Bildnachweis: Paris 1922 - Public Domain
Ein Belgier erobert Paris
Sie haben nicht auf ihn gewartet: Jeden Tag kamen an den Bahnhöfen von Paris Menschen an, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollten. Wie Simenon es selbst in seinen Romanen beschrieb, waren es oft Leute aus dem Norden: Polen, Deutsche und halt auch Belgier. Wie Simenon, der am 14. Dezember 1922 in Paris eintraf.
Wenn man sich überlegt, dass ein Zwanzigjähriger sich auf den Weg macht, in einem anderen Land sein Glück zu versuchen, kann einem schon mulmig werden. Ganz so schlimm war es für Simenon wohl nicht gewesen, der er hielt ein paar gewichtige Trumpf-Karten in seinen Händen.
So war er des Französischen mächtig und hatte keine nennenswerten Verständigungsprobleme. Seine ersten französischen Kollegen hatten eine spezielle Methode entwickelt, ihm die letzten belgischen Floskeln auszutreiben: Für jede dieser belgischen Spezialitäten hatte er Geld in eine Strafkasse abzudrücken. Das soll geholfen haben.
An diesem Dezembertag seiner Ankunft in Paris hatte der junge Mann nicht zu befürchten, die Nacht auf der Straße oder in einer Absteige zubringen zu müssen. Er wurde vom Bahnhof einem Bekannten am Hotel abgeholt und zu seinem Hotel am Boulevard des Batignolles gebracht. Das Hotel hörte und hört auf den Namen »Bertha«, und Simenon kam für die ersten Wochen sehr zentral unter.
Schule, warum nicht?
Meister gesucht!
Erste Gehversuche
Der Name Simenon zählt nicht
Unstet
Im Krieg
Neuanfang
Lakeville
Fortsetzung der Krise
Altern im Unglück
Er war nicht allein, sondern er hatte zumindest Luc Lafnet, den Bekannten, der ihn am Bahnhof abholte und sich zusammen mit seiner Frau um den einsamen Belgier kümmerte.
Unterkunft, Sprache und Ansprechpartner sind schon mal recht wichtig, aber die Möglichkeit Geld zu verdienen, hat ebenso einen immensen Stellenwert. Und auch hier kam Simenon nicht unvorbereitet nach Paris. Er hatte eine Stelle als Privatsekretär bei einem Schriftsteller namens Binet-Valmer, der in Frankreich eine Institution war. Diese Stelle, die er mit einem Empfehlungsschreiben antrat, entsprach in der Praxis nicht den Vorstellungen, die Simenon von der eines Privatsekretärs bei einem Schriftsteller hatte. Es stellte sich heraus, dass er nur als Laufbursche im Büro Binet-Valmers diente. Leider war das noch nicht einmal das Büro eines Schriftstellers, sondern einer Organisation, der der Schriftsteller vorstand. Im Sinne dieser »Ligue des Chefs de Sections et des Ancien Combattants« veröffentlichte Binet-Valmer seine Verlautbarungen und Simenon hatte die so geschwind wie möglich an die vielen Pariser Zeitungen zu verteilen. Hektik sollte in den Büros der Liga nur ausbrechen, wenn aus irgend einer Ecke in Frankreich ein Streik gemeldet wurde und die alten Kämpfer als Streikbrecher herangezogen wurden. Ansonsten hatte Simenon hauptsächlich mit Briefmarken zu tun.
Die Arbeit war für Simenon mehr als deprimierend. Er schrieb tägliche Briefe an seine Verlobte, in denen er sein Leid klagte. Aus dieser Zeit stammt das folgende Zitat, welches den Willen und die Verzweiflung Simenons gut beschreibt:
Ich verstehe jetzt, was man alles zu tun hat, um in Paris zu Erfolg zu gelangen. Und ich werde es tun. Aber ich bin entsetzt über das, was ich zu tun haben werde.
Das hört sich fatalistischer an, als Simenon war. Denn trotz der uninteressanten Tätigkeit und dieser unglücklich gewählten Zeit des Umzugs, es war schließlich Weihnachtszeit und in der zieht es einen normalerweise nach Hause, ließ er die Zeit nicht ungenutzt: Im Büro gab es kaum etwas für ihn zu tun, und so hatte er Zeit zu schreiben. Für die Zeitschrift »Revue Sincère« wurde er Korrespondent in Paris und porträtierte Pariser Persönlichkeiten. Darüber hinaus entdeckte der die Pariser Zeitschriften als Markt für seine Kurzgeschichten. Darüber hinaus schrieb er Romane für sechs verschiedene Verleger und nutzte dabei schon intensiv seine beiden Lieblings-Pseudonyme Christian Brulls und Georges Sim. Diese Romane, die er allein schrieb, um Geld zu verdienen, nannte er roman alimentaires.
Am 23. März 1923 kehrte er nach Lüttich zurück, um am darauffolgenden Tag Tigy zu heiraten. Die Hochzeit fand sowohl standesamtlich wie kirchlich statt. Letzteres nur, um Simenons Mutter einen Gefallen zu tun. Simenon hatte zu der Zeit keine intensive Beziehung mehr zur Kirche. Tigy hatte sich für diesen Anlass taufen lassen, denn sie war atheistisch erzogen worden. Die kirchliche Trauung fand zuerst statt, danach - bei der standesamtlichen Trauung - steppte dann der Bär: Zahlreiche Freunde Simenons waren gekommen, um diesem Ereignis beizuwohnen.
Noch am selben Abend trat das Fahrt seine Fahrt nach Paris an. Simenon war mittlerweile aus dem Hotel »Bertha« ausgezogen und so zog das Paar in eine kleine Wohnung in der Rue Saint-Honoré in der Nähe des Parc Moncreau. Die Wohnung hatte den Vorteil, dass sie nicht unweit der Avenue Beaucour lag, in der sich der Hauptsitz der Liga befand.
Einer der Hauptförderer der Liga war Raymond de Tracy, einer der reichsten Männer Frankreichs. Tracy suchte einen Privatsekretär und in den Büros der Liga, fiel ihm Simenon ins Auge. Es lässt sich nicht sagen, dass Tracy Binet-Valmer seinen Privatsekretär »abschwatzte«. Dieser hatte Simenon aus einer Gefälligkeit übernommen und Simenon diente ihm weder als persönlicher Sekretär noch hatte er im Büro richtige Arbeit für ihn. Simenon konnte sich für eine Arbeit Tracy durchaus erwärmen. Sie ließ ihm genügend Zeit, sich um sein Schreiben zu kümmern und er sah viel von Frankreich, da Raymond de Tracy viel durch Frankreich reiste, um seine Güter zu besuchen. Der Graf hatte seinen Hauptsitz in Paray-le-Frésil, in der Nähe von Moulins.
Einen Schönheitsfehler hatte die Tätigkeit dann aber doch: Tracy hatte einen ledigen Privatsekretär gesucht, das traf natürlich nicht auf Simenon zu. Simenon bekam trotzdem die Stelle, musste aber die Arbeit ohne seine Frau antreten. Das ging nur eine zeitlang gut, schon bald ließ Simenon Tigy nachkommen. Sie übernachtete dann in der nächsten Stadt und man traf sich heimlich.
Besonders geschickt stellte sich das junge Ehepaar wohl nicht an (vielleicht war es auch nur eine Ungeschicklichkeit Simenons). Es war zumindest so, dass es dem Grafen nicht verborgen blieb, dass Tigy immer in der Nähe blieb. Er schlug Simenon vor, er solle seine Frau doch im Nachbardorf in einem Zimmer unterbringen. Damit könne er sehr gut leben. Tigy konnte damit auch sehr gut leben: So konnte sie zumindest ein Auge auf ihren Ehemann und Schützling haben.
Simenon hatte neue literarische Ziele: Er wollte als fester Schriftsteller bei der Zeitung »Le Martin« angenommen werden. Von Montag bis Donnerstag waren die Plätze schon fest vergeben. Die einzige Möglichkeit war der Freitag, den sich verschiedene Schriftsteller teilten. Aber auch in die Riege musste der junge Simenon erst einmal aufgenommeen werden - seine ersten eingesendeten Versuchen vorne rundweg abgelehnt. Er versuchte es aber immer und immer wieder - bis ihn die Literaturchefin der Zeitung zu sich rief. Dabei handelte es sich um Colette, selbst einer bekannten Schriftstellerin. Sie sagte rundweg, was sie von Simenons Geschichten forderte: »Keine Literatur!« Die Kunst ist das Weglassen. In der folgenden Zeit hatte Simenon, der nie eine Schule des Schreibens oder gar eine Universität besucht hatte, um Literatur zu studieren, lernen. Es folgten einige weitere Versuche, bevor Simenon endlich Erfolg hatte.
Nach einem Jahr, im Februar 1924, gab Simenon die Arbeit bei Tracy wieder auf. Ausschlaggebend - neben dem Erfolg bei »Le Martin« - war, dass der Graf ein Mensch war, der landbezogen war, und Simenon zog es nach Paris - sprich dem ganzen Gegenteil. Die Trennung kann man freundschaftlich nennen.
Bei seiner Rückkehr nach Paris, zog das Paar in die Rue des Dames, in der Nähe des Boulevard des Batignolles. Dann entdeckte Simenon eine Mietwohnung, die für die nächsten Jahre, seine Heimat werden sollte. Sie lag an der Place des Vosges.