Bildnachweis: Unterschrift - - Bearbeitung: maigret.de
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In den ungemütlichen, dunklen Herbst- und Winter-Monaten bekommen wir hin und wieder Besuch. Zwei, drei Rehe kommen dann vorbei, machen es sich im hinteren Teil des Gartens bequem, knuspern an heruntergefallenem Obst und Tannenzweigen, bevor sie weiterziehen. Keine Ahnung warum das Reh im Juni plötzlich bei uns im Garten stand und am vertrockneten Rasen knabberte, wo es nebenan eine saftige Weide gibt.
Ich bewaffnete mich flugs mit dem neuen Camcorder, um die Gelegenheit für ein paar Probeaufnahmen zu nutzen. Dabei unterlief mir wohl ein Denkfehler – die Rehe wissen unseren Garten durchaus zu schätzen. Die Bewohner mögen sie weniger und eine private Beziehung zog dieses Reh nicht in Erwägung und verschwand, ohne dass ich einen Beweis für das Geschriebene in den Händen halte.
Thema Bewaffnung: Simenon erzählte mir (und dem Rest der Welt) in diesem Kapitel, dass er das Leben in der Vendée wirklich zu schätzen wusste. Die Bewohner waren nicht nur nett und freundlich, sie waren auch sehr erfinderisch. Mit dem Beginn der Besatzung hatten die Deutschen alle Schusswaffen konfisziert und so hatten die Franzosen keine Waffen mehr, um jagen zu gehen. Ein großes Manko, denn Simenon schreibt, die Franzosen wären dafür bekannt, dass sie als Jäger geboren wären. Das deutsche Google ist der Meinung, dass die geborenen Jäger eher Setter, Falken und Libellen wären, aber sei’s drum. Der Wunsch, gut zu essen, macht den Jagdtrieb der Franzosen recht plausibel. So waren die Nachbarn von Simenon damit beschäftigt, sich andere Jagdmethoden auszudenken, unter anderem um Rebhühner zu jagen.
Tauschhandel
Simenons Mutter Henriette musste jeden Sou umdrehen, aber sie legte großen Wert darauf, dass sich die Füße ihrer Kinde gut entwickelten. Daher ließ sie die Schuhe maßfertigen. Ihr Sohn hatte wohl ähnliche Sorgen, Marc bekam von einem Pariser Schuhmacher Schuhe maßgeschneidert. Die Bezahlung erfolgte diesmal nicht in Büchern, sondern in Butter. Ein reger Tauschhandel lief, auch die Lederjacke für Marc wurde mit Butter bezahlt.
Sehr schön fand ich den Bericht, dass es einen Gemeindebackofen gab. Die Bevölkerung konnte einmal in der Woche Brot backen und auch Simenon schloß sich diesem Brauch an. buk einmal in der Woche einen 3-Kilo-Laib Weizenbrot. Auch das habe ich der Suchmaschine meines Vertrauens vorgeworfen und obwohl der Begriff eines »Gemeindebackofens« der Wikipedia nicht bekannt ist, so lässt sich aus dem Gefundenen aber schließen, dass dies auch in Deutschland (zumindest in einigen Gegenden) so gehandhabt wurde. Wenn man es recht bedenkt, natürlich auch verständlich. Nicht jeder hatte früher einen Bäcker und von einem Bäcker in jedem Ort konnte man auch träumen.
Ein kleiner Schwenk
Zwischen den ganzen Berichten über getauschtes Fleisch, verschickte Wurst, Eier und Butter findet dann auch Maigret noch Erwähnung. Simenon berichtet, dass ein wichtigen Mann in der Gegend, der landwirtschaftlichen Handel betrieb und der, wie der Vater von Simenon an Angina pectoris litt. Er hatte dafür eine Tablette verschrieben bekommen – Trinitrin – und hoffte nun auf ein langes Leben. Dabei handelt es sich um ein Präparat mit Nitroglycerin, welches seine helfende Wirkung sehr bald bekannt werden sollte. Dieser Mann, der sich auch brennend für die Auberginen von Simenon interessierte, die in der Gegend gar nicht wachsen sollten, hatte einen Verwalter:
Sein Verwalter ähnelte dem von Paray-le-Frésil, den ich zum Teil als Vorlage für die Romanfigur Maigret benutzte.
Es ist nur ein kleiner Satz, dann sind wir schon wieder bei Gemüse und bei Spargel, den Simenon auch anbaute und den sein Sohn sehr zu schätzen wusste. Sehr sympathisch.
Erlösung
Der Getreidehändler gehörte bald zum Freundeskreis von Simenon. Dieser hatte eine Tochter und die Tochter hatte einen Ehemann, der Neurologe war. Diesen sprach Simenon in Bezug auf sein Leiden an. Man kann das wirklich als glückliche Fügung betrachten, denn der Mann hörte sich die Geschichte kurz an und bot an, eine Verbindung zu Pariser Ärzten herzustellen, die ihn untersuchen könnte. Simenon muss daraufhin einwenden, dass er nicht frei reisen darf, da er Ausländer in einem besetzten Gebiet ist. Aber der Arzt meint, er würde das organisieren und Simenon solle es riskieren.
So machen die beiden sich auf den Weg nach Paris zu einer Kapazität auf diesem Weg, der Simenon professionell untersuchen. Die Lieblingshotels von Simenon wurden von den Deutschen requiriert und so muss Simenon im Hotel »Bristol« in der Rue du Faubourg-Saint-Honoré nächtigen. Dort trifft er alte Freunde – Marcel Pagnol und Jean Cocteau – die außer sich vor Freude waren, als sie ihn trafen. Gewiss war das auch darauf zurückzuführen, das Pagnol der Meinung war, dass Simenon schon tot wäre oder in Amerika. Simenon schreibt das in der Reihenfolge, die zumindest ein wenig komisch ist. Es ist ihnen kein Trost zu erfahren, dass sich Simenon in Paris eingefunden hat, weil er sich von einem Arzt untersuchen lassen möchte, da ihm gesagt worden ist, dass er nicht mehr lange zu leben hätte.
Um es kurz zu machen: Der Arzt untersucht Simenon ausführlich und gibt ihm danach den Rat, er möge die Sau rauslassen. Das ist in diesem Zusammenhang nicht wörtlich gemeint.
Simenon ist kerngesund.