Unstet


Nimmt man es genau, so schrieb Simenon nur über Orte, die er schon einmal gesehen hat. Was wäre uns entgangen, wenn er nicht so häufig gereist und umgezogen wäre? Auch die dreißiger Jahre verbrachte er recht stets auf der Suche nach einer Heimat. Im Anmarsch: Der Krieg und das erste Kind.

Wechsel. Immer wieder Wechsel. Für die meisten Menschen dürfte dieser stete Veränderungsdrang nicht in Frage kommen, aber ohne diesen Drang Simenons, wären seine Werke sicher um viele Facetten ärmer. Über die Frage zu spekulieren, ob ein solches Werk ohne die häufigen Umzüge überhaupt möglich gewesen wäre, lohnt nicht: Wir dürfen nun die Früchte genießen, wenn auch kostenpflichtig.

Die Maigrets waren erfolgreich. Simenon konnte, wenn es nach den Wünschen seines Verlegers gegangen wäre, gar nicht genug nachproduzieren. Der Erfolg spülte nicht nur Geld in die Taschen des Verlegers, auch Simenon verdiente prächtig an seinen Maigrets.

An einem 13. kommt man nicht zur Welt…
War es der 12. oder war es der 13.? Diese Frage wird sich wohl nicht klären lassen. Offiziell ist es der 12. Februar, das ist das Datum, das Désiré Simenon im Standesamt hat eintragen lassen. Der Geborerene, zwar dabei gewesen, aber nicht als Zeuge taugend, gab andere Geschichten zum Besten. 
Schule, warum nicht?
Was hätte aus dem Mann werden können? Er ging auf ein humanistischen Gymnasium und seine Mutter Henriette hatte ihn für das Priester-Beruf vorgesehen. Eine Mädchen-Geschichte sollte dafür sorgen, dass sich Simenons Bildungsweg etwas änderte. 
Meister gesucht!
Was willst'e denn werden? Die Frage dürften auch den jungen Sim genervt haben. Wie schon beim der Gymnasiums-Auswahl war es auch hier die Mutter, die den ersten Beruf für Simenon aussuchte: Nach ihrem Willen würde er als Konditor glücklich werden. Wenn das geworden wäre, hätten wir heute vielleicht eine weltberühmte Tarte Maigret und würden den Kommissar missen. 
Erste Gehversuche
Der Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet. So halten es viele Journalisten. Die, die es nicht so damit haben, sollten vielleicht Schriftsteller werden. So wie Georges Simenon, der seine Stärken eindeutig im Fiktionalen sah. Erst nahm er sich die Kurzgeschichte als literarische Form vor, dann den Roman. Erste Gehversuche eines Schriftstellers. 
Ein Belgier erobert Paris
Sie haben nicht auf ihn gewartet: Jeden Tag kamen an den Bahnhöfen von Paris Menschen an, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollten. Wie Simenon es selbst in seinen Romanen beschrieb, waren es oft Leute aus dem Norden: Polen, Deutsche und halt auch Belgier. Wie Simenon, der am 14. Dezember 1922 in Paris eintraf. 
Der Name Simenon zählt nicht
Als Produzent von Groschenromanen muss man in kurzer Zeit viele Worte aufs Papier bringen. Der eigene Name wird aus dem Geschäft herausgehalten. So müssen Christan Brulls und Georges Sim erst einmal herhalten. 
Im Krieg
Simenon machte um den Krieg einen großen Bogen, schließlich hatte er im ersten Weltkrieg den Einmarsch der Deutschen erlebt. Er kümmerte sich um belgische Flüchtlinge und machte Geschäfte mit deutschen Filmfirmen. Das mochte Geld bringen, aber auch Ungemach... 
Neuanfang
Ein neues Land, neue Gewohnheiten, eine neue Sprache und eine neue Frau. Simenon reist nach und durch Amerika, unstet wie immer, begibt sich in eine ungewisse und komplizierte Beziehung. Am Anfang war natürlich nur Sonnenschein. Simenon zeigt neue, nicht unbedingt positive Seiten. 
Lakeville
Glück ist immer relativ: Simenon sollte auch nach dem Leben auf der Shadow Rock Farm beruflich erfolgreich sein. Was das familiäre Glück jedoch betraf, begannen schwierige Zeiten. Ein Abriss über die letzten wirklich glücklichen Jahre Simenons, Besuche in Europa und den ersten Brüchen. 
Fortsetzung der Krise
Simenon suchte Wege, seine Frau aufzuheitern. Eine Chance sah er in der Rückkehr nach Europa, aber es wurde nicht besser sondern immer schlimmer. So begann sich bedingungslose Liebe in bedingungslosen Hass zu wandeln. Interessanterweise merkte man es den Romanen nicht an. 
Altern im Unglück
Was nützt der berufliche Erfolg, wenn das Privatleben keine Erfüllung bringt: die Frau war Weg, geblieben war nur Hass, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde; die Tochter liebte einen abgöttisch und verursachte damit neue Probleme. Der Maigret-Autor schien irgendwie merkwürdig zu sein. 

Des Lebens auf der »Ostrogoth« überdrüssig, entschlossen sich die Simenons, das Boot zu verkaufen und wieder auf festen Boden unter den Füßen zu setzen. Sie begaben sich auf Haussuche und wurden im April 1932 fündig. Simenon soll das Licht in der Umgebung von La Rochelle sehr gut gefallen haben und so landete man schließlich in La Richardière in der Nähe von La Rochelle. Man kann sich unter La Richardière ein Landhaus vorstellen, mit einem kleinen Turm, welches ursprünglich im 16. Jahrhundert entstanden war. Es war sehr weitläufig und das Grundstück reichte bis zum Meer.

Simenon stürzte sich ins Landleben. Nicht die Künstlerfreunde bestimmten sein Leben. Jetzt standen Pferde und Geflügel im Mittelpunkt. Simenon soll, wenn man seinen Biographen glauben darf, ein guter Reiter gewesen sein, der immer ohne Sattel unterwegs war, zum Beispiel um in der nahen Stadt Fisch zu besorgen. Nicht ganz so ländlich war sicher die Haltung von zwei Wölfen, die nicht ganz artgerecht aber dafür sicher in Käfigen erfolgte.

Im Juni 1932 brachen Tigy und Georges zu einer Afrika-Reise auf. Schon 1928 hatte sich Christian, der Bruder von Simenon, in Afrika niedergelassen und arbeitete bei der Hafenbehörde in Matadi. Dort hatte er eine Belgierin geheiratet und ein dreiviertel Jahr vor der Ankunft des brüderlichen Besuchs aus Europa wurde ein Christian und seiner Frau ein Sohn geboren, der den Namen Georges bekam.

Die Reise startete in Marseille: Mit dem Schiff ging es nach Alexandria, von Kairo dann mit dem Flugzeug bis nach Belgisch-Kongo. Am Ankunftsort kauften die Simenons einen alten Fiat und und fuhren mit diesem bis nach Matardi.

Die Finanzierung der Reise war ebenfalls geplant. Simenon hätte es sich gewiss leisten können, die Reise aus dem eigenen Geldsäckel zu finanzieren, aber er plante Reportagen über Afrika zu schreiben, die er dann an Zeitschriften und Zeitungen verkaufen wollte. Und so geschah es. Die Zeugnisse seiner Afrika-Reisen kann man heute in einigen Reportage-Bänden und anderen Büchern (beispielsweise dem »Simenon-Lesebuch« nachlesen. Ursprünglich erschienen seine Afrika-Reportagen in der »Voila!«. Während diese Reportagen bekannt waren, wurden die Fotografien, die er auf diesen Reisen machte, erst viel später bekannt. Mittlerweile gab es Ausstellungen mit diesen Bildern (und weiteren Informationen über diese Reisen) sowie Bildbände.

Ein »Abfallprodukt« davon waren auch seine exotischen Geschichten und Romane, die er schrieb. Beim Lesen dieser Werke bekommt man das Gefühl, dass die Kolonialisten nicht besonders gut wegkommen. Marnham hatte das Gefühl, dass die Kolonialisten (und das hinter stehende Prinzip) in Simenons Büchern nicht gut war und vermutet, dass diese Bücher auch eine fortwährende Kritik am Lebensstil seines Bruders gewesen wären. Zwar wird auch der sorglose Umgang mit den Einheimischen thematisiert, aber dieser steht nicht im Mittelpunkt dieser Reportagen und Geschichten.

Das, was Simenon über Afrika und die Kolonialisten geschrieben hatte, reichte aber, um im Regierungsapparat zu Hause Verärgerung hervorzurufen. Simenon berichtete später, dass er geplant hatte, eine weitere Expedition nach Afrika durchzuführen. Als er Freunden in einem Pariser Restaurant erzählte, wäre ein anderer Gast aufgesprungen - ein Mitglied er Regierung (Simenon sprach von einem Minister, Marnham meint, der Mann sei zu dem Zeitpunkt Staatssekretär gewesen), und hätte Simenon in nicht gerade sachlichem Ton mitgeteilt, wer würde nie ein Visum bekommen. Wenn es diese Reaktion wirklich so gegeben hat, dann haben Simenons Reportagen aus Afrika zwar etwas bewirkt, man kann aber nicht sagen, dass sie an der richtigen Stelle auf fruchtbaren Boden gefallen wären.

Die Rückfahrt traten die Simenons dann mit einem Schiff an, und fuhren an der westafrikanischen Grenze entlang in die heimischen Gefilde.

Das Reisen konnte Simenon nicht sein lassen. Schon im darauffolgenden Jahr zog es ihn auf eine Europa-Reise. Auch von dieser gibt es einige Reportagen und viele Bilder. Hierzulande wird sicher eine Begegnung Simenons ins Auge fallen. Simenon berichtete, dass er Adolf Hitler im Hotel Adlon begegnet sei (dieser Bericht ist mittlerweile auch in deutscher Sprache nachlesbar). Simenon fand den Österreicher nicht so überzeugend. Marnham wiederum ist es, der in seiner Biographie davon berichtet, dass Simenon kurz vor dem Reichtagsbrand die Information zugesteckt worden wäre, dass die Nationalsozialisten eine große, ziemlich hässliche Sache planen würde. Ein Bericht Simenons, die er nach Frankreich kabelte, sollte aber nie erscheinen.

Die Europa-Reise Simenons führte Simenon durch Polen, die Tschechei und Slowakei, Ungarn und Rumänien. Der Clou auf dieser Reise fand aber an der Grenze zwischen Europa und Asien statt - am Bosporus. Hier sollte der französische Schriftsteller (der zwar Journalist war, aber sicher kein renomierter) die Gelegenheit bekommen, Leo Trotzki zu interviewen.

Nach der Rückkehr nach Paris, hatte sich Simenon entschlossen, dass er keine Maigrets mehr schreiben würde. Bei Fayard dürfte man ziemlich irritiert gewesen sein. Er drängelte der junge Schriftsteller dem Verlag seinen Kommissar neuen Typus auf, und nun, da sie erfolgreich waren, wollte er keine mehr schreiben. So ganz leicht ließ man Simenon nicht davon kommen. Der war aber schon auf dem Weg in neue Gefilde: Der ernsthafte Roman sollte kommen und für den ernsthaften Roman suchte er sich einen ernsthaften Verlag. Und den fand er in Gaston Gallimard und seinem Verlag. Die Konditionen waren, wenn man es mal so sagen will, für den Schriftsteller recht günstig. Er ließ sich zum Beispiel nicht mehr auf langfristige Verträge ein, sondern befristete diese auf jeweils ein Jahr.

Was die Wohnverhältnisse anging, so lief es nicht ganz so günstig für die Simenons. Sie hatten sich in La Richardière verliebt und auch schon einiges an Geld in das Landschloss investiert, immer in der Hoffnung, diesen Komplex kaufen zu dürfen. Im Frühjahr 1934 lief der Mietvertrag aus und der Besizter hatte nicht nur keine Lust, ihnen das Objekt zu verkaufen, schlimmer noch, er dachte nicht einmal daran, den Mietvertrag zu verlängern. Dies war wirklich ein herber Schlag für die Simenons.

Simenon charterte nun ein Boot im Mittelmeer und sie verbrachten das Jahr auf dem Mittelmeer. Die anschließende Heimsuche brachte die Simenons wiederum in einer Schloss namens »Château de la Cour-Dieu«. So richtig glücklich wurden sie aber in ihrem neuen Heim nicht, so dass sie 1935 (nach einer achtmonatigen Weltreise) sich eine Wohnung in Paris suchten und im September 1935 an den Boulevard Richard-Wallace in Neuilly zogen, in eine Wohnung die gegen über dem Bois de Boulogne lag.

Die folgende Zeit kann man als einen ständigen Wechsel zwischen Paris uns anderen Orten zusammenfassen, wobei besonders die Insel Porquerolles als wiederkehrendes Ziel Simenons ins Auge fällt.

Simenon hatte das Gefühl, sein Leben gut geplant zu haben. Das bei dieser Planbarkeit sicher seine Frau Régine einen großen Anteil hatte, kann man sich ganz gut vorstellen. So wagte er sogar eine Prophezeiung, die man selbst aus jahrzehntelanger Distanz als sehr gewagt bezeichnen kann. Er spekulierte darauf, dass er spätestens 1947 den Nobelpreis für Literatur erhalten würde. Damit, obwohl immer wieder als Kandidat gehandelt, sollte er sich nicht nur im Jahr vertun sondern mit der Tatsache ansich. An der Stelle soll nicht darüber spekuliert werden, ob er ihn verdient hätte oder nicht. Vermutlich ist es aber keine gute Idee, darüber zu spekulieren, wann man einen bestimmten Preis bekommt.

In einer anderen Zeit hatte Simenon Artikel geschrieben, die nicht gerade in Ruhmesblatt für sein Werk gewesen sind. Dabei sei beispielsweise an die antisemitischen Artikel erinnert, die man im gnädigsten Fall als Jugendsünden durchgehen lassen kann. Auf der Guthaben-Seite soll vermerkt sein, dass der eigentlich gänzlich unpolitische Mensch Simenon in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre der Organisation »sans haine« beitrat, die sich dem Pazifismus verschrieben hat.

Simenon betrachtete die politische Entwicklung in Europa sehr skepitsch und mit großem Unbehagen. Auch dies war ein Grund, dass es in die Region Charente-Maritime (La Rochelle) zurückzog. Denn Simenon war der Meinung, dass es gefährlich wäre, in einer Großstadt zu leben, wenn ein Krieg ausbrechen würde - die Bomber über Lüttich waren ihm wohl noch in Erinnerung, genauso wie die deutschen Besatzer. Außerdem verband er mit Krieg Hunger und meinte, dass ihn Hunger, Besatzung und Bomber auf dem Land nicht so leicht treffen würde. Bei einem Aufenthalt in der Nähe von La Richardière erfuhren sie von einem Freund, dass ein Haus in der Nähe zu verkaufen wäre. Das wäre Haus, welches ein alter Mann verkaufte, lag in Nieul-sur-Mer und war wesentlich kleiner als das vorher bewohnte Schloss, aber das Grundstück reichte auch bis zum Meer.

1938 kam es zur Sudetenkrise. Deutschland war davor, in den Krieg mit der Tschechoslowakei um das sudetendeutschen Gebiet zu gehen. Europaweit wurde das Schlimmste befürchtet. In Belgien kam es zu einer Mobilmachung, zu der auch Reservisten einberufen wurden, wie zum Beispiel Simenon. Dieser fuhr mit Tigy, die schon schwanger war, zurück nach Brüssel. Durch das Münchner Abkommen (ein insoweit interessantes Abkommen, da drei Unbeteiligte die Zustimmung dafür gaben, dass einem vierten etwas geklaut wird - das sollte sich im Zivilleben mal jemand erlauben) entspannte die Situation für einige Zeit wieder und gab Hitler Zeit weiter aufzurüsten und seine Pläne schmieden.

Alsbald sollte Simenon wieder in Richtung Brüssel aufbrechen.