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Die Polizeien
Von außen betrachtet, ist die Sache mit der Polizei in Frankreich ein wenig unübersichtlich. Maigret darf nur in Paris ermitteln, hin und wieder ist von Gendarmen die Rede, manchmal mit irgendwelchen Dorfpolizisten, dann gibt es da noch hochnäsige Bürgermeister – nicht zu vergessen die Sûreté, die von den Pariser Ermittlern als Wettbewerber wahrgenommen wird und mit den nicht gut Kirschen essen ist.
Es ist also nicht »eine Polizei«, mit der wir es zu tun haben. Vielmehr ist es ein kleiner Dschungel, der zu begutachten ist, wenn man die Polizeikräfte in Frankreich betrachtet. Bei einem Problem könnt mir der Duden weiterhelfen. Wie lautet die Mehrzahl von »Polizei«? »Polizeien« So erlaube ich mir die Nutzung dieses Wortes. Auch wenn es sprachlich ein wenig weh tut. Aber so ist das mit der Polizei halt manchmal.
Aber bevor wir zu den verschiedenen Polizei-Institutionen kommen, sei ein kleiner Schwenk erlaubt.
Der Untersuchungsrichter
Es wird einem als Leser nicht einfach gemacht. Oft hat der Kommissar an einen Untersuchungsrichter zu berichten und im deutschsprachigen Raum fragt man sich da gleich, warum denn schon zu Anfang ein Richter mit im Ermittlungsboot sitzt. Zumal sie, wie der häufiger auftauchende Untersuchungsrichter Coméliau, einen gewissen Nervfaktor haben können und den wohl viele Leser auch genauso wenig mögen wie Maigret den Untersuchungsrichter mag. Aber es gibt auch andere, mit denen sich Maigret während der Ermittlungen zum Essen trifft und sehr gut versteht.
In Deutschland sind die Untersuchungsrichter dafür zuständig, Haftbefehle ausstellen oder Telefonüberwachungen zuzulassen. Das heißt, sie prüfen die rechtliche Zulässigkeit von Maßnahmen, die die Staatsanwaltschaft und die Polizei für notwendig erachten – nicht jeder darf in Haft genommen werden und es dürfen auch nicht beliebig Telefonanschlüsse überwacht werden. Da haben die Richter mal mehr, mal weniger gut ein Auge drauf.
Die Staatsanwaltschaften sind hierzulande dafür verantwortlich, dass die Ermittlungen durchgeführt werden und vorangehen.
In Frankreich ein Teil der Aufgaben einer Staatsanwaltschaft den Untersuchungsrichtern. Sie sind es, die das Verfahren führen, bis diese zu den sogenannten erkennenden Gerichten übergeben werden. So ist das manchmal sehr dominante Auftreten der Untersuchungsrichter verständlich – so ist beispielsweise Coméliau der Chef im Ring und so gibt er sich auch. (Sage ich jetzt mal so, denn mir ist nicht bekannt, dass Maigret je meinem weiblichen Untersuchungsrichter zu tun gehabt hätte.)
Die Pariser Polizeipräfektur
Man muss ganz tief in die Vergangenheit schauen, zumindest aus heutiger Sicht, und kann dann schon im 17. Jahrhundert die ersten Spuren der Vorgänger der Pariser Präfektur erkennen. Im Jahr 1800 erfolgte dann durch Napoleon die Gründung der Präfektur. Die Zuständigkeit umfasste Paris und ein paar Außenbezirke. Die Geschichten um Maigret thematisieren die düsteren Aspekte der Pariser Präfektur nicht – dazu gehört gewiss auch die Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden zum Beispiel bei der Bekämpfung des Widerstands und bei der Zählung der Juden und damit verbundenen Unterstützung für die Deportation von Juden.
Die Tatsache, dass die Institution auf Paris beschränkt war und nicht zu den nationalen Polizeien gehörte, erklärt, warum Maigret außerhalb von Paris nicht ermitteln durfte. Das war schon manchmal eng im Umland[MNAK], war er in der Provinz unterwegs, so hatte der Kommissar offiziell überhaupt keine Zuständigkeite. Der Konflikt wird hin und wieder thematisiert[MGK] .
Nach dem Krieg wird ein Widerstandskämpfer an die Spitze der Präfektur gesetzt. Zwanzig Jahre später bekleckert man sich bei der Präfektur jedoch erneut nicht mit Ruhm: Es werden Einheiten gegründet, teilweise mit Hilfspolizisten, die den Widerstand in Frankreich, den es gegen Algerienkrieg gibt, bekämpfen sollen – dabei bediente man sich in diesen Trupps durchaus der Folter. 1965 wurde der marokkanische Politiker Ben Barke in Paris umgebracht – richtig geklärt scheint der Fall nicht zu sein, es gibt durchaus Verurteilungen. Aber es gibt auch immer noch Gerüchte, dass sich die Geschichte anders zugetragen haben könnte. In der Folge dieser Affäre wurde die Pariser Präfektur organisatorisch in die nationale Polizei eingegliedert. Es handelt sich als nicht um eine Stadtpolizei, zu der wir im nächsten Abschnitt kommen.
Die Stadtpolizei (Police municipale)
Locker flockig habe ich neulich behauptet, mir wäre überhaupt gar nicht bewusst, dass es Bürgermeistern in Frankreich erlaubt wäre, Haftbefehle auszustellen. Das hörte sich für mich etwas großspurig an. Ein wenig war aber schon dran: Wenn in einer Stadt eine Stadtpolizei existiert, dann stet der Bürgermeister einer solchen Stadtpolizei vor und die Polizisten haben die Anweisungen des Bürgermeisters ausführen. Allerdings beschränkt sich der Aufgabenbereich, den der Bürgermeister einer Stadtpolizei verantwortet, zum größten Teil auf ordnungsrechtliche Aspekte: Gewerbeaufsicht, Bauaufsicht, Straßenverkehr und ähnliches. Das hört sich nicht besonders aufregend an und auch die Tatsache, dass ein Bürgermeister die Einweisung von Personen mit psychischen Auffälligkeiten anordnen kann, macht ihn nicht zu einem großen Beeinflusser von Kriminaluntersuchungen.
Die Aufsicht über die örtlichen Polizeieinheiten hat der Präfekt, der damit auch den Bürgermeister kontrolliert. Also einfach mal einen Haftbefehl ausstellen und Verbrecher verhaften lassen – so leicht kann ein bösartiger Bürgermeister sich seiner Wettbewerber nicht entledigen.
Die örtliche Polizei hilft auch der nationalen Polizei, wenn sich Untersuchungen auf das Gebiet der Stadtpolizei ausdehnen, im Zuge der Amtshilfe.
Die nationale Polizei (Police nationale)
Diese ist in allen Städten zuständig, in denen es keine örtliche Polizei gibt. Sie untersteht dem Innenministerium und geht letztlich zurück auf die von Eugène François Vidocq im Jahre 1811 gegründete Sûreté. Diese gilt zwar als Ursprung aller modernen Kriminalinstitutionen in der Welt, aber der Anfang fing war sehr bescheiden und mutet ein wenig obskur an. Man arbeitete mit Zivilpolizisten und Vidocq war der Meinung, dass man Kriminalität am besten mit Kriminellen bekämpfen könne. So wurden auch gleich ein paar zwielichtige Typen eingestellt und mit einer Glücksspiellizenz versehen, anstatt sie zu bezahlen. Vielleicht entwickelte Vidocq diese These, da er selbst keine blütenreine Vergangenheit hat. Er war schon lange Zeit auf Verbrecherjagd, da wurde er selbst noch als Verbrecher mit Haftbefehl gesucht. Heute wäre das vermutlich undenkbar, und dieser Mann wird hier sicher auch noch mal separat beleuchtet werden. Ein wenig amüsant ist übrigens die Einlassung Maigrets zu dem Thema:
Der legendäre Vidocq hingegen, der Berühmteste von allen, hat uns leider keine Memoiren hinterlassen, die wir mit den Porträts vergleichen könnten, die Romanciers von ihm gezeichnet haben.[M]
Das ist schon deshalb ein wenig lustig, da eine eine solch schillernde Persönlichkeit wie dieser Mann, gar nicht anders konnte, als Memoiren zu schreiben. Er nannte sie »Landstreicherleben«.
Vidocq trat zurück, kehrte zurück in den Dienst und trat erneut zurück. Der Tag seines Rücktritts war der Tag, mit dem die Sûreté aufgelöst wurde und unmittelbar neu gegründet wurde. Agenten mit einer kriminellen Vergangenheit waren von dem Tag an nicht mehr erlaubt.
Nun gab es jedoch nicht nur Vidocq, sondern es gab auch seit ungefähr 1800 eine Stadtwache, die Polizeiaufgaben wahrnahmen. 1829 wurden die Polizisten mit Uniformen versehen, auch das war eine Weltpremiere. Über die Jahre wurden die Abteilungen immer mal wieder aufgelöst, neugegründet und dann – man ahnt es schon – wieder neu gegründet. An diesem Prinzip hat sich bis heute nichts geändert, nur wurde es auch in die Wirtschaft übertragen und beschäftigt Heerscharen von Beratern, die von Zeit zu Zeit die beste Organisationsform austüfteln. Auch Namen und Titel sind wichtig, auch das können wir heute noch beobachten. Schön ist zum Beispiel der Titel »Friedenswächter« – frz. »Gardiens de la Paix publique« – der den Franzosen bis heute als Rang bei der nationalen Polizei erhalten blieb.
Was die Zeit während des Vichy-Regimes und der deutschen Besatzung angeht, muss man differenzieren. Auf der Haben-Seite steht, dass viele Beamte die Zusammenarbeit mit dem Regime und der Besatzungsmacht nicht akzeptierten und deshalb gingen oder entlassen wurden (50% der Kommissare verließen die Polizei). Viele schlossen sich dem Widerstand an. Allerdings arbeitete der Rest brav mit dem Vichy-System und den Deutschen zusammen, verfolgte Widerstandskämpfer und Juden. Sie hatte eine gewisse Autonomie, war den deutschen Behörden aber rechenschaftspflichtig.
1966 wurde die Präfektur, wie oben schon erwähnt, Teil der nationalen Polizei.
Die Gendarmerie (Gendarmerie nationale)
Wann immer man in den ländlichen Regionen von Frankreich unterwegs ist, begegnet einem als als Polizeivertreter der Gendarm. Meiner Erfahrung nach treten sie sehr oft im Duo auf.
Die Gendarmerie nationale war sehr lange Zeit der Armee zugeordnet, erst in jüngerer Zeit wurde die Truppe auch dem Innenministerium unterstellt. Da möchte man nicht wissen, wie die Administration läuft – zwei Ministerien als Vorgesetzte, da ist sicher jede Menge Spaß angesagt. Aber was soll’s, fragt man sich: Geht es um nicht-militärische Einsätze, untersteht die Gendarmerie dem Präfekten; in anderen Fällen kann sie der Staatsanwaltschaft und einem Untersuchungsrichter unterstehen. Schließlich könnte es auch noch militärische Einsätze geben, da ist man dann wohl dem Verteidigungsministerium verpflichtet.
Sie ist damit die älteste Institution, denn sie wurde schon 1791 gegründet. Vorgänger gibt es durchaus, aber den Namen bekam sie zu dem Zeitpunkt.