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Der fünfte Streich: Buchhändler


Gestern, keine fünfundvierzig Minuten, nachdem ich in einem Tweet erwähnte, dass dieses Hörspiel noch nicht zum Download zur Verfügung stände, und den NDR damit anstupste, konnte man das Hörspiel »Der Buchhändler von Archangelsk« herunterladen. Ob es wirklich mein Tweet war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, denn eine Reaktion gab es nicht. Aber nun konnte ich das Stück heute Morgen nachhören.

Routine

Es ist eine kleine Routine geworden: Nach dem Aufstehen mache ich es mir gemütlich, setze die Kopfhörer auf und dann höre ich mir das Stück in Ruhe an. Ich kann nebenher nichts machen, nur hören. Alles andere lenkt mich ab, ich habe es probiert.

Ich unternahm auch den Versuch, eine solche Geschichte abends zu hören – aber irgendwie ist das nichts. Mein Bewusstsein reagiert widerstrebend auf diese Geschichten am Abend, so als ob er mir sagen möchte: »Hör mal zu, ich möchte mit so einer solch traurigen/schrecklichen Geschichte im Kopf nachher nicht einschlafen.« So haben haben wir den Fernseher eingeschaltet und auf Netflix der »Prinz aus Zamunda« mit Eddie Murphy gesehen, den ich zuvor noch nie gesehen habe, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich danach besser geschlafen habe, als ich es nach dem »Genuss« von »Schlusslichter« und »Der Buchhändler von Archangelsk« hätte.

Diese Bearbeitung stellt eine Hörspiel-Premiere dar und ich frage mich schon ein wenig, warum das so ist. Die Romanvorlage ist sehr gut und erinnert in seinen Konsequenzen an »Die Verlobung des Monsieur Hire« – trotzdem hatte sich bisher niemand daran versucht. 

Ein Mann, der von den Mitmenschen gerade so akzeptiert wird, steht plötzlich unter Mord-Verdacht und seine Schuld scheint für die meisten ausgemacht zu sein. Seine Ehefrau war verschwunden und er hatte behauptet, sie wäre zu ihrer Freundin gefahren und sich sehr genau festgelegt, wann sie verschwunden war. Es war eine Lüge und das aufgebaute Lügengebäude wurde schnell bröckelig. (Mehr zur Story…)

Eindringlich

Wie bei den meisten Stücken, die in dieser Reihe des NDR zu hören war, war es auch hier so, dass man das Gefühl hat, dass der Erzähler (Wolfgang Pregler) mit dem Erzählen der Handlung und den Gedanken von Jonas Milk im Mittelpunkt steht. Es sind die Gefühle von Jonas Milk, die den Zuhörerinnen und Zuhörern vermittelt werden sollen. Das Szenische steht im Hintergrund, die Dialoge sind immer recht kurz – das passt hervorragend, denn Milk war kein Plappermaul. Die Musik bleibt dezent, erinnert an klassische Filmmusik – und ist durchweg melodisch. 

Alles wird in der Inszenierung von Irene Schuck passend eingefangen: Die Einsamkeit von Jonas Milk in der Gemeinschaft, die Einsamkeit des Mannes in seiner Ehe und die Verzweiflung, als ihm bewusst wird, dass seine erste Lüge über das Verschwinden der Frau, ein großer Fehler war.

Eine klare Hörempfehlung für all jene, die in die literarische Welt Simenons jenseits der Maigrets eintauchen wollen.

Link zur Hörspiel (verfügbar bis 25.12.2021)
Falls der Button zum Download nicht noch erscheinen sollte, aktuell kann man die MP3-Datei direkt herunterladen.