Eine ganz andere Affäre

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Es ist immer ärgerlich,
ein Messerstich in den Rücken zu bekommen
und daran zu sterben.

Es war schon ein merkwürdiger Anblick, der sich dem Taxifahrer bot. Vor ihm fuhr ein Wagen Zick-Zack-Linien. Der Wagen fuhr zwar sehr langsam, aber eine Gerade schien er nicht zu finden. Als der Taxifahrer endlich das Gefühl bekam, dass der Wagen die gerade Fahrweise entdeckt hatte, war es auch schon zu spät. Der Wagen stieß gegen einen Felsen, der Fahrer hätte besser die Kurve nehmen sollen.

Den Insassen schien der Aufprall nicht geschadet zu haben, denn sie sprangen aus dem Wagen und verschwanden mitsamt verschiedener Koffer. Dem Taxifahrer kam das Geschehene nicht ganz koscher vor, er alarmierte die Polizei. Am Bahnhof wurden zwei Damen – Mutter und Tochter – mit ihren Koffern aufgegriffen.

Man brachte sie nach Hause, um sich beim Hausherren über die gar plötzliche Abreise seiner beiden Mitbewohnerinnen zu erkundigen, aber siehe da – er war nicht anwesend. Eine gründliche Inspektion im Haus konnte den Hausherren nicht zu Tage bringen, bis jemand im Garten eine Stelle entdeckte, die aussah, als wäre sie gerade frisch umgegraben worden. Hier hielt sich der Hausherr auf: William Brown. Tot.

Eine kurze Inspektion der Leiche brachte der Polizei die Erkenntnis, dass dies kein Selbstmord gewesen sein konnte.

Was brachte nun Maigret nach Antibes – dem Tatort? Ein Ausländer ist umgebracht worden, dazu noch einer, der mit zwei Frauen zusammenlebte und aus Australien kam. Die einhellige Meinung der Bevölkerung und der Presse war, dass Brown ein Agent gewesen war und von einem nicht befreundeten Geheimdienst umgebracht worden ist. So etwas liest man bei der Polizei nicht gerade gern in der Zeitung, so schafft man den Pariser Kommissar herbei, damit er so diskret wie möglich Licht in das Dunkel bringt.

Der erste Eindruck, den er hatte, war der von Urlaub. Als Maigret dem Zug entstieg, war die eine Hälfte des Bahnhofs von Antibes in so leuchtendes Sonnenlicht getaucht, dass man die Menschen, die sich hier bewegten, nur wie Schatten wahrnahm. Die Schatten trugen Strohhüte, weiße Hosen, Tennisschläger. Die Luft summte. Palmen und Kakteen säumten den Bahnsteig, ein Streifen blauen Meeres lag hinter dem Lampenwärterhäuschen.

Wie schon in den anderen Mittelmeerabenteuern kommt in Maigret nicht so recht eine Arbeitsstimmung auf. Er kann sich nicht entscheiden, welches sein erster Schritt sein sollte – in einem Straßencafé einen Weißwein zu sich zu nehmen, mit den Verdächtigen zu sprechen oder sich zuerst den Tatort anzuschauen. Obwohl ihn Ersteres wohl am meisten reizt, entschließt er sich zu Letzterem und – um die Sache so schnell wie möglich hinter sicher zu bringen -, lässt er die beiden verdächtigen Frauen zum Haus bringen.

Dort interviewt er die beiden Frauen, wobei die Geliebte – Gina – nicht viel zu sagen hatte, und deren Mutter mehr von sich oder ihrer Tochter sprach. Er begeht das Haus und macht sich ein Bild von dem Mann, der ihm auf einem Foto so ähnlich sieht. Die meisten Zimmer im Haus sind unbewohnt, was die Frauen damit begründen, dass es keine Haushaltshilfe gab. So wurde denn auch in der Küche gegessen, wenn es etwas zu essen gab. Die Frage, die den Kommissar am meisten bewegte, war, warum ein Mann, der eine solche Villa bewohnt und etwas Geld hat, mit solchen Frauen zusammenlebte.

Brown war zu verstehen, wenn er sich einmal im Monat absetzte, um einen Teil seines Einkommens zu verprassen. Die Frauen hatten nie herausbekommen, wo er das Geld ausgab.

Durch einen glücklichen Fehlgriff nimmt Maigret den falschen Mantel mit, als er das Haus verlässt. In diesem Mantel, der Brown gehörte, findet er Jetons, die zu Glücksspielautomaten gehörten. Diese Marken führten ihn auf geraden Weg nach Cannes und nach einem kurzen Besuch beim dortigen Polizeikommissariat sowie kurzen Suchen in die »Liberty Bar«.

Das leere Lokal war kaum größer als zwei mal drei Meter. Er musste zwei Stufen hinuntersteigen, es lag etwas unter dem Straßenniveau.
Eine schäbige Theke und ein Wandgestell mit einem Dutzend Gläser. Der Spielautomat. Schließlich noch zwei Tische.
Im Hintergrund eine Glastür mit Tüllvorhängen. Dahinter konnte man undeutlich Köpfe erkennen, die sich bewegten. Aber niemand stand auf, um zu dem Kunden herauszukommen.

Nun hatte Maigret Gelegenheit die skurillsten Typen kennen zulernen. Die dicke Jaja – die Wirtin der Kneipe, Sylvie – die Hure und Jan – der schwedische Stewart. Kein Zweifel, hier war Brown während seiner Ausflüge gelandet, hier hatte er sich wohlgefühlt. Nun musste Maigret nur noch herausbekommen, warum er von einem Ausflug in die »Liberty Bar« mit einem Messerstich zurückkam.