Bildnachweis: - maigret.de
Wie im Leben
Auf der Titelseite wird berichtet, dass es starke Differenzen zwischen Hitler und seinem Reichsbankpräsidenten Schacht gegeben haben soll, da man unterschiedlicher Meinung bezüglich der Inflation gab. Ein weiterer Aufmacher in der Ausgabe vom 24. März 1934 waren die Abrüstungsgespräche, die Paris mit London führte. Auf Seite 3 ist ein Artikel Simenon gewidmet.
Wer nun denkt: »Hui, da hat es der junge Simenon aber schon weit gebracht! Auf einer Seite 3 …« Jedoch sollte man wissen, dass die Zeitung wochentags nur mit vier Seiten erschien. Es handelte sich um eine in Paris erscheinende Tageszeitung, die von im Exil lebenden Deutschen gemacht wurde. Herausgeber war der aus Russland stammende Jude Wladimir Poliakov, der nach der Revolution geflohen war. Er gab in der französischen Hauptstadt auch die jiddische Zeitung »Paris Haynt« heraus. Ende 1933 rief er die Exilzeitung »Pariser Tageblatt« ins Leben, die durchgängig in deutscher Sprache erschien.
Zeitung als Krimi
Die Geschichte der Zeitung liest sich wie ein Krimi und Sozialdrama. Die meisten Redakteure wurden schlecht bezahlt, der Chef-Redakteur Georg Bernhard war der einzige Mitarbeiter, der gut von der Arbeit leben konnte. Redaktion und Verleger gerieten aber mit der Zeit über den publizistischen Ausrichtung der Zeitung aneinander. Poliakov, der vor den Kommunisten geflohen war, hatte Vorbehalte gegen die Richtung der Redaktion, sich dem kommunistisch geprägten Volksfront-Kurs anzuschließen. Er wollte den Antisemitismus in den Mittelpunkt rücken.
Der Höhepunkt wurde erreicht, als die Redaktion auf der ersten Seite der Zeitung dem Verleger Kollaboration mit den Nationalsozialisten vorwarf. Diese unbegründeten Vorwürfe konnte Poliakov nicht entkräften, da die Herausgabe einer »Korrektur«-Ausgabe am nächsten Tag verhindert wurde. Es wurde ein neuer Chefredakteur eingestellt (Richard Lewinsohn) – dessen Motivation dürfte erheblich gelitten haben, nachdem er von den alten Mitarbeitern zusammengeschlagen wurde und reif fürs Krankenhaus war. Die Redaktionsräume wurden zerstört und – der größte Schatz einer Zeitung – die Abonnenten-Kartei gestohlen.
Der alte Chefredakteur gründete mit Gleichgesinnten eine neue Zeitung, die den Namen »Pariser Tageszeitung«. Der Ruf von Wladimir Poliakov konnte gerettet werden, der mittlerweile fast vergessene Iwan Heilbut war daran beteiligt, die Affäre aufzuklären und Gerichte gaben Poliakov recht. Was diesem jedoch nichts nutzte, denn seine Zeitung war weg.
In der Zeitung schrieben zum Beispiel Alfred Kerr, Heinrich Mann und der schon kürzlich erwähnte Pem. Aber nicht er war es, der den Artikel über Simenon verfasste, sondern Hans Jacob.
Blühende Erfindungsgabe
Neben einem Artikel über einen Franzosen, der seinen Concierge umgebracht hatte, da dieser nicht bereit war, seinen Nachbarn zur Räson zu bringen, der das Radio zu laut aufgedreht hatte, findet sich ein Einspalter, in dem ein wenig über das Leben philosophiert wird. Im Mittelpunkt steht Simenon.
Bekannter als Simenon war damals schon Edgar Wallace. Krimi-Autoren werden als Jockeys im Wettbewerb »Blühende Erfindungsgabe« bezeichnet, aber Simenon wäre ein vorzüglicher Vertreter dieses Genre.
Dieser junge Schriftsteller, der nicht nur zu erfinden, sondern auch ausgezeichnet zu schreiben versteht, hat die Detektivgeschichten aus der Sphäre der Schlafwagenzerstreuung in die Ebene des literarischen Genres erhoben.
Es wird in dem Beitrag ferner berichtet, dass Simenon von einer französischen Abendzeitung den Auftrag bekommen hatte, eine Reportage über die politischen Skandale zu schreiben, die das Land bewegten. Damit könnte die Stavisky-Affäre gemeint sein.
Er, der erfolgreich beweisen konnte, dass die Phantasien das Leben zu überbieten vermag, straft die Worte aller lügen, die beim Lesen der stets neuen Sensationen unwillkürlich in den Ruf ausbrechen: »Wie im Roman!«
Simenon würde zwar das Schreiben von Romanen unterbrechen, aber der Autor des Artikels hofft, dass er in das Metier zurückkehrt.