verleger ist es noch einfach. Sie können den Text nehmen und veröffentlichen. Der Aufwand dürfte überschaubar sein. Für Simenon-Verlage im Ausland sieht es anders aus: Das Feuilleton würde die Veröffentlichung dieses Romanes zur Kenntnis nehmen, positive Besprechungen sind jedoch nicht zu erwarten. Die Klientel, die als Zielgruppe zur Verfügung stände, wären Simenon-Hardcore-Fans. Die Freude, die diese beim Lesen des Werkes erleben, dürfte sich in Grenzen halten, sodass am Ende nur die Befriedigung bleibt, den Erstling von Simenon gelesen zu haben.

Simenon teilte seinen Roman in zwei Bücher – das erste hat sieben Kapitel, das zweite fünf. Um eine Einordnung des Umfangs zu geben: Das fünfte Kapitel des zweiten Buches umfasst zehn Absätze. Wer anfängt, das Buch zu lesen, wird sehr schnell an seinem Ende sein … also an dem vom Buch.

Die Geschichte dreht sich um die Familie Planquet. Joseph war das Familienoberhaupt und besaß eine Apotheke an der Pont des Arches. Eine Konkretisierung, auf welcher Seite der Maas sich das Geschäft befunden haben soll, erfolgte nicht. Er war glücklich mit Ursula verheiratet und hatte zwei Kinder, Paul und Jeanne. Im Haushalt wurden sie durch ein Dienstmädchen unterstützt. In den ersten beiden Kapiteln geht es darum, dass der Bruder von Joseph, ein erfolgreicher Geschäftsmann, nach Lüttich zurückkehrte und er durch ein üppiges Essen begrüßt werden sollte. Bei diesem Mahl, an deren Zubereitung alle Haushaltsmitglieder – mit Ausnahme von Paul – beteiligt waren, ging so ziemlich alles schief, was man sich vorstellen kann. Was allerdings erst herauskam, als der opulente Gelage eingenommen wurde.

Onkel Timoleon steht wie die anderen tapfer das Mahl durch. Die fünf weiteren Kapitel geht es aber nicht mehr ums Essen, sondern darum, dass Paul in einem Café eine junge Frau kennenlernt, die sich Julia nennt und in die er sich verknallt. Allerdings war er an dem Abend mit haargenau dieser Absicht losgezogen. Das hatte also gut geklappt. Er kann sie dazu überreden, mit ihm zu schlafen – da wären nur logistische Probleme: Julia hatte Paul erzählt, sie stamme vom Land; er konnte sie nicht ins Elternhaus mitnehmen, schon gar nicht für Sex. So blieb nur ein Hotel und da entschied sie sich für die teuerste Unterkunft am Platze. Das brachte den jungen Mann in die Bredouille, denn es war klar, wer für das Zimmer aufzukommen habe.

Nun hatte er kein Geld und war fortan, also die nächsten fünf Kapitel damit beschäftigt, sich welches zu besorgen. Kein leichtes Unterfangen für jemanden, der Student war und nur Taschengeld hatte. Verkompliziert wurde die Angelegenheit die Beziehung dadurch, dass Julia einen Freund hatte, der ihr Leben zu finanzieren schien.

Ich könnte keine Romane schreiben. Das habe ich durchaus probiert und vermutlich sind meine ersten Kapitel immer hervorragend. Mein Durchhaltevermögen ist nicht sehr ausgeprägt, weshalb in Kapitel zwei in der Regel alle Hauptfiguren sterben. Liest man den ersten Teil von Simenons Buch, so beschleicht einen das Gefühl, dass es ihm ähnlich ging. In Kapitel sieben hat Paul keine Lust mehr und beendet die Liaison. Das war es dann.

An der Stelle fragt sich der Leser, was den Aufregendes im zweiten Teil folgen könnte: Timoleon Planquet kommt auf die Idee, dass sein Bruder seine berühmten und sehr erfolgreichen Abführtabletten besser vermarkten solle. Hier bringt Simenon die Geschichte im fünften Kapitel abrupt zum Ende.

Natürlich gibt es Kontext, der Leser der damaligen Zeit erheitert hat. Es waren Anspielungen an Persönlichkeiten, die Lütticher Bürger um 1920 gekannt haben. So skizziert er in dem Vater von Paul Planquet seinen Chef und Zeitungsverleger Joseph Demarteau. Weshalb der Roman laut Francis Lacassin damals auch gut ankam.

Ich bin froh, dass ich die Geschichte jetzt kenne – Punkt.

Optionen

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Wer die Geschichte selbst lesen möchte, hat zwei Möglichkeiten. Antiquarisch ist das Werk für etwa 1.600 Euro zu haben. Die wenigsten Leser werden diese Option in Erwägung ziehen. Ein solcher Erwerb hätte eher den Charme eine Wertanlage.

Diejenigen, die sich für die Geschichte interessieren und es günstig haben möchten, müssen aber trotzdem ein Antiquariat aufsuchen oder ihr Glück online probieren. Francis Lacassin erzählt in dem Vorwort zu der mir vorliegenden Ausgabe »Jehan Pinaguet – Au pont es Arches – Les ridicules« von Presse de la Cité, dass Simenon sich bis in die 70er-Jahre hinein wehrte, dass sein Frühwerk erneut angefasst wird. Erst 1975 hatte Lacassin ihn weichgeklopft, weshalb der Roman zum ersten Mal seit 1921 veröffentlicht wurde.