Zwischen Lektorat und Übersetzung


Die Übersetzenden sind in den letzten Jahren sichtbarer geworden. Das liegt weniger daran, dass die Verlage das unbedingt wollten – es war ein zäher Kampf, der von den Übersetzer:innen noch nicht beendet ist. Dafür, dass ihre Arbeit aber für die Nicht-Fremdsprachen-Kundigen elementar ist, werden sie aber äußerst selten auf das Podest gehoben.

Viel häufiger kommt es vor, dass sich über nicht gelungene Übersetzungen echauffiert wird. Ist doch unfair. Also habe ich mich mal kundig gemacht und an Neugierde mangelt es mir nicht.

Wer als Leserin oder Leser zu einem Titel der aktuellen Kampa-Simenon-Ausgaben greift, hat kaum eine Chance, an der Arbeit der Lektorin und Übersetzerin Mirjam Madlung vorbeizukommen. Nach aktuellem Stand sind es zwanzig Übertragungen, die Frau Madlung betreut hat. Dabei handelte es sich um Überarbeitungen bestehender Übersetzungen.

Die »nichtlügende Liste auf der Webseite« zeigt, dass Sie mehr Maigrets als Roman durs von Simenon übersetzt haben. Das liegt sicher in erster Linie an dem Editionsplan von Kampa und Hoffmann und Campe – aber entspricht das auch Ihrer Vorliebe: lieber Maigrets?

Stimmt, die Maigrets haben überwogen. Aber nicht aufgrund meiner Vorliebe. Ich hätte gern mehr von den romans durs in der Mache gehabt, aber – wie Sie richtig vermuten – darauf hatte ich keinen Einfluss, das waren Verlagsentscheidungen.
Ich muss hier grundsätzlich etwas anmerken: Ich bin von Kampa nicht als Übersetzerin beschäftigt worden – es ging um „grundlegende Überarbeitungen“ bestehender Übersetzungen – also eine Art Zwischending zwischen Lektorat und Übersetzung.

Lassen sich die Maigrets in Ihren Augen leichter übersetzen? Oder ist es komplizierter, da bestimmte Formalien, eine bestimmte Sprache eingehalten werden muss?

Formalien gab es eigentlich gar nicht so viele – und die Sprache richtet sich natürlich nach dem Original und nach dem heutigen Sprachgefühl. Die Maigrets sind eher wiederkehrend und wiedererkennbar in Stil und Ton (eben das Prinzip der Serie) – die romans durs vielfältiger, freier und dadurch für mich „interessanter“ in der Arbeit.

Gab es bestimmte Formalien bei der Übersetzung der Maigrets. Begrifflichkeiten, die vorgegeben wurden, eine Art Style Guide?

Ja, aber eher im Kleinen. Dass wir die französische Anrede benutzen. Schiffsnamen, Restaurants usw. nicht kursiv. Solche Dinge. Möglichst auf die unendlich vielen »…« verzichten, so sie nicht (z.B. in Telefongesprächen) wichtig sind und etwas aussagen.

Bevor Sie mit der eigentlichen Übersetzungsarbeit begannen: Wie haben Sie sich auf die Übersetzung der Romane vorbereitet?

Wie gesagt: Es war eine (grundlegende, also radikale) Überarbeitung, keine Neuübersetzung. Vorbereitet habe ich mich mittels Hineinlesens in die diversen Fassungen (KiWi, Diogenes, Original) und dann mich hineingestürzt. 

Bei der Überarbeitung einer bestehenden Übersetzung stellt sich die Frage, welche Stellen überarbeitet werden müssen und welche übernommen werden können? Anhand welcher Kriterien haben Sie das entschieden?

Ich habe mich auf mich selbst und mein Sprach- bzw. Zeitgefühl verlassen. Die Texte sollten entstaubt werden, leicht modernisiert, aber natürlich sollten sie nicht klingen wie heute geschrieben, sie mussten schon in ihrer Zeit bleiben. Es ging um ein möglichst unauffälliges Entbinden von (aus heutiger Sicht: zu) starker Zeitgebundenheit.

Ich hatte in Vorbereitung auf das Interview alte Ausgaben von Kiepenheuer & Witsch angeschaut und sie mit Ihren Übertragungen verglichen. Dabei beschlich mich das Gefühl, dass kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Ist das immer so oder hatte ich mir nur unglückliche Beispiele herausgepickt?

Interessante Frage. Spricht man von einem »beschleichenden« Gefühl, handelt es meistens um etwas Unangenehmes, oder?  Und »Kein Stein auf dem anderen« klingt nach Zerstörung bzw. großer Un- oder Neuordnung. Was meinen Sie mit »unglückliche Beispiele«?
Aber es ist richtig: Manche der Übersetzungen habe ich so stark bearbeitet, dass nicht viele der alten Steine übriggeblieben sind, Rudimentäres.

Nun, »Überarbeitung« klingt nach Ausbesserung, nach ein paar Korrekturen. Das was hier jedoch als Überarbeitung daherkam, war aber viel umfassender. Das ist also gar nicht negativ gemeint, sondern positiv und überrascht. Wenn das so ist, wie gefühlt: Wo liegt der Vorteil einer Überarbeitung?

Übersetzungen altern, Originale nicht unbedingt. Einen Text alle 50, 60 Jahre neu zu sehen (lesen), kann ihn näherbringen. 

Was macht den Unterschied zwischen einer Überarbeitung und einer Neuübersetzung aus – gerade in diesem Fall? Ist es leichter, aufwändiger? 

Aus meiner Sicht: Beim Überarbeiten gibt es Steine, über die ich gehen, an denen ich mich orientieren und von denen ich mich abstoßen kann. Bei einer Neuübersetzung lege ich die Steine selbst. Es kann beides sein – leichter, aber auch aufwendiger.

Wie kann man sich das vorstellen? 

Ich habe einfach jeden Satz abgeklopft. Mir das Original angesehen und mich gefragt: Würde ich das auch so formulieren, wie es hier in der KiWi-Fassung steht? Klingt das (für mein Gehör und mit meinen Mitteln) so gut und richtig oder nicht?

Hatten Sie mal das Gefühl: Abreißen, neuübersetzen?

Ja, hatte ich. Manchmal fühlte ich mich eingeklemmt von der Vorgabe.

Viele der alten Übersetzungen von KiWi haben bei den Simenon-Freunden nicht den besten Ruf. Das mag daran liegen, dass diese heute altbacken wirken. Als es hieß, dass die Basis der Kampa-Maigret-Edition die Kiwi-Übersetzungen wären, war das wie ein kleiner Schock. Bei der Überarbeitung, hatten Sie da manchmal das Gefühl: »Ach Gott, was haben die denn damals übersetzt und vor allem wie?«

Interessant, dass die KiWi-Simenons keinen so guten Ruf haben unter den Liebhabern. Aber verständlich durchaus. Sie sind eben aus einer anderen Zeit. Andere Sprachgewohnheiten, andere Sichtweisen und Vorstellungen vom Übersetzen.

Die Übersetzung von so bejahrten Texten, wie denen von Simenon, existieren doch sicher eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel sind da Verhaltensweisen beschrieben, die heute nicht mehr üblich sind, die Geschlechterrollen waren anders verteilt und in den Geschichten existieren Dinge, die es nicht mehr gibt. Wie gehen Sie als Übersetzerin damit um und wie sehr spielt der Zeitgeist in die Arbeit?

Ja, manches stößt natürlich übel auf – zum Beispiel der Blick auf (und der Umgang mit) Frauen (etwa die ewig dienende Mme Maigret). Es wird wahnsinnig viel geraucht, wahnsinnig viel getrunken. Aber das ist ja gerade das Interessante, es ging nicht darum, etwas zu verändern und inhaltlich den heutigen Vorstellungen anzupassen. 

Haben Sie angefangen zu recherchieren, wenn Sie über historische Ereignisse oder Personen in den Geschichten stolpern, die nicht Teil des Allgemeinwissens sind? 

Ja klar. Die Einteilung der Départements in Frankreich hat sich zum Beispiel im Lauf der Jahre geändert. Und Berufsbezeichnungen, die es heute nicht mehr gibt … und so weiter.

Wie sieht das mit örtlichen Gegebenheiten aus? Gehen Sie dem bei Übersetzungen nach und suchen Ort auf der Landkarte?

Ja. Oder in Stadtplänen. Ich bin auf ein Buch gestoßen: Michel Carly: Maigret. Traversées de Paris. Les 120 lieux parisiens du commissaire (2001).
Das war sowohl hilfreich als auch interessant und amüsant.

Haben Sie sich die Gegebenheiten vor Ort – sprich Paris – mal angeschaut? Oder wäre das für Sie Schnickschnack – nur der Text zählt?

Nein, Schnickschnack wäre das nicht – hat sich aber nicht ergeben in der Zeit (Corona).

Nun haben Sie nur einen Bruchteil der Maigrets übersetzen »dürfen« – werden Sie die anderen Romane nun in den Übertragungen der Kollegen lesen? Oder lesen Sie die Geschichten sowieso nur im Original?

Nein, ich lese Geschichten nicht nur im Original. Wenn mir von Kolleg*innen bearbeitete/übersetzte Maigrets unterkommen, schau ich bestimmt rein aus Neugier und Interesse. Aber nicht systematisch. Ist nicht zuletzt eine Zeitfrage. 

Haben Sie sich während er Übersetzung der Maigret mit anderen Maigret-Übersetzern ausgetauscht?

Nein, da gab es keinen Kontakt.

Hatten Sie schon vor diesen Übersetzungsaufträgen Simenon gelesen und sich gewünscht, ihn zu übersetzen?

Ehrlich gesagt nicht. Ich hatte ab und zu mal einen gelesen, aber ewig her. Simenon und besonders Maigret ist mir erst während der Arbeit ans Herz gewachsen.

Erhalten Sie Feedback zu Ihrer Arbeit von Lesern oder haben Sie Kontakt zu den Lesern Ihrer Übersetzungen?

Nee.