Im Falle eines Unfalls

Datumsunfall


Der Monat neigte sich dem Ende zu, somit wurde es Zeit, auf die Kalenderdaten des nächsten zu schauen. Bei der Recherche nach zu nennenden Titeln stieß ich auf den Endjahres-Roman »Im Falle eines Unfalls«. Die Geschichte begann im November und schloss am Ende des darauffolgenden Monats. Ein wenig Neugierde brachte mich zum Stolpern.

Für die Recherche hatte ich mir eine Diogenes-Ausgabe geschnappt und zwar eine der ersten Taschenbuch-Ausgaben, die noch in einem bräunlichen Grau daherkam, vielleicht auch einem grauen Braun – auf jeden Fall aber mit einer Picasso-Zeichnung auf dem Cover. Die erste Zeile in dem Roman lautete:

Samstag, den 4. November
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Der Roman, so nahm ich an, spielte in der Vergangenheit. Also würde, dies war meine Annahme, Simenon gewiss einen Kalender konsultiert haben, um mit korrekten Daten zu arbeiten. Die These, dass er sich die Tage selbst ausgerechnet hat, hörte sich nicht plausibel und auch ein wenig unpraktisch an. Für mich ist es einfach, denn ich konnte die Jahre zurückblättern und schauen, in welchem der Sonnabend auf einen 4. November fiel.

Da käme das Jahr 1951 infrage. Oder, Simenon hatte schon ein Termin des Folgejahres, denn der Roman entstand 1955, dann hätte er sich an 1956 orientiert. 

Da die Übersicht die gesamten Monate umfasste, fiel mir auch der 26. Dezember ins Auge – der letzte Eintrag in der Geschichte – und das sollte ein Montag sein. Laut der Kalenderübersicht war es jedoch ein Mittwoch. Moment, was war denn hier passiert?

Ich ging in der Ausgabe Schritt für Schritt zurück, um den Sprung festzustellen. Der Lapsus, das fand ich interessant ist, zog sich über viele Kapitel. Es fängt falsch an, wird im fünften Kapitel nicht besser, indem die Differenz von zwei auf drei Tage steigt, bevor es mit dem 11. Dezember (mitten im siebten Kapitel) gerichtet wird:

Kapitelbis zur detebe 20374-Ausgabe der 80er-Jahrespätere Ausgaben
1Sonntag, 4. NovemberSonntag, 6. November
2Dienstag, 6. NovemberDienstag, 8. November
3Samstag, 10. NovemberSamstag, 12. November
4Sonntag, 11. NovemberSonntag, 13. November
5Samstag, 23. NovemberSamstag, 26. November
6Mittwoch, 27. NovemberMittwoch, 30. November
7Donnerstag, 28. NovemberDonnerstag, 1. Dezember
 Samstag, 30. NovemberSamstag, 3. Dezember
 Sonntag, 1. DezemberSonntag, 4. Dezember
 Dienstag, 3. DezemberDienstag, 6. Dezember
 Donnerstag, 5. DezemberDonnerstag, 8. Dezember
 Sonntag, 11. DezemberSonntag, 11. Dezember
 Dienstag, 13. DezemberDienstag, 13. Dezember
 Mittwoch, 14.  DezemberMittwoch, 14. Dezember
 Donnerstag, 15. DezemberDonnerstag, 15. Dezember
 Freitag, 16. DezemberFreitag, 16. Dezember
 Samstag, 17. DezemberSamstag, 17. Dezember
8Montag, 19. DezemberMontag, 19. Dezember
9Sonntag, 25. DezemberSonntag, 25. Dezember
 Montag, 26. DezemberMontag, 26. Dezember

In späteren Diogenes-Ausgaben (vermutlich ab den 2000er-Jahren) wurde der Sonntag auf den 6. November gelegt, so wie es auch einer aktuellen französischen Ausgabe steht. Nimmt man dieses Datum, so geht es korrekt zum Jahresende aus.

Wären die Zeit-Angaben so, wie in den aktuellen Ausgaben, so hätte sich Simenon keinen Kalender besorgen müssen. Im Jahr 1955 gab es haargenau diese Konstellation. Dem Anschein nach hatte sich der Fehler durch die Übertragung des Übersetzer-Duo Barbara Klau und Hansjürgen Wille eingeschlichen. Denn sowohl in den Kiepenheuer & Witsch- wie auch den Heyne-Ausgaben war das falsche Datum angegeben. Heute ließe sich so etwas gut mit einem Tippfehler und anschließender Datenübernahme von einer Ausgabe zur nächsten erklären. Aber damals?

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Wäre es nicht sehr lässig, die Schuld auf die Übersetzer:innen zu schieben, ohne dass man im Original anschaut? Schließlich könnte meine französische Ausgabe ebenfalls eine korrigierte Fassung sein. Sich eine Originalausgabe aus dem Jahr 1956 zu besorgen, ist keine Herausforderung. Die Ausgabe ist noch gut zu haben. Französische Bücher aus den Jahren haben einen merkwürdigen Charme. Sie kommen so daher, dass man den Eindruck hat, dass der Buchbinder entweder keine Lust gehabt hatte, seine Arbeit zu erledigen oder zumindest keine Schneidemaschine mit einem scharfen Messer hatte.

Aber das nebenstehende Bild macht schon deutlich: Es wäre eine krasse Ungerechtigkeit gewesen, wenn ich den deutschen Übersetzer-Paar Klau/Wille die Schuld gegeben hätte. Simenon war es, der bei den Daten schludrig gearbeitet hatte.

Hätte er mal einen Kalender zur Hand genommen …