Mit seinen Jugendfreunden hat Maigret nicht viel Glück: sie kommen, setzen sich vor ihn und erwarten Wunder. Dem kann er kaum entsprechen und will es häufig auch nicht. In diesem Fall hat er es mit Léon Florentin zu tun, der dem Kommissar beichtet, dass er sich in der Wohnung einer Ermordeten befunden hatte, deren Geliebter er war. Florentin ging davon aus, dass er der Hauptverdächtige war. Zu recht.
Der Online-Duden hat eine ganz praktische Funktionalität, die in diesem Fall sogar noch beruhigend war: Es wird angezeigt, wie häufig ein Wort im Deutschen gebraucht wird. Hier handelte es sich um ein ganz, ganz seltenes Wort, dessen Sinn ich noch nicht einmal erraten konnte: »Werg« – im Zusammenhang mit den Haaren einer Frau, die Maigret in einem Hotel begrüßte. Hätte man ihr es direkt gesagt, es wäre kein Kompliment.
Léon Florentin sagte Maigret, dass er nicht wusste, ob er wirklich einen Schuss gehört hatte. Aber er hätte sich nach einer Viertelstunde aus seinem Versteck gewagt und dann festgestellt, dass seine Freundin tot gewesen sei. Das habe erst einmal verdauen müssen und dann wäre er in das gegenüberliegende Bistro Grand-Saint-Georges gegangen und hätte drei Cognacs getrunken. Anschließend wäre er zu Maigret gekommen.
Manchmal scheine ich vielleicht ein wenig penibel. Der Ursprung liegt aber meist in Neugierde begründet. Ich hatte mich auch in der Vergangenheit gewundert, warum das Wort »Antiquar« als Berufsbezeichnung für Léon Florentin gewählt wurde. Schließlich war er – wenn überhaupt, aber das ist ein anderes Thema – ein Antiquitätenhändler. Für mich waren Antiquare Leute, die Bücher verkaufen, die nicht neu sind.
Man sollte meinen, dass Simenon allzeit seine Hauptfiguren im Griff hatte. Aber manchmal rutschte was durch. In diesem Fall geht es um Maigret und seinen alten Klassenkameraden Léon Florentin. Beide waren gemeinsam auf dem Gymnasium in Moulins gewesen und hatten nun bei diesem Fall die Gelegenheit, sich wertschätzen zu lernen. Das gelingt leider nicht, da Maigret Polizist war und Florentin ein sehr entspanntes Verhältnis zu Wahrheit hatte.
Die Texte Simenons empfehlen sich auch deshalb für den Französisch-Unterricht, weil ihnen nachgesagt wird, dass der Schriftsteller eine sehr einfache Sprache nutzte und diese meisterhaft einsetzte, um im Kopf des Lesers ein Bild der Situation oder Umgebung festzusetzen. Stolpert man in Texten über unbekannte Wörter, liegt es wahrscheinlich daran, dass wir die Wörter in unserer Zeit einfach nicht mehr brauchen.
Wer mal wieder Simenon-Geschichten vorgelesen bekommen möchte, wird im Herbst voll auf seine Kosten kommen. Ende Oktober bringt Der Audio-Verlag (DAV) zwölf Maigret-Geschichten heraus, die allesamt von Walter Kreye gelesen werden. Als hätte man mit den 33 CDs nicht schon genügend zu tun, gesellen sich noch einmal 21 Compact Discs mit Non-Maigret-Stoff dazu. Spielt da die 2-CD-Zugabe biographischer Natur noch eine Rolle?