Symbolbild für ein Schlafzimmer

Sex vor dem Kennenlernen


Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde ich hier auf Klickfang gehen. Mir schwebten andere Überschriften vor, aber die waren zu technisch und ich war mir nicht sicher, ob ich mit nicht vergaloppiere und Fremdwörter falsch anwende. Nun denn: Émile hatte ein Verhältnis mit Ada, mit der er glücklich war. Nur zeitlich passte es schlecht.

Damit ist nicht das Organisationstalent von Émile gemeint. Der hatte seinen ersten Sex mit Ada, als Berthe nicht im Hause war. Sehr praktisch also, wenn es seiner Beschreibung nach auch ein Zufall war. Später zog er sich zur Siesta-Zeit in einen Bungalow in der Nähe des Hauptgebäudes zurück und Ada kam dazu. Das war ein angenehmes Arrangement bis zu dem Tag, an dem die beiden von der Hausherrin erwischt wurden. Das Szenario, das nur nebenbei, ist vielleicht alltäglich – mich erinnerte die gesamte Komposition an die Episode in Simenons Leben, bei der Tigy in das Tête-à-Tête von Boule und ihrem Ehemann platzte. Die Konsequenzen, die Tigy damals forderte, waren die gleichen wie Berthe. Simenon war genauso wenig nachgiebig, wie es Émile in der Situation war. Der große Unterschied ist, dass es nicht eskalierte und mörderisch endete.

Dann war er eines Nachmittags, als Berthe nicht da war, ohne jeden Hintergedanken in die Mansarde hinaufgestiegen, um Ada zu suchen, die auf sein Rufen nicht geantwortet hatte. Als er wieder heruntergekommen war, wusste er nicht, ob er sich freuen oder entsetzt sein sollte über das, was eben geschehen war.

Das »das«, was geschehen war, ist die verschämte Bezeichnung für Sex. Das legt sich und in der Geschichte wird es später noch ein bisschen expliziter.

Wahrgenommen hatte Émile Ada schon früh. Als sie mit ihren Eltern in die Gegend kam, war sie etwa zwölf  gewesen. Vier Jahre später kam sie in die Bastide und als Objekt seiner Begierde hatte sie Émile anfangs nicht in Erwägung gezogen. Wenn er nicht mit seiner Frau schlafen wollte (oder sie mit ihm), dann fuhr er nach Cannes und kaufte sich das als Dienstleistung.

An dem Sonntag, der in dem Roman beschrieben wird, war Ada achtzehn Jahre alt.

Ada arbeitete seit fast zwei Jahren in der Bastide und musste also achtzehn Jahre alt sein.

Also passierte »das« irgendwann zwischen dem sechszehnten und achtzehnten Geburtstag. Ada war nicht volljährig gewesen. Anderen Männern käme die Frage in den Sinn, ob das rechtens gewesen war – auch wenn der Sex einvernehmlich gewesen war. Émile zeigt eine moralische Flexibilität, die ihn vor solchen Gewissensbissen bewahrt. Andere Männer, so seine Annahme, hätten das gleiche in seiner Situation getan.

Das Problem entsteht drei Absätze nach der Offenbarung des Mansarden-Verkehrs:

Das lag nun schon drei Jahre zurück.

Da wäre Ada, wenn ich richtig rechne, aber fünfzehn gewesen und damit noch gar nicht angestellt gewesen. Es hätte keinen Grund gegeben, weshalb sie in der Mansarde ein Nickerchen gemacht hätte.

Aber von da an rechnet Simenon im Auftrag von Émile wieder richtig, denn das überraschende Ereignis, an dem er sich entschloss, Berthe um die Ecke zu bringen, fällt mit der Entdeckung der Beziehung zu Ada zusammen:

Aber das mit Berthe hatte erst zwei Jahre später begonnen, am 15. Juni, zur Zeit der Mittagsruhe.

Diese Angaben stammen aus dem ersten Kapitel des Buches. Im vierten Kapitel hat Simenon noch einmal in die Notizen geschaut und korrigiert sich unbewusst, wenn er von dem ersten Verkehr mit Ada schreibt:

Zwei Jahre zuvor um die gleiche Zeit hatte die Sache mit Ada begonnen.

Die Aussage, dass es drei Jahre her wäre, scheint mit ein Lapsus zu sein. Mit der Bemerkung im vierten Kapitel wird das gerade gerückt und so stimmen dann die zeitlichen Angaben, egal wie grob sie sein mögen. Meiner Meinung nach fällt es deshalb ins Gewicht, weil die Zeiten für die Geschichte nicht unwichtig sind. Daran kann man gut ersehen, wie sich das Drama entwickelte – zumal mit dem 15. Juni einen Fixpunkt von Simenon bekommen hat.