Ganz schön warm angezogen ...

Sie haben es wieder gemacht


Zwei Männer gehen über eine Brücke. Der eine hat eine Pfeife, ist gekleidet mit Mantel und Hut. Was lustig ist, da die zugeschnittenen Bilder auf frühlingshafte oder spätsommerliche, angenehme Temperaturen hindeuten. Da sie den Quai des Orfèvres entlang spazieren, wird schnell klar, um wen es sich handeln soll. Und wer ist der Urheber? Richtig: arte!

Zwei Männer bei arte – Bildnachweis: arte.tv

Zwei Männer bei arte

Bildnachweis: arte.tv

Wir haben es wieder mit einem Beitrag der Redaktion von »Stadt Land Kunst« zu tun, womit sich mein Verdacht bestärkt wird, dass es einen heimlichen Liebhaber innerhalb dieser Truppe gibt. Oder vielleicht steht auch in den Redaktionsstatuten, dass alle zwei Jahre etwas über Simenon gemacht werden muss. Schon einfach, damit die Belgier nicht zu kurz kommen. Der Beitrag wurde von Theó Sorroche realisiert.

Nachdem ich auf meine Freunde aus der arte-Redaktion ein wenig herumgehackt habe, was ich nicht tun sollte, kommen wir zu meinem Versäumnis: Die Sendung ist vom 18. Oktober 2024 und hat den Untertitel »Mabeye Demes Senegal / Island / Paris«. Wer sich den Beitrag noch anschauen möchte, der muss sich beeilen – am 10. Januar 2026 wird sie auf den offiziellen arte-Seiten verschwinden. Habe jedoch gesehen, dass es eine Anti-Depublizieren-Guerilla gibt, die die Sendung schon auf YouTube geladen hat. Mit dem oben erwähnten Untertitel werden Interessierte schnell fündig werden.

Von den Schauspielern, die hier erfundene Maigret-Szenen nachspielen, ist kaum ein Gesicht zu sehen. Geflissentlich wird vermieden, einen neuen Maigret in die Filmkunstwelt einzuführen. Hin und wieder werden die Szenen in Schwarz-weiß mit einem Weichzeichner dargestellt.

Aber worum gehts?

Der Aufhänger sind die Vorbilder für Kommissar Maigret. Das ist in erster Linie Marcel Guillaume. Der damalige Leiter der Kriminalpolizei hatte Maigret eingeladen, … hier würde rekapituliert werden, was unlängst bei der Besprechung von »Le 36, Quai des Orfèvres« schon erwähnt angeführt wurde. Viele Namen, die einem aus dem anderen Beitrag (oder Buch, wenn man es gelesen hat) vertraut geworden sind, kommen auch in diesem Feature vor.

Der Fokus liegt aber eindeutig auf Guillaume. Die Zuschauer:innen erfahren eine ganze Reihe interessanter Tatsachen über den Kommissar und auch, wie Simenon das in das Wirken seiner Figur Maigret hat einfließen lassen.

Der nebenstehende Zeitungsartikel ist ebenfalls in der Sendung zu sehen. Er stammt aus dem »Excelsior« und behandelt den Ruhestand des Kommissars. Den soll er übrigens gar nicht so freiwillig angetreten haben, er hätte gern noch über die 65 Jahre hinaus weitergemacht. Da ist er himmelweit von seinem literarischen Pendant entfernt, der lieber heute als morgen in Ruhestand gegangen wäre und zum Ende hin auch keine Lust mehr hatte. Auf alle Fälle wäre Maigret nicht auf die Idee gekommen, eine Privatdetektei zu gründen.

Hier eine sehr freie Übersetzung des Artikels:

Wie Excelsior gestern Morgen ankündigte, wird der Polizeioberkommissar Guillaume, Leiter der Sonderbrigade bei der Kriminalpolizeidirektion, in den Ruhestand versetzt. Er wird an der Spitze dieses wichtigen Dienstes von Herrn Roches ersetzt, Kommissar für Gerichtsdelegationen, der über lange Jahre der direkteste Mitarbeiter von Herrn Priollet war.
Seit 1900, dem Datum seines Eintritts in die Polizei als Inspektor beim Kommissariat der Chapelle, gibt es sozusagen keine der großen Polizeiangelegenheiten, die sich in Paris abgespielt haben, an denen der neue Ruheständler nicht teilgenommen hätte. Die berühmteste ist die Angelegenheit der »tragischen Banditen«: Bonnot, Garnier, Callemin, Carouy, Raymond-la-Science, Monier und Semenoff ...
Aber es würde die Tätigkeit und den Wert des Kommissars Guillaume verkennen, seine entscheidenden Eingriffe in der Angelegenheit Mouvault, dem Mörder des Typographen Brunet, zu ignorieren, in der er die Geständnisse eines Komplizen erlangte; in der Angelegenheit Guy Davin, dem Mörder des Amerikaners Richard Wall; in der Angelegenheit Georges Gauchet, der den Juwelier Dermenhoffer getötet hatte, um ihn zu berauben; in der Angelegenheit der Banditen der Banque Baruch; in der Angelegenheit Mestorino; beim Überfall auf den Zug 5; in der Angelegenheit Prince usw.
Zur Zeit der Gauchet-Affäre gab es, wie er uns erzählt, zwei weitere Verbrechen in Paris in derselben Woche: das erste in der Rue de Ponthieu, das zweite in Maisons-Alfort, wo eine Lumpenhändlerin niedergeschlagen worden war. Binnen acht Tagen waren die drei Mörder verhaftet.
»Die Verhaftung der Banditen des Zuges 5 war ziemlich ereignisreich. Curnier, einer meiner Inspektoren, wurde getötet, als er sich auf einen von ihnen stürzen wollte, in der Avenue de Wagram.«
»Eine andere Verhaftung, die uns zu schaffen machte, war die der sechs Gangster, die 180.000 Francs aus einer Bank in der Rue de Rennes gestohlen hatten. Wir konnten sie erst sechs Monate später wirklich überführen, indem wir die Ermittlung völlig neu begannen, weil die Zeugen sie zunächst nicht wiedererkannt hatten.«
»Welches sind die Kriminalfälle, die Ihnen die eindrucksvollsten Erinnerungen hinterlassen haben?«
»Die, bei denen ich Kameraden neben mir fallen sah: Jouin, in der Bonnot-Affäre; Curnier, in der Affäre des Zuges 5, von der ich Ihnen eben erzählte; Giraud, auf der Straße von einem Autodieb erschossen; Allés, Opfer eines Spaniers in der Rue de Crimée.«
»Wann hatten Sie das Gefühl, Ihr Leben am meisten zu riskieren?«
»Zur Zeit der Bonnot-Affäre, bei der Verhaftung eines Komplizen, Deboé, der vor dem Schwurgericht zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Inspektor Naessens und ich, wir erblicken ihn am Place Clichy. Naessens stürzt sich als erster auf ihn. Die beiden Männer rollen zu Boden. Ich befreie meinen Kollegen und wende mich Deboé zu, Revolver in der Hand: ›Hände hoch, oder ich schieße!‹ Ich überwältige ihn, durchsuche ihn. Wir finden in seinen Taschen drei Revolver und sieben Lademagazine, ein Beweis dafür, dass er seine Haut teuer verkaufen wollte ...«
»Und in den anderen Fällen?«
»Ich habe mir ein paar Zähne ruiniert, aber das ist nichts. Ich habe zurückgeschlagen, es hat sich ›gelohnt‹ ...«

Viele Namen, die in dem Artikel erwähnt worden, sind uns hier in Beiträgen aus dem SimBlog schon untergekommen, weil sie in Maigrets oder in den Romans durs eine Rolle spielten. Einige sind kriminalgeschichtlich relevant und schafften es deshalb in den Blog.

Ebenfalls interessant: Der historische Zeitungsartikel nennt den Vornamen des Kommissars nicht und das tut Simenon in den Maigrets übrigens ebenso wenig. 

Einer in der Ecke

»Maigret lebt in Gestalt vieler französischer Schauspieler weiter ...«
Credits: arte.tv

Ist das noch Patriotismus oder schon Nationalismus, wenn sämtliche Maigrets anderer Nationen en passant vergessen werden? Zumindest unter cineastischen und Fernseh-Gesichtspunkten ist das nicht in Ordnung.

Mir gefällt jedoch sehr, wie Gerard Depardieu in die oberste rechte Ecke gedrängt wird und dann nur mit dem bekannten Schatten des Filmplakates präsent ist. Das sagt viel mehr aus als so manches Wort.

Sehenswerter Beitrag, der den Zuschauer:innen mehr Kontext im Verständnis des Kommissars gibt.