Wintergarten Varieté (Berlin)

Ein Wintergarten anderer Art


Der Glanz vergangener Zeiten ist zu erkennen, wenn man sich Bilder des Berliner Wintergarten Varieté anschaut. Das war ein legendärer Ort – an dem sich traf, was Rang und Namen hatte und in Berlin weilte. Und weil das so war und Simenon ziemlich oft von Orten schrieb, an den schon gewesen war, kann man davon ausgehen, dass er auch den Berliner Wintergarten wohl mal besucht hatte.

In den späten 1880er-Jahren war Berlin eine boomende Stadt. Sie lag zwischen Ost und West und war ein Anziehungspunkt für Geschäftsleute, für Menschen, die Arbeit suchten und Glückssucher (der Begriff soll gar nicht negativ konnotiert sein). Es war nun leichter geworden, in die Stadt zu kommen – gerade die neu entstandenen Bahnverbindungen machten Berlin zur Traumstadt vieler.

Hermann Gebers war schon da. Aber er wollte sich ein goldenes Näschen an denen verdienen, die nur zeitweise in der Stadt waren. Was macht man in solch einem Fall. Man gründet ein Hotel. Sein Kind war das Central-Hotel – und der Name war nicht nur ein leeres Versprechen – und beim Bau wurde ein eindrucksvoller Palmengarten vorgesehen und realisiert. Wer etwas in der Kaiserzeit in Deutschland auf sich hielt, der hatte einen Palmengarten. Geber wollte ein Hotel schaffen, dass bei einer Aufzählung renommiertester Etablissements auf der Welt – also derer in Paris, London und New York – mitgenannt wurde.

Was nicht vorgesehen war: die Einrichtung eines Varietés. Der luxuriöse Rückzugsort für die Gäste war zu wenig und so nahm eine ganz eigene Geschichte seinen Lauf. Der Palmengarten wurde umgebaut. Es entstand ein imposanter Saal mit einer Glasgewölbedecke und dieser Ort wurde schnell zum Treffpunkt der Berliner High Society – ein Ort, an dem Musik, Theater und bald auch das Varieté ihren festen Platz fanden. Die Besucher bekamen spektakuläre Aufführungen geboten.

Die Anfänge

Das wahre Potenzial eines Varieté-Theaters erkannten Franz Dorn und Julius Baron - die beiden verwandelten den Palmengarten 1887 in ein festetabliertes Varieté, das bald zum Zentrum der Unterhaltung im Kaiserreich avancierte. Mit immer neuen Sensationen gelang es ihnen, das anspruchsvolle Publikum zu begeistern.

Unlängst wurde im Zuge der Erzählung »Philippe« die Entwicklung des Films beleuchtet – zur Erinnerung: Es ging um die Geschichte der Firma Gaumont. Das Wintergarten-Varieté war auch Teil der Film-Geschichte: Hier fand die erste öffentliche Filmvorführung Deutschlands im Jahr 1895 – ein wahrer Meilenstein.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Etablissement von Bernhard Sehring umgebaut. Dabei wurde der Saal mit einem funkelnden Sternenhimmel aus Glühbirnen ausgestattet. Der Wintergarten erlangte seinen legendären Status – ein Ort, an dem man sich in die Weiten des kosmischen Spektakels träumen konnte, während auf der Bühne die großen Talente der Zeit brillierten.

Sim und der Garten

Die Goldenen Zwanzigerjahre verwandelten den Wintergarten in ein Sinnbild der Dekadenz und Kreativität. Es waren die Jahre, in denen die Berliner Nacht zum Tag gemacht wurde und originelle Darbietungen das Publikum in ihren Bann zogen. Hier begegneten sich Lebenslust und künstlerische Exzentrik in einer unvergleichlichen Melange. In diesem Zeitraum wird Simenon den Wintergarten kennengelernt haben. Berücksichtigt man die Epoche, in der seine Osteuropa-Reisen stattfanden und natürlich ebenso seinen wachsenden Wohlstand, so ist die Rede vom Ende der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre.

Und mit diesen Erfahrungen und Erlebnissen im Rücken wird Frida Elsen vor seinem geistigen Auge im Wintergarten getanzt haben. Ihre Tätigkeit war also ganz und gar nicht unzüchtig oder anrüchig, sondern sie hatte einen Job in einem der bekanntesten Varieté-Locations seiner Zeit ergattert. Und Hans und Franz begaben sich dort nicht hin – klar, dass sie einen betuchten Österreicher in dem Varieté  kennenlernen konnte, der sie dann zu seiner Frau nahm.

Doch so glanzvoll die Geschichte des Wintergartens auch war, sie fand ein Ende in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Die Bomben, die 1944 fielen, beendeten eine Ära Vergnügens und kultureller Glanzlichter. Irgendwann wurden die Reste der weggesprengt, ein neues Wintergarten-Etablissement sollte später entstehen. Also blieb der Name, bis heute. Mit dem großen Ruhm und Glanz von damals hat das, was noch in Berlin unter dem Namen zu finden ist, aber nicht mehr zu tun.