Norddeutscher Lloyd (um 1930)

Nicht da und trotzdem da


Würden wir Bremen in Bezug auf Maigret nur mit dem Leichenschauhaus und dem Hauptbahnhof verbinden – es wäre ein Jammer. Deshalb bin zumindest ich dankbar, dass Simenon den Leser:innen einen weiteren Brocken hingeworfen hat. Bei der Fahrt Maigrets durch Bremen, die er in van Dammes Auto absolvierte, sah er das Geschäftsgebäude einer großen Firma: Norddeutscher Lloyd.

Der Geschäftsmann, der aus Lüttich stammte, meinte, dass auch diese Firma zu seinen Kunden zählen würde. Darauf konnte van Damme in der Tat stolz sein, denn bei dem Unternehmen handelte es sich um eine wahre Größe im Bremer Wirtschaftsleben.

Die Firma wurde 1857 gegründet und schon bald wurde der Firmensitz in die Papenstraße gelegt. Anfangs war das Unternehmen in der Handelsschifffahrt tätig, bevor es seine Fühler auch in Richtung Passagiertransport ausstreckte. Dieses »Ausstrecken« fand noch im gleichen Jahr statt, denn zu dem Zeitpunkt wurde eine Passagier-Linie nach England eingerichtet. Ein Jahr später eröffnete der Norddeutsche Lloyd eine Linie nach New York, als Ziele in den USA wurden zu einem späteren Zeitpunkt Baltimore und New Orleans hinzugenommen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtete sich Deutschland internationaler aus. Handelsbeziehungen nach Ostasien und Australien wurden angestrebt. Was heute mit einem Fingerschnippen erledigt wird – eine E-Mail ist in Sekunden beim Empfänger –, wurde in der Zeit in Wochen und Monaten gerechnet. Um es verlässlicher zu machen, beschloss die Regierung sogenannte Reichspostdampferlinien einzurichten. Nach einigem Gehudel gingen die Gesetze durch den Reichstag und es wurden zwei Linien ausgeschrieben. Die Bremer Reederei bewarb sich auf diese Linien und gewann die Aufträge – das Schöne war, dass man nun Strecken im Programm hatten, die vom deutschen Staat subventioniert wurden. Zehn Jahre zuvor war eine Linie nach Westindien, die vom Norddeutschen Lloyd betrieben wurde, eingestellt worden, da sie nicht lukrativ genug gewesen war. Auf den Strecken nach Amerika herrschte kräftige Konkurrenz. Wie sehr man sich in Bremen über den Zuschlag freute, lässt sich leicht denken.

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Im Jahr 1890 war die Reederei die zweitgrößte der Welt und in Deutschland unangefochten Marktführer. Wie bei der Fracht entwickelte sich auch der Passagierverkehr sehr erfreulich. Bei Betrachtung der Zahlen fällt auf, dass es ein Ungleichgewicht zwischen denen gab, die nach Deutschland wollten und von denen, die aus Deutschland wegwollten. Das galt nicht nur für die Linien nach Nordamerika, ein ähnliches Bild gab es auch bei den Südamerika-Linien. Die Deutschen hielt es nicht im Land. (Es waren so viele, dass wir ihnen ein Museum gebaut haben: das Bremer Übersee-Museum.)

In der Werbung sieht man einen Dampfer mit vier Schornsteinen. Dieser gehörte zu den sogenannten Schnelldampfern – der Betrieb dieser wurde von der Reederei-Führung forciert und sollte erhebliches Prestige einbringen, wie zum Beispiel dem Gewinn des »Blauen Bandes«. Mit dem wurden Geschwindigkeitsrekorde bei der Atlantikquerung belohnt. Für Wirtschaftsunternehmen ist Marketing kein Selbstzweck, der Einsatz der Schiffe verschaffte der Lloyd Wettbewerbsvorteile: Zeit ist Geld ist die Devise, die auch hier gilt. 

Zum 50. Geburtstag beschenkte sich die Firma selbst. Das in den Jahren gewachsene Konglomerat an Gebäuden wurde abgerissen und durch einen einzigen Bau ersetzt. Von 1907 bis 1910 wurde gebaut. Das Ergebnis war das größte Gebäude in Bremen zu dieser Zeit. Besonders der Turm sticht hervor, der Volksmund nannte ihn »Flasche«. Zu dem Zeitpunkt hatte das Unternehmen 22.000 Angestellte. Im Besitz blieb das Lloyd-Gebäude bis 1942 – es wurde an die Deutsche Schiff- und Maschinenbau Aktiengesellschaft (Deschimag) verkauft, eine von der Norddeutschen Lloyd protegierte Werften-Gesellschaft, die sehr auf Bremen konzentriert war.

Der Komplex wurde im Krieg schwer beschädigt. Nach dem Krieg zog die Norddeutsche Lloyd erst in einen Teil des ehemaligen Hauptsitzes, aber verließ dieses auch bald wieder. Der Turm und die Giebel wurden 1953 abgetragen und der verbliebene Rest instand gesetzt. Genutzt wurde es fortan vom Bremer Bausenator und damit verbundenen Behörden. 1968 wurde der Gebäudekomplex an die Horten AG verkauft, welche das, was noch übrig war, abreißen ließ und ein Warenhaus darauf errichtete.

Zurück zur Firmengeschichte: Bis zum Ersten Weltkrieg lief es wirklich nicht schlecht für die Reederei. Aber der Beginn des Krieges änderte für das Unternehmen alles: Zwar gelang es nach dem Ausbruch des Krieges den meisten Schiffen, sich in heimische oder neutrale Häfen zu retten, aber der für die Reederei wichtige internationale Handel war sehr eingeschränkt. Eine Tochter-Gesellschaft der Reederei betrieb Handels-U-Boote, mit denen ein Handel mit Amerika in kleinerem Umfang praktiziert werden sollte – durch den Kriegseintritt der USA wurde dieses Kapitel auch beendet. Nach der Niederlage hatte die Gesellschaft ihre Schiffe an die siegreichen Staaten abzugeben und Teile der Flotte wurden als Reparation beschlagnahmt. Die Firma musste neu beginnen.

Nach dem Krieg wurde mit viel Enthusiasmus mit Seebäderdiensten gestartet. Auch investierte die Norddeutsche Lloyd in Luftverkehrsgesellschaften – über ein paar Umwege entstand aus Teilen dieser Gesellschaft die Lufthansa. Neue Schiffe wurden gebaut, darunter zwölf neue Passagierschiffe. Zehn Jahre später war man wieder vorn mit dabei, wenn es darum ging, mit den eigenen Dampfern Geschwindigkeitsrekorde bei der Atlantiküberquerung zu brechen.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 sollte auch die deutschen Reedereien schwer beuteln. Die HAPAG (aus Hamburg – der ewige Wettbewerber) und die Lloyd schlossen die ersten Verträge, um zusammenzuarbeiten. Ein Aufschwung war aber nicht abzusehen, eine erste Erholung gab es erst Mitte der 30er-Jahre – bis dahin hatten viele Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren und die übrigen mussten Gehaltskürzungen hinnehmen. Der Staat hatte mittlerweile das Ruder übernommen und besaß die meisten Aktien des Unternehmens.

Bei der Reprivatisierung in den Jahren 1941/42 wurde Philipp Reemtsma Hauptaktionär. Das Geschäft blieb schwierig und nach dem Krieg wiederholte sich das, was nach dem Ersten Weltkrieg passiert war: Schiffe waren versenkt oder beschlagnahmt worden. 1948 wurde das Reisebüro Hapag-Lloyd gegründet und die erste Filiale wurde eröffnet. Anfangs wurde sich auf Seebad-Tourismus und die verbundene Schifffahrt konzentriert. Ab 1949 war es deutschen Reedern auch wieder erlaubt, Frachtschiffe zu betreiben und bauen zu lassen. Die Passagierschifffahrt, vor den Kriegen ein Renner, verlor an Bedeutung – der Luftverkehr war ein zu starker Wettbewerber –, der Containerverkehr jedoch gewann erheblich.

Den Norddeutsche Lloyd als Reederei gibt es nicht mehr. In Bremen finden sich natürlich Spuren, zum Beispiel in Form der Lloyd-Passagen. Indirekt ist sie immer noch präsent, denn 1970 fusionierte das Unternehmen mit der Hamburger HAPAG und wurde zur Hapag-Lloyd AG. Damit wurde ein anderes Kapitel aufgeschlagen. 

Lloyd ist ein Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte. Genau genommen wurde sie dreimal gegründet und musste jedesmal wieder bei null anfangen.

Und: Maigret ist am Gebäude vorbeigefahren und hat es wahrgenommen. Schaut man sich den Bau auf dem Bild an – er konnte es nicht übersehen.