Simenon-Jahrbuch 2004

Souveräne Texte


Simenon pflegte in einfacher Sprache zu schreiben. Diese Beteuerung mag korrekt sein, hilft aber nicht, wenn man des Französischen nicht ausreichend mächtig ist. Übersetzungen schaffen Abhilfe. Im Oktober 2004 führten wir ein Gespräch mit Ingrid Altrichter, einer bekannten Übersetzerin von Simenon-Romanen. Das Gespräch gibt interessante Einblicke in die Arbeit der Übersetzenden.

Wie wird man eigentlich Übersetzer? Man kann es studieren, aber vermutlich gibt es auch sehr viele Seiteneinsteiger ...

Ich bin eine typische Seiteneinsteigerin. Dass man literarisches Übersetzen studieren kann, ist relativ neu. Einst war es mehr Liebhaberei als Beruf und oft nur eine sinnvolle Freizeitgestaltung für gebildete Damen der höheren Stände, vielleicht noch immer einer der Gründe, warum wir so schlecht bezahlt werden. Auch manche Dichter und Schriftsteller haben übersetzt, aber zumeist nur nebenbei. In den letzten fünfzig Jahren ist unsere Arbeit allerdings deutlich professioneller geworden. Das ist sicher auch ein Verdienst des Verbandes der Literaturübersetzer, der sehr viel für die Fortbildung und das Qualitätsbewusstsein seiner Mitglieder tut.

Früher hat man mehr dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend übersetzt. Klassisches Beispiel dafür ist Shakespeare. Wir alle lieben die schlegel-tiecksche Übersetzung, die sprachlich wunderschön ist, aber sie ist natürlich kein »echter« Shakespeare, sie lässt so manche Facetten des Autors außer Acht. Das vielleicht bekannteste französische Beispiel ist die für ihre Zeit gewiss hervorragende Proust-Übersetzung von Eva Rechel-Mertens, die jedoch auch an vielen Stellen sprachlich gehobener ist als das Original. Aber inzwischen bemühen sich zumindest die professionellen Übersetzer, dem Original gerechter zu werden, den Ton, den Rhythmus und die Sprachebene des Textes möglichst präzise zu treffen. Eine immer wieder zitierte Maxime lautet: So treu wie möglich und so frei wie notig.

Und wie man zu dem Beruf kommt? Da gibt's nichts, was es nicht gibt..

Und Sie?

Bei mir war es so, dass ich in meinen ersten Bewerbungen um Übersetzungsaufträge einfach meine frühere Tätigkeit verschwiegen habe: Ich war einmal Fremdsprachen-Sekretärin, genauer gesagt, die Sekretärin des technischen Direktors eines großen französischen Unternehmens hier in Deutschland. Hätte ich das damals in meinen Anfragen bei den Verlagen gestanden, dann wären meine Briefe wohl unbeantwortet in die »Ablage dreizehn«, das heißt in den Papierkorb gewandert.

Ich habe zwar nicht gelogen, aber mich um eine klare Aussage herumgeschummelt, etwas von Festanstellung im Sprachensektor geschrieben und dass ich aus privaten Gründen in den Freiberuf möchte. Nein, das war wirklich nicht gelogen! Ich erwartete gerade mein zweites Kind und suchte wie etliche meiner Kolleginnen nach einer Möglichkeit, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Zum Glück hatte ich damals noch keine klaren Vorstellungen von dem, worauf ich mich da einlasse, sonst hätte ich vielleicht nicht den Mut dazu aufgebracht.

Manche sind in diesem Beruf gelandet, weil sie sich über eine schlechte Übersetzung geärgert und dem Verlag geschrieben haben, das könnten sie besser. Viele in unserer Zunft haben Sprachen oder anderes studiert, aber die wenigsten von den alten Hasen und Häsinnen, die ich so kenne, wollten bereits in ihren jungen Jahren Literaturübersetzer werden. Bei einigen hatte schlicht der Zufall die Hand im Spiel.

Ich weiß nicht genau, woran es liegt, auf jeden Fall üben diesen Beruf deutlich mehr Frauen als Männer aus, sodass wir im Verband zuweilen witzeln, der Übersetzer sei weiblichen Geschlechts.

Mittlerweile gibt es in der Tat verschiedene, einschlägige Aufbau-studiengänge, und die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf bietet seit den späten achtziger Jahren sogar einen Diplomstudiengang »Literaturübersetzen« an, für den ich übrigens seit zehn Jahren die Französisch-Praktika im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen am Niederrhein betreue.

Aber es wird wohl immer Seiteneinsteiger geben, zumal weder die Berufsbezeichnung geschützt ist noch klare Qualifikationskriterien bestehen; entscheidend ist, sich in der Praxis zu bewähren – und nicht zuletzt die Auftragslage.

Wenn Sie Literatur übersetzen, dann ist dies keine Eins-zu-Eins-Übersetzung, sondern Sie müssen auch Phantasie und Gefühl für den Satzrhythmus mitbringen. Da Sie dies offenbar haben, packt es Sie nicht selbst Geschichten zu schreiben?

(lacht) Es ist unglaublich... Die Frage kommt immer wieder. Nein, es packt mich überhaupt nicht. Mir fehlt wahrscheinlich die nötige Phantasie für eine eigene Geschichte. Übersetzern wird ohnehin gern nachgesagt, Sie seien Schriftsteller, denen nichts einfällt. Außerdem würde ich nie damit fertig werden. Ich habe schon die größte Mühe, meine Übersetzungen halbwegs fristgerecht abzuliefern. Ich zähle nämlich zu denen, die sich nicht vom Text trennen können, weil sie bis zur letzten Minute daran herumfeilen. Wäre es eine eigene Geschichte, bei der keine Deadline droht, würde sie wirklich nie fertig werden.

Von daher wären die sieben, acht Tage, die Simenon benötigt hat, illusorisch ...

(lacht) ... Ja, aber Moment mal, man muss, und damit wären wir bei Simenon, fairerweise dazusagen, er hat sich seine Romane ja auch nicht in diesen wenigen Tagen ausgedacht.

Er hatte sie, wenn er zu schreiben anfing, schon genau im Kopf und vorher sehr gründlich das psychologische Umfeld seiner Figuren studiert ... Trotzdem bleibt sein Schreibtempo natürlich ein bewundernswertes Phänomen.

... zum einen dies und zum anderen auch die berühmten Notizzettel, auf denen er alle Namen notiert hat ...

Na, bei den Namen gewinnt man als Übersetzer schon manchmal den Eindruck, er könnte im Eifer des Schreibens – um nicht zu sagen: in seinem Schreibrausch – die Notizzettel hin und wieder verwechselt oder sich einfach nicht die Zeit genommen haben, sie zu konsultieren. Ebenso spannend wie verräterisch ist es, wenn zum Beispiel irgendwo im letzten Drittel eines Buches wieder eine in einem der Anfangskapitel eingeführte Figur mit einem charakteristischen Merkmal auftaucht, an dem man sie sofort wiedererkennt, und es von ihr heißt: »Du weißt schon, der und der..., ich komme im Moment nicht auf den Namen«, dann liegt doch die Vermutung recht nahe, dass sich Simenon in dem Moment nicht mehr daran erinnerte, wie er die Figur am Anfang genannt hatte.

Wiederum ist das doch dann noch ein Glücksgriff für den Übersetzer wenn Simenon schreibt: Du weißt schon, wen ich meine ... Doch was macht der Übersetzer, wenn er merkt, da steht ein ganz anderer Name? Man verändert das Original, wenn man einen anderen Namen einsetzt ...

Stellen Sie mir doch nicht solche Gretchenfragen!

Aber man stutzt doch, das ist doch der Horror für den Übersetzer, oder? Unabhängig von Simenon ...

So etwas muss selbstverständlich korrigiert werden.

Sonst hat man Briefe von Lehrern auf dem Tisch ...

Vor allem von pensionierten Lehrern. Pensionierte Studienräte sind leidenschaftliche Briefeschreiber, wenn sie einen Fehler finden. 

Die meisten Übersetzer legen auch Namenslisten und sogar Zeichnungen an. In so manchen Romanen, auch in angelsächsischen, werden zuweilen haarklein Häuser oder Räume beschrieben, und dann geht plötzlich irgendwer durch eine Tür, die nach der ursprünglichen Beschreibung dort nie und nimmer vorhanden sein kann.

Ich bastle mir zum Beispiel bei Büchern mit vielen Rückblenden grundsätzlich Zeitbänder, weil häufig auch die Zeitangaben nicht stimmen. Da passierte etwas vorgestern, aber die dazwischen liegende Handlung hat mindestens eine Woche gedauert. Eine beliebte Schlamperei in Unterhaltungsromanen ist auch, dass Autoren den Mond- oder Sonnenstand großzügig verändern: Man kommt irgendwo an, in trüber Stimmung, und am Himmel ist eine bleiche Mondsichel zu sehen, aber bereits am nächsten Tag – die Stimmung hat sich aus irgendeinem Grund aufgehellt – da leuchtet ein herrlicher Vollmond.

Das sind dann die Details, die – Pardon! – bei schludrigen Übersetzern so stehen bleiben, bei anderen eben nicht. Bei dem Begriff »schludrig« ist hier dennoch Vorsicht geboten: Es gibt Kollegen, die vertreten ganz bewusst den Grundsatz, für den Inhalt seien sie nicht zuständig, der liege allein in der Verantwortung der Autoren, und wenn sie die Texte »verbessern«, verhelfen sie ihnen möglicherweise zu einem Erfolg, der ihnen gar nicht zusteht, und dafür werden Übersetzer schließlich nicht bezahlt. Eine Meinung, über die sich trefflich streiten lässt und die sich bei Jüngeren häufiger durchsetzt. Wir von der älteren Garde halten uns in der Regel daran, dass die Lektoren von uns erwarten, solche Dinge zu korrigieren.

Sie haben etwa Mitte der achtziger Jahre angefangen Simenon zu über setzen. Haben Sie vorher schon Simenon gelesen?

Gelegentlich ja. Aber nicht besonders viele. Ich habe ein paar Maigret gelesen, wie die meisten Leute, die sich für französische Bücher interessieren.

Haben Sie diese im Original gelesen oder in einer Übersetzung?

Die habe ich im Original gelesen.

Bevor Sie anfingen die Romane zu übersetzen,  schauten Sie sich sich die alten Übersetzungen an?

Nein. Ich hatte damals schon rege Kontakte zu Kollegen, und die haben mich zu Recht gewarnt, vorher in die bereits vorhandenen deutschen Ausgaben reinzuschauen: Bei sehr anspruchsvoller Literatur aus früheren Epochen kennen die heutigen Übersetzer natürlich alle wichtigen bisherigen deutschen Fassungen ebenso wie die entsprechende Sekundärliteratur. 

Als ich einmal die von einem zeitgenössischen französischen Autor zusammengestellten altägyptischen Weisheiten ins Deutsche übertragen musste, habe ich mir für jede der zitierten Weisheiten vorher mehrere wissenschaftliche Übersetzungen besorgt, um zu klären, was sie genau besagen, bevor ich ihnen eine – meine – deutsche Stimme verlieh. Aber wir reden hier von Unterhaltungsliteratur. Da ist es teuflisch, wenn man in eine vorherige Übersetzung reinschaut, weil sie einem dann im Kopf rumspukt und den Blick für die eigene Lösung verstellt. 

Das Einzige, was sinnvoll ist, wenn denn überhaupt, dass man, wenn man mit der eigenen Übersetzung fertig ist, die eine oder andere Stelle vergleicht. Bei Simenon habe ich das natürlich gemacht – besonders bei kniffligen Stellen, über die ich mir lange den Kopf zerbrochen hatte – und dann zu meiner Überraschung festgestellt, dass in neun von zehn Fällen die früheren Simenon-Übersetzer die Probleme durch geniales Weglassen gelöst hatten.

Sie haben pari-pari übersetzt: sieben Maigrets, sieben Non-Maigrets. Was haben Sie lieber übersetzt, die Maigret-Geschichten oder die Non-Maigrets?

Wirklich? Das war mir gar nicht bewusst. Was ich lieber übersetzt habe, lässt sich schwer sagen.

Ich übersetze immer lieber gute Bücher, und auch bei Simenon gibt es gute und weniger gute. Die Besseren habe ich lieber übersetzt als die Schwachen. Aber ganz allgemein bedaure ich ein wenig, dass Simenon hauptsächlich als Vater von Kommissar Maigret bekannt ist.

Viele Leute kennen ihn nur als Maigret-Autor und wissen gar nicht, dass er auch die so genannten Non-Maigrets geschrieben hat. Und ich bin immer noch der Meinung, dass unter denen seine besten Romane zu finden sind.

Er bringt aber in den Non-Maigrets eine ganz andere Stimmung herüber als in den Maigrets. Viele Leute sagen, dass da eine sehr düstere Stimmung herrsche, häufig auch mit einem sehr negativen Ausgang. Für Unterhaltungsliteratur, wo Sie ihn eingeordnet haben, in der man eigentlich ein Happy-End erwartet, wird man als Leser enttäuscht, zumindest in den Non-Maigrets.

Das ist das, was mich schon damals fasziniert hat und auch jetzt im Rückblick noch am meisten an ihm fasziniert, dass er so großes Wohlwollen, ein so großes Herz für die gescheiterten Existenzen aufbringt.

Das kommt sowohl in den Maigrets als auch in den Non-Maigrets zum Ausdruck. Ich hatte eben den Eindruck, dass diese Einordnung »Unterhaltungsautor« Sie ein wenig stört. Natürlich, aus meiner Sicht ist es Unterhaltungsliteratur, dennoch ist er beileibe nie einer der süßlichen Happy-End-Autoren gewesen. Ich glaube, die heile Welt darstellen – ich will ihm da nicht Unrecht tun – das hat ihn wahrscheinlich auch nie interessiert.

Ich habe mich mal aus gegebenem Anlass mit den Anfängen von Simenon-Romanen beschäftigt. Bei den Maigrets fängt es meistens, nicht immer, mit einem Todesfall an. Aber die Non-Maigrets, die fangen in der Regel mit ganz normalen, alltäglichen Situationen an, wie sie jedem passieren können. Und meistens taucht bereits auf den ersten Seiten die Hauptfigur auf, die dann in einer dieser ganz alltäglichen Situationen ein klein wenig anders reagiert als ein Durchschnittsmensch. 

Und wenn man dafür einigermaßen sensibilisiert ist, dann merkt man diesen Knick, mit dem Simenon – und das wirklich hervorragend – ganz leise ins Geschehen, in die außergewöhnliche Situation einführt. Fast immer ist der Protagonist ein Mann, der mit sich, seiner Familie oder seinem Umfeld nicht zurechtkommt und nahezu zwangsläufig auf die Katastrophe zusteuert. Oft resultiert auch erst aus der Katastrophe die Erkenntnis, die bessere Einsicht. Ich habe die Non-Maigrets immer sehr gern gemocht und hauptsächlich deshalb, weil Simenon sie psychologisch hundertprozentig stimmig rüberbringt. Dann verzeiht man ihm gern, dass er in den Realien manchmal etwas großzügig war ...

Er hat einen Roman herausgebracht, der den Namen »Das Unheil« trägt. Eigentlich hätte er seine Romane durchnummerieren können: »Das Unheil 1«, »Das Unheil 2«, »Das Unheil 3« ... Es gibt nur wenige Romane, die mit einem, für den Leser, befriedigenden Ende schließen. Die Geschichten ziehen einen nach unten, deprimiert manchmal, man legt sie auch beiseite. Wie geht man als Übersetzer damit um?

Ich habe Simenon so nie empfunden.

Ich kenne Kollegen und Kolleginnen, die sich oft mit Literatur über das Dritte Reich befassen und dann irgendwann sagen, jetzt kann ich nicht mehr. Das kann ich sehr gut verstehen, aber bei Simenon ist es mir nie so gegangen. Ich fand seine Figuren, ihre psychologische Entwicklung, immer so spannend, dass ich mir die Frage, ob sie mich runterziehen, nie gestellt habe.

Gibt es Texte zu denen Sie keinen Zugang bekommen?

Ist mir bisher, zum Glück, noch nie passiert. Aber sollte das einmal der Fall sein, würde ich den Auftrag zurückgeben.

Sie haben gesagt, Sie feilen bis zum letzten Augenblick an den Texten bis Sie zufrieden sind.

Zufrieden bin ich nie!

Ein Autor hat noch die Möglichkeit, einen Text, der ihm nicht gefällt, in der Schublade verschwinden zu lassen. Ist Ihnen das als Übersetzer schon einmal passiert, dass Sie gesagt haben, der Text ist überhaupt nicht stimmig, dass Sie vor dem Text kapituliert haben?

Nein, bisher noch nicht. Normalerweise lese ich jedes Buch gründlich, bevor ich mich überhaupt entscheide, ob ich es annehme oder nicht. Simenon ist der einzige Autor, bei dem ich hin und wieder einen Vertrag unterschrieben habe, ohne den Roman vorher gelesen zu haben.

Natürlich steckt wie immer auch hier der Teufel im Detail und manche Probleme stellen sich eben erst während der Arbeit heraus. So merkt man zum Beispiel erst beim Übersetzen, wie viel Zeit die Recherchen in Anspruch nehmen, vor allem bei Autoren, die in diesem Punkt selbst allzu sorglos waren. Aber von denen nehme ich dann bestimmt kein zweites Buch mehr an. Wie lange es dauert, bis man den richtigen Ton gefunden hat, lässt sich auch meistens bei der ersten Lektüre noch nicht abschätzen. Mittlerweile habe ich da großen Respekt vor Büchern, die sich ganz leicht lesen ...

Wie zum Beispiel Simenon …

Ja, stimmt. Darin wird er sogar von erfahrenen Leuten zuweilen unter-schätzt.

Ich erinnere mich an einen Kollegen, der mir seinerzeit mal zu verstehen gegeben hat, Simenon müsste man doch mit links einfach so runterschreiben können, bis es der Zufall wollte, dass er selbst an einem saß – dreimal so lange wie ursprünglich geplant. Simenon hat sicher nicht so lang an den Sätzen gefeilt wie wir, bis sie sich auch auf Deutsch so leicht und locker lesen.

Ich bekomme hin und wieder zu hören : Oh, da müssen Sie aber gut Englisch und Französisch können, wenn Sie ganze Bücher übersetzen.

Dann leiste ich mir manchmal den Spaß und sage: Es ist ganz hilfreich, wenn man die Ausgangssprache kann, aber eigentlich ist es noch wichtiger, dass man Deutsch kann.

Für mich besteht Übersetzen aus vielen, vielen Arbeitsgängen, aber im Prinzip aus zwei Aufgabenbereichen. Der eine ist – wie hieß es in der Schule so schön – was will uns der Autor damit sagen? Was steht genau im Original? Das ist aus meiner Sicht der leichtere Part. Der sehr viel schwierigere ist es, wie bringe ich das adäquat ins Deutsche. Das Zauberwort ist die so genannte Wirkungsäquivalenz. Das heißt, wie erzeuge ich die gleichen Stimmungen, Assoziationen und – meistens nahezu unmöglich – die gleichen Konnotationen, die beim Leser des Originals entstehen?

Denkt man während des Übersetzens nicht: So schlagfertig wie die Person im Buch möchte ich gern auch sein?

Oh ja, oh ja. Und wie oft man das denkt! Besonders bei schlichten Sätzen, deren Bedeutung schon auf den ersten Blick völlig klar ist, die sich aber auf Deutsch überhaupt nicht so schlicht sagen lassen.

Wie ist es mit witzigen Situationen? Sind die noch schwieriger zu übersetzen als traurige oder eher alltägliche Situationen?

Nein, da sehe ich keinen Unterschied. Ironie finde ich schon eher schwierig. Und dass Wortspiele die größten Herausforderungen sind, versteht sich ja von selbst.

Haben Sie von den Simenons, die Sie übersetzt haben – genannt seien »Der Teddybär«, »Der ältere Bruder«, »Die Pitards« – einen absoluten Liebling, einen von dem Sie gesagt haben, dies ist das schönste unter den Büchern gewesen?

Das ist schwer zu sagen, auch jetzt im Rückblick nicht. Was ich sehr gern gemocht habe, waren »Die bösen Schwestern von Concarneau«, ein recht leises Buch mit vielen Zwischentönen. »Die Pitards« sind mir aus verschiedenen Gründen auch noch in sehr lebhafter Erinnerung. Es spielt fast ausschließlich auf hoher See. Wir haben ja immer das Problem, dass wir bei Lebensbereichen, die nicht allen geläufig sind, eine Sprache finden müssen, die für Experten stimmt und für Laien trotzdem verständlich ist. Und dann soll es sich auch noch gut lesen!

Jedenfalls gerät in den »Pitards« das Schiff, das in Einzelteile zerlegte Lokomotiven geladen hat, bei einem schweren Sturm in Seenot und die in den Laderäumen verrutschte Fracht führt fast zur Katastrophe. Nur um die richtigen Verben zu finden, was da zum Beispiel schwanken, rutschen, rollen oder kullern kann, musste ich wenigstens ungefähr wissen, wie groß diese Teile sind und wie sie aussehen, ganz zu schweigen davon, dass ich ja auch ihre korrekten deutschen Bezeichnungen gebraucht habe. Allein dafür habe ich stundenlang mit dem Bundesbahnausbesserungswerk, mit einem sehr kooperativen Techniker, telefoniert. Und für die seemännische Terminologie habe ich einen unglaublich lustigen Abend mit zwei pensionierten Kapitänen verbracht.

An Maigret gefällt mir auch, dass er etwas altmodisch ist. Wie er etwa an seinem Kohleofen hängt, und natürlich seine Haltung möglichen oder tatsächlichen Kriminellen gegenüber, in denen er immer zuerst den Menschen sieht.

Haben Sie einen Daumenwert, wie lang Sie für die Übersetzung eines Simenon-Romans benötigt haben?

Ich bin – unabhängig vom Text – eine ziemlich langsame Übersetzerin. So an die drei Monate sind es schon gewesen. Sicher haben andere das schneller geschafft, aber trotzdem haben wir alle zum Übersetzen viel länger gebraucht als Simenon zum Schreiben.

Gab es Unterschiede bei der Übersetzung eines Maigrets oder eines Non-Maigrets?

Die Maigrets gingen schon schneller, weil ich eben viele Figuren schon kannte. Außerdem gab uns der Verlag, da er ja ein ganzes Herr von Übersetzern gebraucht hat, eine Liste mit häufig wiederkehrenden und deshalb für alle einheitlich festgelegten Termini an die Hand, zum Beispiel für die Hierarchie innerhalb der Kriminalpolizei. Die musste man dann schon nicht mehr suchen oder neu erfinden. Auch Maigrets Tonfall ändert sich ja nicht nennenswert.

In den Non-Maigrets ist dagegen nicht nur jedes Mal ein neues Umfeld, in das man sich erst einarbeiten muss, sondern man muss sich auch in jeweils völlig neue Figuren hineindenken und hineinfühlen.

In »Der Teddybär« ist die Hauptfigur zum Beispiel ein mit seinem Leben rundum unzufriedener Arzt, der in seinem Selbstmitleid zerfließt. 

Das schlechte Ende ist vorprogrammiert, man weiß nur nicht wie ...

Ja. Er trägt sich zunehmend mit Suizid-Gedanken, doch am Ende Erschießt er doch nicht sich selbst, sondern den Geliebten seiner Geliebten.

Wie bereiten Sie sich auf eine Übersetzung vor?

Das kommt ganz auf das Buch an, auf die Zeit, in der es spielt, und natürlich auch auf das Milieu.

Manchmal studiere ich Fachtexte, in denen ich mich über ein berufliches Umfeld informiere, oder ich schmökere in Literatur aus der betreffenden Zeit.

Als ich voriges Jahr ein Buch übersetzt habe, in dem es unter anderem recht ausführlich um die Cholera-Epidemie 1849 in London ging, da habe ich mich auch eingehend mit den sanitären Verhältnissen jener Zeit vertraut gemacht. Kein besonders appetitliches Thema, aber man lernt ja gern etwas dazu. Was ich allerdings nie übersetzen würde, sind Autoren, die menschenverachtend schreiben.

Ist Ihnen schon mal vorgeschlagen worden, ein solches Buch zu übersetzen, und das Sie abgelehnt haben?

Hin und wieder muss ich auch ein Gutachten abgeben. Da hatte ich vor einiger Zeit mal ein französisches Buch in den Fingern, in dem – für mein Empfinden – bestialische Morde geschildert wurden. Ich kann nicht beurteilen, ob es dafür ein Publikum gibt. Wahrscheinlich gibt es das, aber ich habe dem Verlag sofort mitgeteilt, dass ich das auf keinen Fall übersetzen würde.

In der Hinsicht hat Simenon »Blümchen-Krimis« geschrieben.

Genau das ist es, was ich an ihm so mag. Er hat es nie nötig gehabt, nach plumpen oder blutrünstigen Effekten zu haschen. Ihn haben vor allem die Menschen interessiert, die er in ihrer Entwicklung beschreibt, und meistens nicht die Schönen, Reichen und Erfolgreichen, sondern Durchschnittsmenschen, und dann auch noch eher diejenigen, die an irgendetwas gescheitert oder zerbrochen sind.

Mit Simenon hatten Sie sicher keinen Kontakt …

Nein...

… aber ist es so, dass die Autoren, die Sie übersetzen, Ihre Arbeit auch würdigen?

Das weiß ich nicht, aber manche habe ich persönlich getroffen, mit anderen telefoniert oder korrespondiert, und das war – bis auf eine Ausnahme – immer sehr erfreulich und hilfreich. Ich weiß auch von anderen Kollegen, dass ihre Autoren gern mit ihnen zusammenarbeiten.

Bei einigen sind da echte Freundschaften entstanden.

Haben Sie auch Kontakt mit Lesern?

Über den eigenen Bekanntenkreis hinaus nur selten. Hin und wieder schickt mir der Verlag mal einen Leserbrief.

Das ist aber eher eine Ausnahme?

Bei mir ja. Kann sein, dass das bei anderen anders ist, aber das hängt vielleicht auch von der Art der Literatur ab, die man übersetzt.

Lässt es sich von der Übersetzungsarbeit gut leben?

Nein. Klares, lautes Nein. Das ist ein Trauerspiel mit Tradition. Wir haben noch nie üppig verdient, und je sorgfältiger wir arbeiten oder je anspruchsvoller die Texte sind, desto geringer ist unser Einkommen, weil diese Texte natürlich mehr Zeit in Anspruch nehmen und wir nach Seiten bezahlt werden. Dass nur wenige Literaturübersetzer ausschließlich von dieser Arbeit leben können, ist ein offenes Geheimnis. Im Juli 2002 wurde ein neues Urhebervertragsrecht verabschiedet, das diesem Skandal abhelfen sollte und von dem wir uns auch vorher einiges versprochen hatten. Das neue Gesetz schreibt nämlich vor, dass alle Urheber – nicht nur die Literaturübersetzer, sondern auch die Autoren und andere freiberufliche Künstler und Publizisten – für ihre Arbeit angemessen vergütet werden müssen. Es ist zwar seit Sommer 2002 in Kraft, aber bis jetzt, also rund zweieinhalb Jahre danach, noch immer nicht in die Praxis umgesetzt, denn es schreibt auch vor, dass Verwerter und Urheber beziehungsweise deren Verbände zur Definition der Angemessenheit gemeinsam Vergütungsregeln aushandeln müssen. In unserem Fall sind das also die Buchverleger mit den Literaturübersetzern.

Schon die massive und mitunter sogar groteske Gegenwehr der Verleger gegen dieses Urhebervertragsrecht ließ bereits vor seiner Verabschiedung Schlimmes befürchten, und so sind denn auch noch keine Vergütungsregeln zustande gekommen: Erst einmal hat sich der Börsenverein für nicht zuständig erklärt, dann eigens für diese Verhandlungen Verlegervereinigungen gegründet, was den Beginn der Verhandlungen nur noch weiter verzögerte. Mittlerweile sind sie gescheitert und die Verlegervereinigungen flugs wieder aufgelöst worden, nachdem sich sehr schnell gezeigt hatte, dass sie zu keinerlei Zugeständnissen bereit sind, die sie auch nur einen Euro mehr kosten könnten als der Status quo. Und genau das würde an der desolaten wirtschaftlichen und damit auch sozialen Lage der Übersetzer eben nichts ändern, weshalb wir es nicht akzeptieren können.

Ob es zu einem für diesen Fall vom Gesetzgeber ebenfalls vorgesehenen Schlichtungsverfahren kommen kann, ist im Moment noch ebenso ungewiss wie der Erfolg der Verhandlungen, die unser Verband mittlerweile mit einzelnen Verlags-Häusern aufgenommen hat. Möglicherweise müssen am Ende doch die Gerichte in unzähligen und zeitraubenden Einzelverfahren klären, was als Vergütung für literarisches Übersetzen angemessen ist.

Ich kriege bei alledem nur noch die blanke Wut.