Sympathie für den Anti-Helden


Der erste Satz in dem Beitrag aus der »Aufbau« aus dem Jahr 1950 ist auf den ersten Blick ein wenig geheimnisvoll. Es kann passieren, dass man dann anfängt zu Grübeln und zu dem Schluss kommt, dass man sich dem Autor nicht anschließen möchte, weil man es ganz anders sieht. Dem Ausführungen zum eigentlich Thema lässt sich jedoch zustimmen.

Nach einigen Ausflügen in das hiesige Milieu [...]

Damit wird offenbar auf New York angespielt, in dem auch die Wochenzeitung »Aufbau« erschien.

[...] hat Georges Simenon, der sie längerer Zeit in Arizona lebt, wieder zu der heimischen Erde zurückgefunden, die ihm Kraft gibt.

Welche heimische Erde? Was ist Heimat für Simenon? Folgt man seinen »Intimen Memoiren«, so ist das Belgien gewesen. Die meisten seiner Romane spielen aber in Frankreich. So war es durchaus so, dass – wie auch in den Memoiren geschildert – Franzosen ihn gern für sich einnahmen.

Der Autor dieses Artikels bezog sich aber eher auf das literarische Wirken, aber das macht den Satz noch »komischer«, denn Simenon schrieb in seiner USA-Zeit eine Reihe von Romanen, die in den Staaten angesiedelt waren und ließ es fast umgehend bleiben, nachdem er in Europa zurück war. Trotzdem entstanden in den Jahren zwischen 1945 und 1950 eine ganze Reihe von Romanen, die in Europa spielten. »Zurückgefunden« ist deshalb wohl das falsche Wort.

Es geht um »Der Schnee war schmutzig« (»La neige était sale«) und der Autor meint, die im Mittelpunkt stehende Person wäre offenbar Deutscher. Den Eindruck konnte man haben, aber wie kam der Autor auf die Idee, der Roman würde in Belgien spielen? Ich hatte immer darauf getippt, dass der Roman in Deutschland spielen würde. Simenon hat darauf eine Antwort in seinen Memoiren gegeben, die eindeutig ist:

Christmas begann, mich auf meinen Abendspaziergängen zu begleiten, als ich im Anschluss den Roman »La neige était sale« (»Der Schnee war schmutzig«) schrieb, der in meiner Vorstellung nicht im Norden oder Osten Frankreichs spielt, wie es die Kritiker glaubten, sondern in einer kleinen Stadt in Österreich, die ich sehr gut kenne.

Interessanter ist nun fast die Frage, was das für eine Stadt gewesen war, die Simenon zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Romans sehr gut kannte. In den Memoiren wird Österreich nur zweimal erwähnt, allerdings nicht im Hinblick auf eine Stadt, in der er gewesen würde. Meiner Meinung nach, muss man auch in einer kleinen Stadt ein Weilchen gewesen sein, bevor die Behauptung, man würde sie sehr gut kennen, glaubhaft wird. Mal schauen, ob ich diesbezüglich etwas herausfinde.

Dass der Roman sehr lesenswert ist, wird wohl durch diesen Satz schon sehr deutlich, denn das ist eine wahre Kunst:

Ein Mensch, den man nicht mit der Feuerzange angeführt hätte, verlässt den Schauplatz begleitet von der erstaunten Sympathie des Lesers.

… und wird bestärkt durch das Resümee des Autoren, der feststellt:

Simenon hat sich hier an einen großen Stoff gewagt. Er hat ihn mit ebenso großem Wagemut behandelt.

Dem ist nichts hinzuzufügen.