Zweimal fünf


Wer dieser Seite regelmäßig folgt, den dürfte dieser Beitrag wenig überraschen – es ist das Aufwärmen von Bekanntem mit ein paar Details angereichert. Nun soll aber das Simenon-Frühjahrsprogramm des Atlantik-Verlages nicht einfach im Archiv dieser Webseite schlummern, sondern lautstark verkündet werden: Es wird ein starkes Frühjahr!

Die Simenon-Titel kommen in dem Halbjahres-Programm in zwei Tranchen: eine im März, die andere im Juni. Die stärkere Tranche ist die März, was vielleicht nicht schlecht ist. Wer weiß, ob die Leserschaft nicht im März noch halb im Corona-Winterschlaf döst und Zeit dafür hat, gute Simenon-Romane zu erobern. Im Juni, fast Sommer, will man nur raus.

März

In den Mittelpunkt in der Verlagsvorschau wird überraschenderweise ein Roman »Der Grenzgänger« gestellt. Gerade im Bereich der großen Romane gibt es in dem Monat sehr starke »Kollegen«, die was die Qualität angeht, eher in den Mittelpunkt gestellt gehören. Eine Erklärung dafür, dass Atlantik sich für den »Grenzgänger« entschieden hat, dürfte wohl die Neuübersetzung sein, die man dem Roman gegönnt hat. Der Roman erscheint nun in einer Übersetzung von Florian Kranz, der damit das erste Mal einen Simenon bearbeitet hat. Der Roman ist bisher nur einmal in deutscher Sprache erschienen – 1994 bei Diogenes – und damals in einer Übersetzung von Renate Heimbucher und Michael Mosblech, was im Nachgang betrachtet auch einige Fragen aufwirft. (So umfangreich ist das Buch nicht, dass man dafür zwei Übersetzer benötigen würde? Warum wurde es jetzt wieder neu übersetzt?)

Die Frage, welches der eigentlich Favorit der März-Lieferung ist, muss jeder für sich beantworten: »Tante Jeanne« ist ebenso ein heißer Kandidat, wie die Geschichte wie »Das Weiße Ross« – ersteres übersetzt von Inge Giese, letzteres von Trude Fein. Wer das Epische mag, der ist mit »Das Testament Donadieu« ganz gut aufgehoben. Die anderen Titel kann man – Zeit und Muße vorausgesetzt – in einem Rutsch durchlesen. Wem das bei La Rochelle-Geschichte-Testament-Geschichte gelingt, dem sollte unser ganzer Respekt gelten. Immerhin kommt der Roman mit knapp über 500 Seiten daher.

Der fünfte Roman in diesem Bunde ist ein Maigret: »Maigret und die braven Leute«. Egal, wie brav die Leute auch sind, jeder hat so seine Leichen im Keller. Maigret muss sie nur finden und in dieser von Mirjam Madlung überarbeiteten Übersetzung von Hansjürgen Wille und Barbara Klau kommt er auf jeden Fall dahinter. 

Juni

Der Sommer-Maigret wird »Maigret und der einsame Mann« aus den Spätwerk Simenons werden: Eine Leiche wurde in einem Haus bei den Hallen gefunden und nun muss herausgefunden werden, wer der Tote ist. Es war ein Clochard, aber die anderen aus der Szene kannten ihn nicht – er hielt sich immer abseits. Auffallend war aber nicht nur die mangelnde Geselligkeit sondern auch die Tatsache, dass er auf sein Äußeres achtete. Die Übersetzung basiert auf denen von Kiepenheuer & Witsch und wurde von Bärbel Brands überarbeitet.

Beim zweiten Maigret handelt es sich um eine Neuübersetzung, die im letzten Jahr im Kampa-Verlag erschien, und die von Rainer Moritz vorgenommen wurde. Der Kommissar hat in »Maigret irrt sich« mit einem Mann zu tun, der in seinem Beruf sehr erfolgreich ist. Sein Privatleben ist indes nicht ganz so unkompliziert und so steht er zwischen drei Frauen, von denen Maigret eine aber nicht mehr zu ihren Lebzeiten kennenlernt. 

Männer, die ihre Beziehungen nicht im Griff haben, sind auch das Thema in »Der Teddybär« – Jean Chabot gehört eine Klinik und er hatte alles, was man sich wünschen kann. Was ihm fehlt, entdeckt er erst, nachdem er eine Affäre mit einer Klinik-Angestellten angefangen hatte und diese plötzlich verschwand. Nachdem im Sommer der Film auf DVD erschienen ist, kann man im nächsten Sommer das Buch lesen. Wer Parallelen zum Leben des Schöpfers der Geschichte findet, wäre mit der Einschätzung nicht allein. Die Übersetzung wurde vom Diogenes-Verlag übernommen und stammt von der bekannten Simenon-Übersetzerin Ingrid Altrichter.

Statt der Delon-Verfilmung könnte sich jemand Erbarmen und statt dessen mal »Mit den Waffen einer Frau« auf DVD herausbringen. Aber nein! Als Trost bleibt einem, dass im nächsten Sommer die Veröffentlichung der literarischen Vorlage »Im Falle eines Unfalls« ansteht. Fast alle Titel aus der Kiepenheuer & Witsch-Ära wurden mittlerweile neu übersetzt oder zumindest überarbeitet. Dieser Titel interessanterweise nicht, so haben wir es hier mit der Übersetzung von Hansjürgen Wille und Barbara Klau zu tun. Der Roman ist für Simenon typisch: Es geht um einen Rechtsanwalt, der glücklich verheiratet ist und seine Lebensumstände schildert. Da kann er nicht meckern: Er ist erfolgreich, nennt zwei Etagen innerhalb eines Mietshauses sein eigen und er hat eine Geliebte, die man reizend nennen kann. In früheren Ausgaben bekam man Brigitte Bardot gleich mit dem Cover vor die Nase gesetzt, damit man wusste, wie reizend es sein konnte. Bei der Atlantik-Ausgabe ist ein wenig mehr Fantasie gefragt, man sieht nur eine Frau von hinten.

Bleibt noch »Die Beichte« – auch dieser Roman aus der späten Roman-Schaffensphase von Simenon kommt mit einer neuen Übersetzung daher. Sophia Marzolff hat sich des Stoffs um einen jungen Mann angenommen, der entdeckt, dass seine Eltern nicht nur Geheimnisse vor ihm haben, sondern auch voreinander. 

Irgendwie anders

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Der eigene Auftritt es Atlantik-Verlages scheint verschwunden zu sein und damit auch die eigene Simenon-Seite. Das ist schade, aber an sich noch kein Drama. Die Nackenhaare sträuben sich jedoch, wenn man Romane wie »Das Testament Donadieu« und »Die Marie vom Hafen« unter »Krimis & Thriller« einsortiert sieht. Schließlich gibt es auch die etwas allgemeinere Rubrik »Romane & Erzählungen«, in der die »normalen« Geschichten anderer Autoren einsortiert werden. Viele Non-Maigret-Geschichten, die beiden genannten Romane, sind dort allemal besser aufgehoben. Es ist zu hoffen, dass da noch einmal nachgebessert wird.