Bei der Affäre um Madame Smitt handelt es um einen der seltenen Fälle, in denen alle Ereignisse chronologisch aufgezeichnet wurden. Sie begann am 6. Dezember und eine Woche später war sie auch schon beendet. Wahrlich eine D-Zug-Ermittlung! Der Fauxpas, der in der Geschichte zu finden ist, spielte sich nach dem Ende der eigentlichen Untersuchungen durch Richter Froget ab.
Der Mann hatte sich seinen Abend gewiss anders vorgestellt: Ein wenig Spaß mit einer gekauften Mätresse, es mal so richtig krachen lassen. Für Jules-Raymond-Claude Forestier war das wie Urlaub, denn diese Ausflüge in die Rotlicht-Viertel konnten ein paar Tage dauern. Diesmal war es eine kurze Ausflug, denn der Alptraum einer jeden Prostituierten trat ein – ihr Klient verstarb. Ob das nun in einer Betätigung- oder einer Ruhephase geschah, wird nicht beschrieben. Am Ende war der gute Mann tot.
Was für einen hochgestellten Beschuldigten hatte sich Richter Froget in diesem Fall geholt. Diese Frage werden sich die Leser:innen stellen und wahrscheinlich sehr beeindruckt sein. Der gute Waldemar Strvzeski versuchte noch dem Untersuchungsrichter die Aussprache seines Namens beizubringen, aber der hatte überhaupt kein Interesse. Er säubert mit jeder weiteren Frage erst die Biografie des gebürtigen Polen, bevor er sich von einem Verbrechen zum nächsten vorarbeitet. Ein Schauspiel!
Schon die Schilderung des Aussehens sind nicht darauf ausgelegt, den Verdächtigen sympathisch zu finden. Deutlich zu spüren ist auch, dass Richter Froget keine Sympathien für den Mann hegte, den er verdächtigte, eine Frau umgebracht zu haben. Das ist eingebettet in eine Affäre, bei der es zudem einen hocheifersüchtigen Ehemann gibt. Und überhaupt ist die Frage erlaubt, warum der verdächtige Arnold Schuttringer seine Geliebte überhaupt hätte umbringen sollen. Das wäre nur zu seinem Nachteil ...
Diese Geschichte macht in vielerlei Hinsicht Spaß: Erst einmal ist sie gut geschrieben. Zudem kommt, dass man mit der Hauptbeschuldigten in diesem Fall Sympathien hat und den Eindruck hat, dass dies auch Richter Froget gleichermaßen empfindet. Hinzu kommt eine Meta-Ebene: Die Verdächtige trägt den Namen Nouchi und ihr Freund – wirklich nur ihr Freund, wie sie betont – heißt Siveschi. Die Kombination der Namen trifft man in dem Roman »Maigret verliert eine Verehrerin«. Was für ein Spaß!
Zwei bärtige Männer, einige Frauen, dazu eine Reihe von Kindern, ländlich lebend, Ausländer, von Luxus keine Spur – wer würde hier einsteigen und einen etwa siebzigjährigen Mann, der so krank ist, dass er noch ein bis zwei Tage zu leben hat, den Schädel mit zahllosen Schlägen einschlagen? Diese Frage darf sich Richter Froget stellen und offenbar ist er nicht zu dem Schluss gekommen, in die weite Ferne zu schweifen. Er sucht den Täter in den Reihen der Mitbewohner.
Eines Tages lag ein toter Hund im Garten von Madame Smitt. Sie konnte sich nicht darum kümmern, da sie erkrankt war. Also machte das einer ihrer Pensionsgäste, ein wahrlich netter Mann. Als er nun im Garten ein Grab für das verstorbene Tier grub, stieß er auf Knochenreste. Nicht die eines Tieres, sondern die eines Menschen. Die Untersuchungen ergaben, dass es sich um einen Mann handelte und dass er mindestens fünf Jahre dort gelegen hatte. Richter Froget stattete der kranken Wirtin ein Besuch ab.
Richter Froget hatte es in diesem Fall mit einem Verdächtigen aus der besseren Gesellschaft zu tun. Dieser war gut alimentiert und schien finanziell nicht in Nöten zu sein. Der Untersuchungsrichter merkte, dass sein Verdächtiger ziemlich herablassend und arrogant war. Froget ließ sich davon nicht beeindrucken, er wirkte sogar gleichgültig. Schließlich ging es um die Aufklärung eines Mordes und da sollte der gesellschaftliche Status keine Rolle spielen. Der besondere Aspekte sollte eine Rolle spielen.
Gegenüber dem Richter erschien der Verdächtige zunächst wie ein Schwätzer. Bei genauerer Betrachtung erwies sich diese Einschätzung jedoch als relativ. Sowohl der eine als auch der andere sagten wenig. Im Mittelpunkt der Geschichte steht das, was in den Akten verzeichnet ist, und was Untersuchungsrichter Froget, der hier seinen ersten großen Fall bearbeitet, daraus interpretiert. Sein Gegenüber hofft indessen, dass er nicht allzu viel zwischen den Zeilen liest.
Von außen betrachtet, ist die Sache mit der Polizei in Frankreich ein wenig unübersichtlich. Maigret darf nur in Paris ermitteln, hin und wieder ist von Gendarmen die Rede, manchmal mit irgendwelchen Dorfpolizisten, dann gibt es da noch hochnäsige Bürgermeister – nicht zu vergessen die Sûreté, die von den Pariser Ermittlern als Wettbewerber wahrgenommen wird und mit den nicht gut Kirschen essen ist.
Immer, wenn wir in den letzten Jahren an der Sainte-Chapelle auf der Île de la Cité vorbeikamen, war vor dem Eingang eine abschreckend lange Schlange zu sehen. So ließen wir es Mal um Mal, die abgeschottete Kirche zu besuchen. Mitten unter der Woche, wenn die Touristen alle Mittagsschlaf halten oder in den Restaurants verschwunden sind, könnte es besser sein. Glaubten wir und irrten uns damit wahrscheinlich auch.