Man tötet nicht die kleinen Leute


Beim Anhören des dritten Falls der »Raffinierte Fälle«-CD betrachtete ich das Cover der CD genauer. Die Übersetzung, so war dort zu lesen, erfolgte durch Hansjürgen Wille und Barbara Klau. Als Copyright wurde 1975 angeben. Das ist an sich stimmig. Aus der Zeit stammen die Maigret-Sammelbände von Heyne und Kiepenheuer & Witsch.

Dass aber diese Übersetzung Basis für diese Produktion ist, das ist so gut wie ausgeschlossen. Kiepenheuer & Witsch stand zu der Zeit, in der das Hörspiel produziert wurde, am Anfang seiner Simenon-Ära. Einen Sack von Erzählungen übersetzen und diese zwanzig Jahre liegen zu lassen, hört sich nicht nach verlegerischer Vernunft an. Zumal in dem Hörspiel mit Begriffen gearbeitet wird, von denen ich mir schwer vorstellen kann, dass sie in den 70er-Jahren noch im Gebrauch gewesen sind. Das ist ein schwaches Indiz, das weiß ich. Schließlich hat die Bearbeitung eines Hörspiels oft weniger mit der literarischen Vorlage zu tun als man denkt.

Das nur am Rande. Wie schon erwähnt, handelt es sich um die Bearbeitung einer Erzählung, die Simenon in den 30er-Jahren geschrieben hatte. Mir fielen sofort Ähnlichkeiten mit dem Roman »Maigret und der Mann auf der Bank« auf. Diese mögen nicht so ausgeprägt sein wie bei den beiden Erzählungen, aus denen schließlich der Roman »Die Phantome des Hutmachers« entstand. Ignorieren lassen sich die Parallelen jedoch nicht.

Was sind die Unterschiede?

Auf dem Bett sitzend, sich für das Schlafen fertig machend, wurde ein Mann durch das offene Fenster erschossen. Seine Frau ist bei ihn und kann gar nicht fassen, was passiert war. Während Maigret der Meinung ist, dass arme Leute nicht getötet werden, stellt sich die Frau des Ermordeten die Frage, warum ausgerechnet ihr das passieren muss.

Die Unterschiede tauchen erst in der zweiten Hälfte auf. Erst fällt es nicht negativ auf, denn in welcher Reihenfolge und wo die Zeugen verhört werden, dürfte bei dieser Erzählung egal sein. Die Vereinfachung führt jedoch dazu, dass beim Hören der Eindruck entsteht, dass der Verstorbene irgendwie eine fiese Type war … in der Erzählung hingegen, wird Verständnis für die Handlungsweise des Ermordeten geweckt.

Was ist mit dem Mann auf der Bank?

Ich finde die Parallelen schon bemerkenswert: In beiden Fällen handelt es sich um Männer, die früh morgens das Haus verlassen, und vorgeben, zur Arbeit zu gehen. Sie kommen sogar pünktlich nach Hause und setzen sich an den gedeckten Abendbrot-Tisch und vermutlich, haben sie irgendetwas Erfundenes von der Arbeit erzählt.

In beiden Stories blieb es nicht ihr Geheimnis. Die Folgen in dem Roman um den Mann auf der Bank erscheinen mir schlüssiger (wenn auch bösartiger). In der Erzählung blieb die Entdeckung ohne Konsequenzen, zumindest hatte sie keine negativen. 

Nach meinem Dafürhalten ist es wahrscheinlich, dass Simenon diese Idee erneut aufgriff oder die gleiche Inspiration zweimal hatte. Da der Meister ein eigenes Werk daraus schuf, welches eine ganze Reihe eigener Akzente setzt, ist es ein Glücksfall, dass er das Thema nochmals aufgriff.

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Kurzes Fazit

Das Hörspiel ist so kurz, da könnten Sie sich gut in der Mittagspause mit den Kollegen:innen hinsetzen und der Story gemeinsam lauschen. Die Grundidee von Simenon ist interessant und die Bearbeitung ist ebenso spannend. 

Das Hörspiel ist auf der gerade erschienen Hörspielbox »Maigret – Die raffiniertesten Fälle« aus dem Audio Verlag zu finden.